Der türkische Ministerpräsident Yildirim will am Samstag bei einer politischen Veranstaltung mit 10.000 Teilnehmern in Oberhausen auftreten. Die Politikerin der größten Oppositionsfraktion im Bundestag, die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen, forderte die Bundesregierung im Deutschlandfunk auf, dies zu verhindern. "Ein Einreiseverbot wäre hier das Mindeste, um Yildirims Werbefeldzug für die Diktatur zu unterbinden", sagte sie. Yildirims geplanter Aufritt sei eine integrationsfeindliche Propagandatour. Der türkische Regierungschef trage zu einer weiteren Polarisierung und auch zur Stimmungsmache innerhalb der türkischsprachigen Gemeinschaft in Deutschland bei.
Es wird erwartet, dass Yildirim für das umstrittene Verfassungsreferendum in der Türkei Werbung machen will. Auch türkische Staatsbürger in Deutschland dürfen an der Volksabstimmung teilnehmen.
Kritik kam auch vom stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, Auftritte von türkischen Regierungsmitgliedern, die "auf deutschem Boden für die Errichtung eines autokratischen Systems in der Türkei" werben wollten, seien eine "unglaubliche Frechheit". Die Bundesregierung müsse dem entgegentreten.
"Mitschuldig an der Verfolgung von Andersdenkenden in Deutschland"
Die Linken-Politiker Dagdelen äußerte sich im Deutschlandfunk außerdem zu den Spitzel-Vorwürfen gegen einzelne Imame des größten Islamverbands in Deutschland, Ditib. Dagdelen drängte die Bundes- und Landesregierungen, ihre Kooperationen mit Ditib auszusetzen beziehungsweise zu stoppen: "Ich finde, es ist ungeheuerlich, dass es Landesregierungen gibt, die da weiterhin an der Zusammenarbeit festhalten mit diesem Moscheeverband, der letztendlich hier Andersdenkende bespitzelt, sie zur Zielscheibe macht der türkischen Regierung." Denunzierte Menschen würden bedroht, ihre Verwandtschaft in der Türkei werde aufgesucht, Konten würden gesperrt. Die Spitzeleien hätten ernste Konsequenzen für die Betroffenen und sorgten zudem für weitere Spannungen in Deutschland. Sollte die deutsche Politik nicht handeln, würde sich "mitschuldig machen an der Verfolgung von Andersdenkenden in Deutschland".
Angesichts der umstrittenen Verflechtungen des Verbands mit der türkischen Regierung meinte die Linken-Politikerin, wer die Ditib zum Ansprechpartner für Integration mache, der mache sich etwas vor. Die Ditib sei eher "integrationsfeindlich", da sie als "regimetreue Außenstelle" der Türkei fungiere. Dagdelen verlangte von der deutschen Politik, die einzelnen Gläubigen zu schützen. Die könnten nichts dafür. "Wir müssen uns an die Seite der frommen Muslime stellen." Auch innerhalb der Ditib müsse man Menschen schützen, die kritisch gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdogan seien.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Sarah Zerback: Vertrauliche Gespräche mit dem Imam, brühwarm weitergegeben an den türkischen Staat - auf diese Weise sollen Gläubige in Deutschland angeschwärzt worden sein, die der Gülen-Bewegung nahestehen oder vermeintlich nahestehen. Also dem Erzfeind Erdogans, den der türkische Präsident für den gescheiterten Putsch verantwortlich macht. Der Vorwurf wiegt schwer, neu ist er allerdings nicht. Jetzt haben Ermittler der Bundesanwaltschaft reagiert, haben die Wohnungen von vier Geistlichen durchsucht in NRW und Rheinland-Pfalz. Und die Frage stellt sich einmal mehr, wie weit der Arm Ankaras nach Deutschland reicht.
- Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Sevim Dagdelen, der Beauftragten für Migration und Integration der Linken im Bundestag. Guten Morgen!
Sevim Dagdelen: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: Türkische Imame spionieren auf deutschem Boden. Geht das?
Dagdelen: Nein, das geht gar nicht. Und das muss auch wirklich Konsequenzen haben, diese Spionagetätigkeit von Imamen dieses Moscheeverbandes. Und ich finde, es ist ungeheuerlich, dass es Landesregierungen gibt, die da weiterhin an der Zusammenarbeit festhalten mit diesem Moscheeverband, der letztendlich hier Andersdenkende bespitzelt, sie zur Zielscheibe macht der türkischen Regierung. Es hat ja Konsequenzen, dass Namen in diesen Spitzelberichten aufgetreten sind. Diese Menschen werden bedroht, sie werden eingeschüchtert, ihre Verwandtschaft in der Türkei wird aufgesucht von Zivilpolizisten oder anderen. Oder die Konten wurden von ihnen gesperrt, das Eigentum wird konfisziert. Das hat wirklich Konsequenzen. Und das bedroht den inneren Frieden auch in Deutschland. Insofern glaube ich, dass es wirklich Konsequenzen bedarf. Sonst würden sich Bundesregierung und auch Landesregierungen mit schuldig machen an der Verfolgung von Andersdenkenden in Deutschland.
Zerback: Nun ist es aber so, dass bislang hier nur einzelne Imame da im Visier sind. Ist es da angemessen, den gesamten Verband unter Generalverdacht zu stellen?
Dagdelen: Zunächst einmal muss man sagen, es ist ja gut, dass es überhaupt diese Durchsuchungen gegeben hat. Ich und viele andere im Deutschen Bundestag haben lange gewartet, dass da überhaupt jetzt zum Zwecke der Beweissicherung auch mal Aktivitäten entfaltet werden, weil der ganze Skandal ist ja schon Anfang Dezember bekannt und den Behörden hinlänglich bekannt. Weil ihnen die ganzen Berichte auch vorliegen. Die Durchsuchungen jetzt bei Erdogans Spionen kommen meiner Meinung nach etwas spät. Zahlreiche DITIB-Spitzel haben sich nämlich dank langem Stillhalten der deutschen Behörden wohl in die Türkei abgesetzt, haben Beweise vernichten können und insofern halte ich das eigentlich für sehr fragwürdig, wie die Ermittlungsbehörden hier vorgegangen sind.
Zerback: Und dennoch wird ja jetzt erst ermittelt. Die Ermittlungen laufen noch. Müssen wir da nicht erst die Ergebnisse abwarten, bevor wir urteilen?
"Strukturelle Verflechtungen"
Dagdelen: Selbstverständlich muss man die Ergebnisse abwarten. Aber ich sage Ihnen, mir liegen persönlich diese Berichte auch vor und ich sehe, was da drin ist. Und wissen Sie, die geheimdienstliche Agententätigkeit nach Paragraf 99 Strafgesetzbuch erfasst auch die Ausspähung von in Deutschland lebenden Ausländern von Nachrichtendiensten ihrer Heimatländer, die auf diese Weise Regimekritiker unter Kontrolle zu halten suchen. Sofern auch die Interessen bei dieser Ausspähung von uns betroffen sind, und unsere sind betroffen. Und dass man den ganzen Verband nicht jetzt unter Generalverdacht stellen solle, das verstehe ich natürlich. Aber wir haben trotzdem folgendes: Wir haben eine strukturelle Verflechtung zwischen der Moscheevereinigung DITIB und den türkischen Generalkonsulaten. Der Vorsitzende der DITIB in Deutschland ist in Personalunion auch türkischer Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten bei der türkischen Botschaft in Berlin. Er wird nicht von den Delegierten der DITIB-Gemeinden hier in Deutschland gewählt, sondern von der Zentrale Diyanet, der Religionsbehörde in Ankara, als Vorsitzender für eine befristete Zeit eingesetzt. Und in dieser Hierarchieebene darunter stehen die Religionsattachés in den Konsulaten. Das heißt, wenn man meint, DITIB muss man doch hier von der Regierung trennen oder unabhängig verstehen, der macht sich was vor. Die DITIB ist der verlängerte politische Arm der türkischen Regierung in Deutschland. Und insofern kann man nicht sagen, dass man hier DITIB, Diyanet und die türkische Regierung trennen sollte. Und dass sie nicht im Auftrag der Regierung hier handeln würde.
Zerback: Das ist ja das, was unter anderem auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung fordert und auch Justizminister Heiko Maas. Was wäre denn dann Ihrer Meinung nach eine angemessene Konsequenz?
Dagdelen: Eine angemessene Konsequenz ist zunächst einmal, dass man die Kooperationen mit diesem Moscheeverband aussetzt, mindestens aussetzt, wenn nicht sogar beendet. Die bestehenden Staatsverträge einzelner Bundesländer mit DITIB müssen auch vor diesem Hintergrund der eingestandenen - sie ist ja eingestanden worden - Agententätigkeit aufgekündigt werden. Es ist nämlich nicht nachzuvollziehen, dass Vertreter einer Organisation, gegen die wegen Spionage ermittelt wird von der Generalbundesanwaltschaft, weiter auch in der Islamkonferenz der Bundesregierung sitzen können oder auch beim Integrationsgipfel sitzen können als Ansprechpartner. Und eigentlich ist beispielsweise auch, nachdem jetzt herausgekommen ist durch den Deutschlandfunk, dass qua Satzung schon eine institutionelle und organisationspolitische Verflechtung und Durchgriffsrechte sozusagen seitens Ankaras bestehen, muss man natürlich auch vereinsrechtlich überprüfen, ob das eigentlich so geht. Und man muss natürlich auch gucken, ob die Gemeinnützigkeit hier eigentlich nicht zweifelhaft ist, weil es kann ja nicht sein, dass Erdogans Agenten indirekt sogar über deutsche Steuerzahler subventioniert werden durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Das sind die Konsequenzen, die jetzt gezogen werden müssen, und dann muss man sehen, ...
Zerback: Frau Dagdelen, wenn ich da mal ganz kurz einhaken darf. Fakt ist ja auch, dass zahlreiche Moscheen von der DITIB betrieben werden und sich da viele Muslime auch mit ihr verbunden fühlen. Wenn man da jetzt alle Verbindungen kappt, reißt das nicht eine große Lücke? Ist es nicht wichtig, den Gesprächsfaden dort aufrecht zu erhalten?
Dagdelen: Nein. Man soll ja nicht zu den Gläubigen die Verbindungen kappen, sondern man muss sehen, dass die DITIB keine Religionsgemeinschaft ist. DITIB ist eine politische Vertretung Ankaras. Das sieht man allein schon daran, dass der Vorsitzende Botschaftsrat ist. Und es ist kein unabhängiger Religionsverband.
Zerback: Aber mit immerhin 900 türkisch-islamischen Vereinen, die darunter in Deutschland organisiert sind. Und mit vielen, vielen Mitgliedern, die das sicherlich anders sehen.
"DITIB ist auch finanziell abhängig von der Türkei"
Dagdelen: Ja, natürlich! Aber man muss trotzdem gucken, bin ich bereit, laut unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen und Standards mit einem Verband zu arbeiten und religionspolitisch, religionsverfassungsrechtlich, der eigentlich aber nicht die Voraussetzung einer Religionsgemeinschaft erfüllt, sondern eine politische Vertretung eines anderen Staates ist. Und da, finde ich, geht das nicht und da muss man gucken, dass diese Unabhängigkeit gewahrt ist. Es darf keine institutionellen, organisationspolitischen, finanziellen Abhängigkeiten geben von einem anderen Staat. Auch finanziell ist das ja abhängig von der Türkei. Es wird gesteuert, gelenkt, finanziert. Und da, finde ich, muss man auch sagen, das geht so nicht. Wenn ihr als Religionsgemeinschaft hier tätig sein wollt, dann müsst ihr das ändern. Und ich bin immer dafür, dass man differenziert zwischen dem Verband und der Struktur und den Gläubigen. Die Gläubigen können zum größten Teil nichts dafür. Es gibt sogar Gläubige, die in diesen Moscheeverbänden sind, der stellvertretende DITIB-Vorsitzende beispielsweise der Moschee in Hamburg. Der ist ja auch Erdogan-kritisch gewesen. Deshalb wird er aber dort eingeschüchtert und diese Menschen müssen wir doch schützen. Wir müssen uns an die Seite der gläubigen, der frommen Muslime stellen, die nicht ein Regime unterstützen wollen.
Zerback: Diese Differenzierung, die haben wir sicherlich verstanden, Frau Dagdelen. Und trotzdem ist es ja so, wenn wir jetzt gegenüber Ankara dieses klare Zeichen setzen, dann riskieren wir ja weitere Spannungen mit der Türkei. Müsste das nicht eigentlich auch Ziel sein, die zu vermeiden?
Dagdelen: Nein. Ziel muss es sein, den inneren Frieden hier in Deutschland aufrecht zu halten. Ziel muss es sein, auf der Grundlage von Demokratie und auf der Grundlage der sicherheitspolitischen Interessen hier in Deutschland Menschen zu schützen vor Verfolgung, weil genau das passiert nämlich im Moment. Andersdenkende in Deutschland werden von den Schergen des türkischen Regimes in Deutschland eingeschüchtert, zum Schweigen gebracht und bedroht. Und da muss Deutschland sich an die Seite dieser Menschen stellen und nicht an die Seite eines Despoten. Und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wer die DITIB als Ansprechpartner macht zur Integration der Muslime in Deutschland und unverdrossen an dieser Zusammenarbeit deshalb festhält, der macht sich nur was vor, weil die DITIB hier kein richtiger Ansprechpartner ist für die Integration, sondern eher integrationsfeindlich agiert dadurch, dass sie regimetreu als eine Außenstelle hier agiert.
Zerback: Kritik gibt es ja auch immer wieder daran, dass DITIB Demonstrationen organisiert von türkischen Politikern in Deutschland. Heute und auch am Samstag werden in NRW hochrangige Politiker aus Ankara erwartet, darunter unter anderem auch Yildirim, der Regierungschef, um für das Verfassungsreferendum zu werben, mit dem Präsident Erdogan ja aktuell seine Macht ausbauen will. Ist er willkommen?
"Türkischer Ministerpräsident ist hier nicht willkommen"
Dagdelen: Nein, er ist nicht willkommen, weil der Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Oberhausen nicht nur auf die Beseitigung der Demokratie in der Türkei abzielt, sondern auch eine Propagandatour ist, die integrationsfeindlich für die hier lebenden Menschen in Deutschland ist. Er trägt zur weiteren Polarisierung und auch Stimmungsmache bei innerhalb der türkischsprachigen Community in Deutschland. Und ich finde, ein Einreiseverbot durch die Bundesregierung wäre hier das mindeste, um Yildirims Werbefeldzug für die Diktatur hier zu unterbinden. In diesem Zusammenhang finde ich mehr als fragwürdig, wie das NRW-Innenministerium sich hier hinstellt und sagt, diese Propagandaveranstaltung für diese islamistische Diktatur könnte man nicht verhindern, weil Yildirim als Privatmann hier sei. Das ist eine Irreführung durch die NRW-Behörden, auch die Bundesregierung. Über öffentliche Auftritte von ausländischen Staatsoberhäuptern entscheidet die Bundesregierung und deshalb fordere ich die Regierung und die Landesregierung auf, hier keine Erlaubnis zu erteilen, weil das letztendlich uns schaden wird, dieser Auftritt.
Zerback: Die Forderung von Sevim Dagdelen, der Beauftragten für Migration und Integration der Linksfraktion im Bundestag. Besten Dank für das Gespräch.
Dagdelen: Ich danke Ihnen, Frau Zerback.
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