"Also, ich hab' mal am Boxring beobachtet, wie ein Boxtrainer nach dem Kampf in die gegnerische Ecke gegangen ist und den gegnerischen Boxer umarmt hat und dann völlig zusammengebrochen ist, geweint hat, und ich hab' mir das dann danach erklären lassen: Dieser Boxtrainer hat beide Schützlinge, die an dem Abend boxten, betreut und musste sich für den Kampf für einen von beiden entscheiden. Und das war eine Entscheidung, die ihn an den Rand dessen getrieben hat, was er aushalten konnte und ihn überfordert hat. Und das sah man in dieser Berührung, die diese Person dann ausstrahlte, was sonst im Boxen, in diesem harten Sport nie vorkommt."
Zu beobachten, wie ein Trainer in der Öffentlichkeit emotional zusammenbricht, war das Saatkorn, das bei Matthias Eckoldt literarische Fantasien keimen ließ. Er wiederholt die außergewöhnliche Szene am Ende seines Romans, der uns mit der Strenge des Alltags von Leistungssportlern vertraut macht und die Geschichte eines Verrates erzählt, den der Verräter zunächst gar nicht als solchen erkennen will. Der Verräter ist ein ostdeutscher Boxer und Talentscout. Er redet sich tatsächlich ein, er könne seine Zöglinge väterlich begleiten. Die Angst vor dem eigenen Abstieg als Trainer blendet den prinzipienfest scheinenden Mann jedoch. Nüchtern setzt Eckoldt in "Letzte Tage" dessen Selbstverlust in Szene. Der Autor erzählt aus der allwissenden Perspektive. Er meidet die Innenschau, versteht sich aber auf die präzise Beschreibung feiner Ungereimtheiten, die viel über die gequälte Seelenlage seiner auf Souveränität bedachten Figuren verraten. Am meisten gibt er über sein Romanpersonal preis, wenn er es schnoddrig-kumpelhafte Dialoge führen lässt oder seinen Helden Toni, durch Alkohol enthemmt und gefährdet, einer delirierenden Selbstbegegnung aussetzt.
Toni steckt im Klammergriff profitstrebender Sportmanager. Die zwei jungen Boxer, die er auf einen Entscheidungskampf vorbereitet, könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine spielt mit dem Gedanken, Musik zu studieren, sucht aber die körperliche Grenzerfahrung und genießt es zudem, seine schöngeistigen Eltern zu brüskieren. Der andere ist ein vernachlässigter Jugendlicher, der im Haus des Trainers aufgenommen und wie ein Küken im Nest hochkalorisch aufgezogen und für den Wettkampf vorbereitet wird. Matthias Eckoldt nimmt den Kampfsport erkennbar ernst. Er hat selber ein vierteljährliches Training absolviert und ausgiebig im Camp des Profibox-Promoters Sauerland recherchiert.
"Es ist einerseits so, dass der Körper in Form gebracht wird, richtig gestählt wird, und alles aushalten muss. Aber andererseits ist es auch ein extrem intelligenter Sport, was man eigentlich gar nicht denkt, wenn man nur das Bild von der Schlägerei im Kopf hat. Es ist extrem intelligent, weil, wenn man sich mal einen Boxkampf in Zeitlupe anguckt, dann sieht man, was da in dem Moment geleistet wird: Wo ein Schlag kommt und der geschlagene Boxer ausweicht und sofort kontert, das sind Sachen, die brauchen eine unglaubliche mentale Fitness auch."
Haken fliegen, Kiefer brechen, das Trommelfell reißt, die Haut platzt auf, Blut und Schweiß trüben den Blick, doch die Kämpfenden gehorchen weiter den Einflüsterungen ihrer Trainer. Nur das eine Ziel wird verfolgt: Wer in den Ring steigt, will siegen. Matthias Eckoldt gelingt es, den Leser über 200 Seiten hinweg soghaft in die körperfixierte Welt der Faustkämpfer hineinzuziehen. Dass aber auch dieser Leistungssport in Zeiten der DDR nichts Unpolitisches war, macht Tonis Wiedersehen mit einem ehemaligen Boxpartner deutlich. Der betreibt seit dem Untergang der DDR eine Kneipe und denkt hinter dem Tresen über die Drangsalierungen der Stasi sowie den Kotau von Sportlern nach. Die Szene, in der der ehemalige Boxer Toni bezichtigt, ihn um des eigenen Fortkommens willen verraten zu haben, ist einer der Höhepunkte des Romans. Eckoldt schafft eine unheimliche Atmosphäre. Immer härter lässt er Kopfnüsse auf Toni niederprasseln. Wie sich die Männer in die Bewusstlosigkeit trinken, um einen Kampf abzuwenden, macht der Autor auf beklemmende Weise physisch spürbar. Tonis Tage sind längst gezählt. Diese Figur, die im Alltag stets nur Kampfsituationen ausmacht und auf Ausschluss gepolt ist, strauchelt in komplexen Lebenssituationen. Die Zukunft gehört Trainerfiguren, die keinen Fetisch aus dem Boxen machen, und auch das eigene existenzielle Scheitern stets vor Augen haben. Tonis Antipode kommt aus der Bronx.
"Für ihn ist Boxen eher was Sozialrevolutionäres, er findet im Boxen eine Lebensart, die identitätsstiftend ist für eine Minderheit. Also Underdogs, Schwarze, Unterdrückte, die boxen und kommen hoch. Das ist fast so ein bisschen eine Sozialromantik, wie Brecht sie hatte. Man könnte sagen, dass Joey boxt, um am Leben zu bleiben und Toni lebt, um boxen zu können."
Tonis Leben läuft auf eine Demütigung auf allen Ebenen hinaus. Dass der Autor es nicht gegen das überlebenstauglichere Underdog-Prinzip ausspielt, macht die Stärke des Romans "Letzte Tage" aus. Gebannt lesen wir von Menschen, die ihrem Körper alles abverlangen, sich dabei nahe sind und doch abhandenkommen.
Matthias Eckoldt: "Letzte Tage", Roman, Dittrich Verlag, 19,90 Euro
Zu beobachten, wie ein Trainer in der Öffentlichkeit emotional zusammenbricht, war das Saatkorn, das bei Matthias Eckoldt literarische Fantasien keimen ließ. Er wiederholt die außergewöhnliche Szene am Ende seines Romans, der uns mit der Strenge des Alltags von Leistungssportlern vertraut macht und die Geschichte eines Verrates erzählt, den der Verräter zunächst gar nicht als solchen erkennen will. Der Verräter ist ein ostdeutscher Boxer und Talentscout. Er redet sich tatsächlich ein, er könne seine Zöglinge väterlich begleiten. Die Angst vor dem eigenen Abstieg als Trainer blendet den prinzipienfest scheinenden Mann jedoch. Nüchtern setzt Eckoldt in "Letzte Tage" dessen Selbstverlust in Szene. Der Autor erzählt aus der allwissenden Perspektive. Er meidet die Innenschau, versteht sich aber auf die präzise Beschreibung feiner Ungereimtheiten, die viel über die gequälte Seelenlage seiner auf Souveränität bedachten Figuren verraten. Am meisten gibt er über sein Romanpersonal preis, wenn er es schnoddrig-kumpelhafte Dialoge führen lässt oder seinen Helden Toni, durch Alkohol enthemmt und gefährdet, einer delirierenden Selbstbegegnung aussetzt.
Toni steckt im Klammergriff profitstrebender Sportmanager. Die zwei jungen Boxer, die er auf einen Entscheidungskampf vorbereitet, könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine spielt mit dem Gedanken, Musik zu studieren, sucht aber die körperliche Grenzerfahrung und genießt es zudem, seine schöngeistigen Eltern zu brüskieren. Der andere ist ein vernachlässigter Jugendlicher, der im Haus des Trainers aufgenommen und wie ein Küken im Nest hochkalorisch aufgezogen und für den Wettkampf vorbereitet wird. Matthias Eckoldt nimmt den Kampfsport erkennbar ernst. Er hat selber ein vierteljährliches Training absolviert und ausgiebig im Camp des Profibox-Promoters Sauerland recherchiert.
"Es ist einerseits so, dass der Körper in Form gebracht wird, richtig gestählt wird, und alles aushalten muss. Aber andererseits ist es auch ein extrem intelligenter Sport, was man eigentlich gar nicht denkt, wenn man nur das Bild von der Schlägerei im Kopf hat. Es ist extrem intelligent, weil, wenn man sich mal einen Boxkampf in Zeitlupe anguckt, dann sieht man, was da in dem Moment geleistet wird: Wo ein Schlag kommt und der geschlagene Boxer ausweicht und sofort kontert, das sind Sachen, die brauchen eine unglaubliche mentale Fitness auch."
Haken fliegen, Kiefer brechen, das Trommelfell reißt, die Haut platzt auf, Blut und Schweiß trüben den Blick, doch die Kämpfenden gehorchen weiter den Einflüsterungen ihrer Trainer. Nur das eine Ziel wird verfolgt: Wer in den Ring steigt, will siegen. Matthias Eckoldt gelingt es, den Leser über 200 Seiten hinweg soghaft in die körperfixierte Welt der Faustkämpfer hineinzuziehen. Dass aber auch dieser Leistungssport in Zeiten der DDR nichts Unpolitisches war, macht Tonis Wiedersehen mit einem ehemaligen Boxpartner deutlich. Der betreibt seit dem Untergang der DDR eine Kneipe und denkt hinter dem Tresen über die Drangsalierungen der Stasi sowie den Kotau von Sportlern nach. Die Szene, in der der ehemalige Boxer Toni bezichtigt, ihn um des eigenen Fortkommens willen verraten zu haben, ist einer der Höhepunkte des Romans. Eckoldt schafft eine unheimliche Atmosphäre. Immer härter lässt er Kopfnüsse auf Toni niederprasseln. Wie sich die Männer in die Bewusstlosigkeit trinken, um einen Kampf abzuwenden, macht der Autor auf beklemmende Weise physisch spürbar. Tonis Tage sind längst gezählt. Diese Figur, die im Alltag stets nur Kampfsituationen ausmacht und auf Ausschluss gepolt ist, strauchelt in komplexen Lebenssituationen. Die Zukunft gehört Trainerfiguren, die keinen Fetisch aus dem Boxen machen, und auch das eigene existenzielle Scheitern stets vor Augen haben. Tonis Antipode kommt aus der Bronx.
"Für ihn ist Boxen eher was Sozialrevolutionäres, er findet im Boxen eine Lebensart, die identitätsstiftend ist für eine Minderheit. Also Underdogs, Schwarze, Unterdrückte, die boxen und kommen hoch. Das ist fast so ein bisschen eine Sozialromantik, wie Brecht sie hatte. Man könnte sagen, dass Joey boxt, um am Leben zu bleiben und Toni lebt, um boxen zu können."
Tonis Leben läuft auf eine Demütigung auf allen Ebenen hinaus. Dass der Autor es nicht gegen das überlebenstauglichere Underdog-Prinzip ausspielt, macht die Stärke des Romans "Letzte Tage" aus. Gebannt lesen wir von Menschen, die ihrem Körper alles abverlangen, sich dabei nahe sind und doch abhandenkommen.
Matthias Eckoldt: "Letzte Tage", Roman, Dittrich Verlag, 19,90 Euro