Sarah Zerback: Wer Mitglied in der EU sein möchte, im Club der noch 28, muss sich auch an die demokratischen Spielregeln halten, an rechtsstaatliche Standards. Soweit die Theorie. In der Praxis kommt es sehr wohl aber immer wieder vor, dass die verletzt werden und es dann mehr als schwierig ist, auf Staaten einzuwirken, die in, na ja, semiautoritäre Zustände abgleiten, wie Polen, wie Ungarn, und das dann auch zu sanktionieren. Genau das ist heute Thema in Brüssel beim EU-Rat, wo darüber beraten wird, ob künftig nur noch dann EU-Fördergelder ausgezahlt werden, wenn EU-Regeln auch eingehalten werden.
Das Stichwort Polen ist bereits mehrfach gefallen. Rechtsstaatlichkeit im Nachbarland ist heute nicht nur Thema in Brüssel, sondern auch in Straßburg im Europaparlament, nachdem die PiS-Regierung seit ihrem Wahlsieg vor zwei Jahren Polen ziemlich umgekrempelt hat. Die Nationalkonservativen haben Gesetze verabschiedet, die die Arbeit des Verfassungsgerichts behindern, die erlauben, dass die Politik sich einmischt bei der Ernennung der obersten Richter, die die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Frauenrechte beschränken.
Kritik kam daraufhin reichlich, nicht nur aus der polnischen Opposition, sondern aus dem Europarat, der Europäischen Kommission, des Parlaments, vieler internationaler Partner, auch aus Deutschland, und von Organisationen wie Human Rights Watch. Sie alle sehen die Rechtsstaatlichkeit in Polen in Gefahr.
Darüber können wir jetzt sprechen mit Bartosz Wielinski. Er ist Redakteur der Gazeta Wyborcza, der zweitgrößten Tageszeitung des Landes. Guten Morgen!
Bartosz Wielinski: Ja, guten Morgen. Hallo!
"Die Macht versucht, Einfluss auf die Presse zu nehmen"
Zerback: Sie verfolgen ja nun als Journalist die Entwicklungen besonders in den vergangenen beiden Jahren besonders intensiv. Wie ist denn Ihre Zwischenbilanz? Ist Polen überhaupt noch ein Rechtsstaat?
Wielinski: Na ja, schon. Schon sind wir noch eine Demokratie. Noch kann man nichts sagen über Autoritarismus in Polen. Aber bestimmt sind wir auf dem Weg ins Ungewisse und diese Entwicklung, die man in Polen beobachtet, ist ganz, ganz gefährlich. Weil am Ende könnten wir in einer Lage landen, wo wirklich die Gerichte vom Justizminister manuell sozusagen gesteuert werden. Die Urteile, die fallen werden, werden mit Politikern abgestimmt von den Richtern, die auch von Politikern gewählt werden. Der Justizminister ist gleichzeitig der Vorgesetzte von allen Staatsanwälten in Polen. Wir haben jetzt momentan die Lage, dass der Justizminister auch Einfluss auf die Gerichte hat. Man wechselt jetzt die Gerichtspräsidenten massiv in Polen. In der letzten Woche wurden mehr als zehn Gerichtspräsidenten per Erlass, der per Fax versandt wurde, einfach entlassen. Gleichzeitig ist dieser Justizminister der Vorgesetzte von Staatsanwälten. Eine einzige Person hat jetzt eine sehr große Macht über die Justiz. Er ist gleichzeitig Vorgesetzter von Staatsanwälten und Richtern. Das sind wirklich, das muss gesagt werden, bolschewistische sowjetische Maßnahmen. Die Macht in Polen versucht, jetzt Einfluss auf die Presse zu nehmen.
"Sie können die Spielregeln im Parlament missbrauchen"
Zerback: Lassen Sie uns vielleicht noch mal ganz kurz bei der Justiz bleiben, Herr Wielinski. Da ist ja das Argument der PiS, dass die Ernennung von Richtern bisher nicht demokratisch gelaufen ist. Schließlich sei die PiS ja, so deren Argument, vom Volk gewählt und sollte deshalb mitbestimmen können, um eben - und auch das fällt immer wieder - der korrupten Richterkaste ein Ende zu setzen. Lassen Sie dieses Gegenargument gelten?
Wielinski: Das ist aber das Schlimmste, weil die PiS versucht, die Leute zu überzeugen, dass die Juristen und die Richter besonders eine korrupte Kaste sind, eine ausgewählte Kaste, die keiner kontrolliert. Aber nirgendwo in demokratischen Staaten hat die Politik jeglichen Einfluss auf Urteile, jeglichen Einfluss auf die Justiz. Die Justiz muss unabhängig bleiben. Das ist wirklich eine Voraussetzung einer Rechtsstaatlichkeit, eine Voraussetzung der Demokratie. Die PiS versteht Demokratie rein als ein Wahlergebnis. Sie glauben, wenn sie vom Volk gewählt werden, wenn sie eine Mehrheit haben - sie haben die Mehrheit im Parlament, trotz sie nur 37 Prozent der Stimmen bekommen haben -, aber sie verstehen das so, wenn sie eine Mehrheit haben, dann können sie alles durchsetzen im Parlament. Sie können die Spielregeln im Parlament missbrauchen. Sie können die Justizunabhängigkeit beschränken. Sie können einfach alles. Das ist wirklich ein skurriles, kurioses Verständnis der Demokratie. Und jetzt versuchen sie, die Leute davon zu überzeugen, dass das, was in den Gerichten geschah, sehr falsch war, korrupt war, und somit muss es eine Säuberung geben. Die Gerichte müssen gereinigt werden.
"Am Ende wird PiS das haben, was sie will"
Zerback: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Aber jetzt ist es ja seit dem Sommer tatsächlich ein bisschen stiller geworden um die Justizreform, gerade auch im Zwischenspiel zur EU. Die Reform der Justiz ist ja so, wie es die Regierung ursprünglich mal vorhatte, gar nicht durchgekommen. Da hat Präsident Duda überraschend ja sein Veto eingelegt. Jetzt gibt es ganz frisch einen Kompromissvorschlag Dudas. Wie sieht der denn konkret aus?
Wielinski: Es muss leider gesagt werden, dass die Kompromissvorschläge ein bisschen kosmetisch aussehen. Das sind die Details, die den Eindruck erwecken könnten, das ist ja demokratischer, als es von der Regierung geplant war. Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit, ist ziemlich wütend, dass irgendjemand ihn stört, und die Beziehungen mit Duda haben sich auch verschlechtert. Aber nach diesem Kompromiss gab es großen Druck aus der EU. Man hat sogar gehört, die Regierungspartei möchte den Präsidenten mit irgendwelchen Empfehlungen belasten. Soweit ist es gegangen. Aber am Ende wird, glaube ich, PiS das haben, was sie will. Man wird ein solches juristisches Konstrukt mit dem Gesetz vorbereiten. Letztendlich wir der Justizminister seinen Einfluss auf den ganzen Justizapparat erweitert haben. Am Ende wird das Justizwesen in Polen gleichgeschaltet, und das ist ziemlich gefährlich.
"Jegliche Signale aus Brüssel ignoriert"
Zerback: Den Punkt haben wir jetzt verstanden. Lassen Sie uns noch einmal darauf schauen, wie es jetzt weitergehen kann, weil richtig scharfer Gegenwind kommt ja tatsächlich aus der EU. Im Moment laufen gleich zwei wichtige Verfahren gegen Polen. Eigentlich sind es ja sogar mehr. Bislang laufen die allerdings ins Leere. Was kann denn da die EU jetzt tun, um Polen an seine rechtsstaatlichen Prinzipien zu erinnern?
Wielinski: Die EU muss selbst entscheiden, ob man es wirklich will, irgendwas in diese Richtung zu tun. Am Anfang hat man in der EU geglaubt, wie es mit Rumänien war und früher mit Ungarn, dass es wirklich reicht, Polen öffentlich zu rügen und mit dem Finger darauf zu zeigen, ihr macht das schlecht, ihr macht das falsch. Mit Rumänien und Ungarn hat das gereicht, dass die Regierungen dort sich zurückgezogen haben und die Rechtsstaatlichkeit am Ende nicht verletzt wurde. Polen macht nicht mit und hat jegliche Signale aus Brüssel, die informellen, die offiziellen Signale, einfach ignoriert, eigentlich sogar mit Wut ignoriert. Man will nicht mitsprechen. Die Regierung behauptet, die EU hat kein Recht, sich in polnische innere Angelegenheiten einzumischen. Und man verbittet sich jeglichen Dialog mit Brüssel und jetzt muss man in Brüssel wirklich entscheiden, wird man das einfach annehmen, dass Polen das Recht hat, die Rechtsstaatlichkeit in Polen abzubauen, oder wird man die Maßnahmen einsetzen, die von den Verträgen vorgesehen sind.
Zerback: Das müssen wir abwarten, Herr Wielinski. Wir kommen nämlich jetzt zum Ende und müssen hier gleich weitermachen mit den Nachrichten. Bartosz Wielinski war das, Redakteur der Gazeta Wyborcza. Besten Dank nach Warschau!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.