Eine Milliarde Euro soll in die zusätzliche Förderung von Kindern und Jugendlichen fließen, um ihre coronabedingten Lernlücken auszugleichen. So jedenfalls das vage Versprechen von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Spätestens zum neuen Schuljahr sollen zusätzliche Förderangebote bereitstehen, die sich auf die Kernfächer wie Deutsch Mathematik und eventuell auf die erste Fremdsprache beziehen sollen.
Dort könnten möglicherweise Lehramtsstudierende eingebunden werden, pensionierte Lehrkräfte, Bildungsstiftungen sowie private Nachhilfeanbieter, so Karliczek.
Ein Gespräch mit Cornelia Sussieck, Vorsitzende vom Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen:
Regina Brinkmann: Frau Sussieck, eine Milliarde Euro für den Nachhilfemarkt – haben Sie sich da erst einmal glücklich die Hände gerieben, als Sie davon zum ersten Mal hörten?
Cornelia Sussieck: Ja, ich habe mir glücklich die Hände gerieben, aber nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Tatsache, dass die Politik endlich begriffen hat, dass die Nachhilfeinstitute ein Teil des Schulsystems sind.
Wir machen seit Jahrzehnten Unterricht und retten den Schülern die Noten, wir retten zusammen mit den Schülern das Schuljahr, wir verhindern, dass viele Schüler sitzen bleiben, und da haben wir schon ganz viel Arbeit geleistet, aber die Politiker haben das einfach nicht sehen wollen bis jetzt.
Brinkmann: Das Nachhilfeprogramm steckt ja jetzt noch irgendwo in der Abstimmungspipeline zwischen Bund und Ländern – wie schnell können Sie denn Nachhilfe aus dem Hut zaubern?
Sussieck: Wir brauchen gar nicht zu zaubern, denn uns gibt es ja schon seit Jahrzehnten. Wir haben die Immobilien, wir haben die Lehrkräfte, wir können sofort starten. Das haben wir den Politikern ja auch schon während der ganzen Coronakrise angeboten, immer wieder, ein ganzes Jahr lang schon. Unsere Nachhilfeschulen sind zurzeit natürlich nicht voll ausgelastet, das heißt, wir können sofort starten.
"Wir brauchen keine Lehrkräfte, die staatliche Prüfungen haben"
Brinkmann: Mit welchem Personal starten Sie denn da, weil überall wird ja über Lehrkräftemangel und dergleichen geklagt, wen haben Sie da so im Angebot?
Sussieck: Wir greifen natürlich zurück auch auf pensionierte Lehrer, auf Studierende und auch andere Menschen aus unserer Bevölkerung, die Fachkompetenzen haben. Ansonsten bilden wir unsere Lehrkräfte selber aus. Also alle diejenigen, die bei uns arbeiten, bekommen noch extra Schulungen, extra Ausbildung in Methodik und Didaktik, denn Nachhilfe ist ja schließlich was anderes, als vor einer großen Klasse zu unterrichten. Wir brauchen keine Lehrkräfte, die staatliche Prüfungen haben, weil es bei uns um ganz andere Kompetenzen geht.
Brinkmann: Viele Kinder und Jugendliche, die im Distanzunterricht bislang nicht mitgekommen sind, verfügen ja oft nicht über die räumlichen und noch viel schlimmer technischen Voraussetzungen, Online-Nachhilfe würde also erneut an ihren Bedürfnissen vorbeigehen. Wie wollen Sie gerade diesen Schülerinnen und Schülern helfen?
Sussieck: Ja, es muss natürlich Präsenzunterricht sein, insbesondere wenn es um individuelle Förderung geht, ist das die beste, die allerbeste Lösung. Unsere Institute haben alle auch Hygienekonzepte, wir haben Räume, die groß genug sind, und selbstverständlich sind Fenster drin zum Lüften, also da sehen wir keine großen Probleme.
Außerdem hoffen wir natürlich auch, dass zum Sommer hin – und wir würden spätestens gerne in den Sommerferien beginnen mit dieser Unterstützung –, dass bis dahin die Corona-Gefahr auch ein bisschen gebannt ist.
"Die Lehrer werden sehen, dass diese Maßnahmen wirksam sind"
Brinkmann: Jetzt haben Sie ja eben schon gesagt, dass es immer so ein bisschen schwierig ist, dass Ihnen auch so die Anerkennung fehlt, auch von den Schulen, was Ihre Leistungen angeht. Wie wollen Sie sich denn künftig mit den Schulen auch verzahnen und vernetzen, damit eben die Förderung der Schülerinnen und Schüler besonders gut gelingt?
Sussieck: Ich glaube, dass jetzt die Coronakrise eine gute Situation ist, das zu üben. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass die Lehrer in den Schulen – denn die kennen ja ihre Schüler am allerbesten –, eine, ja, es ist ganz einfach, eine DIN-A4-Seite ausfüllen, eine Tabelle, was ist in diesem Schuljahr gemacht worden, wo hat dieser spezielle Schüler seine Lücken, welches Schulbuch wurde benutzt, welche Übungsbücher.
Die Lehrer an den Schulen werden dann auch merken, wie schnell und individuell die Lehrkräfte in den Nachhilfeschulen auch darauf eingehen. Ich erhoffe mir einfach mal, dass da auch ein Vertrauen geschaffen wird, denn die Lehrer werden sehen, dass diese Maßnahmen auch wirksam sind, und zwar hoch wirksam, wenn man mit Schülern einzeln oder in einer kleinen Gruppe den Stoff aufarbeitet.
"Wir arbeiten immer individuell"
Brinkmann: Welche auch zeitlichen Angebote halten Sie dann für sinnvoll oder empfehlenswert – zwei Stunden in der Woche über ein halbes Jahr, haben Sie da auch schon irgendwelche Ideen entwickelt?
Sussieck: Wir arbeiten immer individuell, und deshalb ist es natürlich schwierig, da jetzt feste Zeiträume zu sagen. Die Sommerferien müssen auf jeden Fall genutzt werden, aber nicht um den ganzen Tag zu lernen, sondern um einige Stunden zu lernen, vielleicht zwei oder drei Stunden, und dann haben die Kinder den Rest des Tages auch wieder frei.
Während der Schulzeit, also parallel zum Schulunterricht, werden die Kinder es sicherlich nicht schaffen, mehr als zweimal pro Woche 90, 120 Minuten zusätzlich Unterricht zu nehmen.
Brinkmann: Es gibt Experten, Bildungsforscher, die halten wenig davon, jetzt noch Kinder und Jugendliche mit zusätzlicher Nachhilfe in den Ferien zu belasten.
Sussieck: Nun, wir haben nicht viele Möglichkeiten. Wenn die Kinder abgehängt sind, wenn denen Unterrichtsstoff fehlt, und sie sitzen in der Klasse und kommen nicht mehr mit, verstehen gar nichts mehr, haben wir nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Kinder wiederholen das Schuljahr, was aber nicht immer sinnvoll ist, in einigen Fällen vielleicht, oder sie arbeiten den Stoff auf.
Die Erfolgserlebnisse, die die Kinder dann auch in der Klasse wiederum haben, wenn sie den Stoff aufgearbeitet haben, die sind doch so hoch, dass die Kinder auch motiviert sind, das zu machen. Da sind wir guter Hoffnung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.