Der Titel der EU-Verordnung, um die gestritten wird, ist in feinstem Behördendeutsch verfasst und liest sich entsprechend sperrig: "Verordnung über europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen". Die politischen Folgen dieser Verordnung sind hochgradig explosiv. Es geht darum, dass Telekommunikationsprovider, Cloud-Anbieter und Internetdienstleister die Daten ihrer Kunden direkt an Ermittlungsbehörden anderer EU-Mitgliedsländer herausgeben sollen. Für Unternehmen in Deutschland würde das bedeuten: Sie müssten Daten ihrer Kunden an Ermittlungsbehörden anderer EU-Mitgliedsstaaten herausgeben, selbst wenn die verfolgte Tat in Deutschland gar keine Straftat ist, zum Beispiel ein hier erlaubter Schwangerschaftsabbruch.
Kritik an Verordnung vom Ständigen Ausschuss der europäischen Ärzte
Für Professor Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union (CPME), ein Unding:
"Dann prüft noch jemand in der Firma Google oder Microsoft die Rechtmäßigkeit dieses Begehren. Das reicht in unserer Auffassung überhaupt nicht aus, weil diese Firmen sind nicht in der Lage, die besonderen komplexen Anforderungen der ärztlichen Schweigepflicht zum Beispiel und dessen, was wir zum Inhalt der Vertraulichkeit, des Gesprächs und der Handlung zwischen Arzt und Patient erachten, das überhaupt zu prüfen."
Montgomery fordert Schutz von Patientenakten
Betroffen sind von dieser Verordnung nämlich nicht nur Internet-Provider und Telekommunikationsdienstleister, sondern auch die Cloud-Anbieter, die zum Beispiel Patientenakten speichern. Frank Ulrich Montgomery:
"Hier müssen bessere gesetzliche Vorkehrungen getroffen werden, dass diese Daten in besonderer Weise geschützt werden, dass sie in besonderer Weise erkannt und sofort vernichtet werden, wenn sie mit dem eigentlichen Verfahren und einer Strafbarkeit gar nichts zu tun haben. Hier muss deswegen nachgebessert werden."
Und diese Nachbesserung müsse nun der Europäische Rat vornehmen. Das Europäische Parlament hat die Verordnung Anfang des Monats, am 6. Juli, durchgewunken. Die Zustimmung des Rates steht aber noch aus.
"In der gegenwärtigen Form möchten wir sie am liebsten abgelehnt haben. Weil wir ja gar nicht grundsätzlich gegen verbesserte Möglichkeiten der Strafverfolgung und der Beweiserhebung sind, wollen wir aber in einigen wesentlichen Punkten Veränderungen erreichen. Diese Punkte betreffen vor allem das besondere Recht von sogenannten Berufsgeheimnisträgern neben Ärzten, also auch Anwälte, Pastoren und ähnliches. Und da glauben wir, dass dieser Gesetzentwurf eben nicht weit genug geht."
Sicherung elektronischer Beweismittel auf EU-Ebene
Rainer Wieland, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei, findet das übertrieben: Auf juristischer Ebene müsste auch das versucht werden nachzuvollziehen, was ansonsten auch in der EU normal sei. "Und dort, wo dann auch die Binnengrenzen innerhalb Europas noch eine Rolle spielen. Dort muss man versuchen, diese Binnengrenzen zu überwinden."
Herausgabeverfügungen und Durchsuchungsbeschlüsse sowie die Sicherung elektronischer Beweismittel müssten eben auch auf europäischer Ebene genauso effizient durchgesetzt werden können wie innerhalb Deutschlands.
"Was passiert denn, wenn in Stuttgart ein Opfer ist, in Düsseldorf ein Täter und die Unterlagen liegen in Dresden? Ja, dann bekommt man das ja auch hin, dass der Staatsanwalt den Staatsanwalt in Stuttgart es organisiert durch eine Herausgabeverfügung oder gar durch einen Durchsuchungsbeschluss in Dresden dann an entsprechende Beweismittel zu kommen. Und nichts anderes kann in Europa gelten, nichts anderes darf in Europa gelten."
Montgomery: Unterschiedliche Niveaus von Schweigepflicht innerhalb der EU
Das Argument lässt Ärztepräsident Montgomery nicht gelten:
"Weil wir unterschiedliche Niveaus von Schweigepflicht, Erklärungen, unterschiedliche Niveaus der Ausgestaltung von Schweigepflicht zum Beispiel bei Ärzten in unterschiedlichen Ländern der Europäischen Union haben. Für diese Fälle muss mindestens immer auf der anderen Seite, also auf der herausgebenden Seite eine staatliche Prüfung erfolgen und nicht die Prüfung durch einen Dienstleister, dessen Interessen Kenntnisse völlig andere sind als die eines Gerichtes oder eines Staatsanwaltes."
Nimmt der Europäische Rat die Verordnung an, drohen die Ärzte, sich aus den anstehenden Digitalisierungsprojekten im Gesundheitswesen zu verabschieden. Die elektronische Patientenakte zum Beispiel würde dann erst einmal auf Eis liegen.
"Das führt am Ende zu einem Widerspruch, den wir nur auflösen können, indem man sich aus Digitalisierungsprojekten verabschiedet und sagt: Die Europäische Union behindert hier direkt die Digitalisierung des Gesundheitswesens, die im Übrigen von uns sehr gewünscht wird und die sehr wichtig wäre."