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Geräusche aus dem Zettelkasten

Arno Schmidt hat häufig im Radio gelesen und somit die akustische Darstellung seiner Texte gebilligt. Der Hörer macht die Erfahrung, dass Schmidts Texte alles andere als spröde oder schwer verständlich sind, egal, wie abweisend das Druckbild mit den vielen Satzzeichen auch wirken mag. Er hört die Musikalität seiner Sprache, hört, wie lebendig und nah am gesprochenen Wort sie klingt. Es soll Schmidt-Leser geben, die - nachdem sie eine Schmidt-Lesung gehört haben - ihre Schmidt-Lektüre daheim laut fortsetzen.

Moderation: Jörg Drews |
    Mit dem Schauspieler Ulrich Wildgruber realisiert der Komponist und Regisseur Klaus Buhlert ein ehrgeiziges und anspruchsvolles Unterfangen: Arno Schmidts Trilogie "Nobodaddy's Kinder" als Radiofassung. Ermöglicht eine akustische Umsetzung einen zusätzlichen Werkzugang? Eine der Fragen, die Jörg Drews mit Klaus Buhlert, Ulrich Wildgruber und Bernd Rauschenbach von der Arno Schmidt Stiftung anhand zahlreicher Klangbeispiele und Lesungen diskutiert. Wir erinnern mit dieser Langen Nacht über Arno Schmidt auch an den Literaturwissenschaftler Jörg Drews, der vor wenigen Wochen verstorben ist.



    Links und Biografisches bei Wikipedia


    Die Arno Schmidt Stiftung

    Die Bedeutung des Schriftstellers Arno Schmidt steht - bezogen auf die Literatur nach 1945 - nicht nur für Bewunderer seit mehreren Jahrzehnten außer Frage. Einer der Schmidts Werke früh schätzen lernte und zu würdigen wusste, war neben Alfred Andersch der weniger bekannte Schriftsteller Werner Riegel. 1955 schrieb Riegel in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift 'Zwischen den Kriegen' : "Wer ist Arno Schmidt? Ich will mein Ergebnis vorweg nehmen: Schmidt ist der bedeutendste deutsche Erzähler der Gegenwart. Ich wüsste ihn nicht anders zu bezeichnen, obwohl keiner seiner Erzählungen Erzählungen genannt werden kann; es ist eine Belletristik, so paradox modern, dass man ihr nur mit barocken Begriffen beikommen kann."

    Arno Schmids Leserkreis ist längst über den jener kleinen elitären Gemeinde in der 50er und 60er Jahren hinausgewachsen: die Auflagen seiner Bücher sind heute so hoch, wie sie sonst nur von klassischen Volksschriftstellern oder aktuellen Bestseller-Autoren erreicht werden. Dieser Erfolg freilich kam posthum. Arno Schmidt war keine Hörspielautor. Für verschiedene Hörfunk-Nachtprogramme schrieb er statt dessen über 'vergessene Kollegen' wie James Fenimore Cooper, Gustav Frenssen, Heinrich Albert Oppermann, Johann Karl Wezel, Karl Philipp Moritz, Christoph Martin Wieland, Karl Ferdinand Gutzow und andere. Das alles ist Literaturgeschichte. Warum aber beschäftigen sich akustische Medien im Jahr 1998 mit Arno Schmidt?
    Eine Antwort lautet: es gilt, einen Erzähler für diese Medien zu entdecken oder auch wiederzuentdecken. Eine weitere Antwort: Arno Schmidts Erzählkunst präsentiert sich in den akustischen Medien, die sich für Sprachkunstwerke eignen, auf neue und ganz eigenständige Weise. Hier wird deutlich, dass Arno Schmidts erzählerische Qualität erheblich auf geschriebener, verdichteter Sprechsprache basiert.

    Herbert Kapfer in: Begleitheft zu:
    Audio Book : Arno Schmidt
    NOBODADDY'S KINDER
    Hörspielbearbeitung: Klaus Buhlert und Herbert Kapfer
    Regie: Klaus Buhlert
    Sprecher: Ulrich Wildgruber, Corinna Harfouch, Juliane Köhler und Jaqueline Macaulay
    erschienen in: DER Hörverlag



    Nobodaddy's Kinder
    Eine Trilogie.
    Aus dem Leben eines Fauns. Brand's Haide. Schwarze Spiegel
    Arno Schmidt
    Mit einem Nachwort von Hans-Ulrich Treichel
    Suhrkamp Verlag 2005

    Den im Jahr 1953 publizierten Kurzroman Aus dem Leben eines Fauns verstand Arno Schmidt als Einleitung einer mit Brand's Haide fortgesetzten und mit Schwarze Spiegel (beide 1951) abgeschlossenen Trilogie, die er 1963 unter dem Titel Nobodaddy's Kinder im Verbund publizierte. Für die Zeit vom totalen Krieg bis zum (imaginierten) Atomkrieg entfaltet der Autor ein giftiges Panorama des Kleinbürgergehabes.

    Der fünfzigjährige Düring registriert im ersten Roman kühl-präzise mit beißenden Kommentaren Verhalten und Meinungen der Menschen während der nationalsozialistischen Herrschaft. Vor der kurzsichtigen Begeisterung seiner Kollegen bei Kriegsausbruch, vor der Dümmlichkeit seiner Vorgesetzten und vor seiner Frau, die den Sohn in den "Heldentod" treibt, zieht sich der "Faun" Düring in eine Blockhütte zurück - die ihn aber nicht vor dem Inferno bei einem Bombenangriff gegen Ende des Kriegs verschont.

    Brand's Haide setzt im Jahr 1946 ein mit dem Versuch eines Kriegsheimkehrers namens Schmidt, sich in einem Heidedorf anzusiedeln.

    Schwarze Spiegel schließlich beschwört die Zukunftsvision einer Welt, die 1955 von einem Atomkrieg vernichtet worden ist und den letzten Überlebenden durch die Ruinen der untergegangenen Zivilisation streifen lässt.


    Versteckte Leben - Arno Schmidts "Nobodaddy's Kinder" in einer Neuauflage
    Nachlesen


    Schmidt hören!
    Auch (oder vielleicht: gerade) der Nicht-Schmidt-Leser weiß von Arno-Schmidt-Texten zumindest soviel: sie wimmeln von Kommata, Doppelpunkten, Ausrufe- und Fragezeichen, Semikolons und Punktfolgen und Gedankenstrichen, und kaum ein Wort wird so geschrieben, wie es laut Duden 'richtich' sein soll. Texte also, die man weder vorlesen noch hören kann, ohne dass Entscheidendes verlorengeht. Richtig? - Gemach.

    Zum einen hat Arno Schmidt selbst oft (und hervorragend) im Radio gelesen, und somit die rein akustische Darbietung seiner Texte sanktioniert. Zum anderen gewinnt der Hörer auch etwas: die Erkenntnis, dass Schmidts Texte alles andere als spröde oder schwer verständlich sind, egal wie abschreckend ihm das Druckbild auf den ersten Blick erscheinen mag. Er hört plötzlich die Musikalität der Schmidtchen Sprache, hört, wie lebendig und nah am gesprochenen Wort sie ist. Und wenn er dann einmal die Lesung im gedruckten Buch verfolgt, wird der lesende Hörer bemerken, dass Schmidts exzessive Zeichensetzung in Wirklichkeit gar kein Lesehindernis als vielmehr Hilfsmittel zur Artikulation und damit auch zum Verständnis des Textes ist. Mit der Interpunktion bestimmt Schmidt Tempo, Pausen, Rhythmus, Betonung, Lautstärke und sogar Tonfall und Melodie seiner Sätze, ja bisweilen selbst die Mimik der Sprechenden. - Es soll Schmidt-Leser geben, die (nachdem sie einmal andere Schmidt haben vorlesen hören) - ihre Schmidt-Lektüre daheim im stillen Kämmerlein laut betreiben. Das wäre zumindest nicht der falscheste Weg, sich Schmidt zu nähern.

    Bernd Rauschenbach im Begleitheft zu Arno Schmidts Hörbuch NOBODADDY'S KINDER


    Bernd Rauschenbach, Autor und Rezitator (u. a. Kurt Schwitters, Arno Schmidt), im Vorstand der Arno Schmidt Stiftung.

    Traumflausn
    Arno Schmidt
    Gesammelt und mit einem Nachwort versehen von Bernd Rauschenbach
    Suhrkamp Verlag 2008

    Vom väterlichen "Radaugesicht" in der frühen Erzählung Gadir über Motetten singende Seehunde aus der Gelehrtenrepublik bis zu Wielands silberner Taschenuhr im letzten Roman Abend mit Goldrand: Die in Arno Schmidts Werke eingestreuten Träume sorgen immer wieder für poetische, surreale und scharfe, erinnerungsträchtige Bilder. Mehrfach hat Schmidt darauf hingewiesen, dass diese Träume nicht von ihm erdichtet, sondern tatsächlich geträumt worden sind. In seinem Nachwort geht Bernd Rauschenbach dieser Behauptung nach und verfolgt (unter Berücksichtigung bislang unveröffentlichter Traumprotokolle Schmidts), wie sich Schmidts Verständnis des Traums gewandelt hat: von einem Mittel, "über die Fläche des Zeitenstromes dahinzuschweifen", zum Freudschen Königsweg in die Tiefen der menschlichen Psyche.

    Arno Schmidt für Boshafte
    Ausgewählt und mit einem Nachwort von Bernd Rauschenbach
    Suhrkamp Verlag 2007

    Klaus Buhlert, Komponist und Hörspielregisseur:

    Ulrich Wildgruber, Schauspieler

    Jörg Drews, Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker