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Gérard Foussier
"Frankreich ist kein Sonderfall"

Der Erfolg des rechtsextremen Front National in Frankreich stehe für eine Entwicklung in Europa, sagte Gérard Foussier, Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitung "Dokumente/Documents". Die demokratischen Parteien müssten sich jetzt fragen, was sie falsch gemacht hätten. Die Franzosen seien enttäuscht, denn die Sozialisten hätten ihre Versprechen nicht eingelöst.

Gérard Foussier im Gespräch mit Bettina Klein |
    Marine Le Pen zeigt sich nach Bekanntwerden der ersten Prognosen der Regionalwahlen erfreut über das Ergebnis für ihren Front National.
    Freude bei Marine Le Pen über das Ergebnis für ihren Front National bei den französischen Regionalwahlen. (picture alliance / dpa / Julien Warnand)
    Bettina Klein: Die Reaktionen auf europäischer Ebene klingen wie folgt: Alarmsignal für ganz Europa, sagt der konservative Politiker Manfred Weber. SPD-Chef Gabriel nennt diesen Wahlausgang einen Schock und einen Weckruf für alle Demokraten. Und der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit sprach in unserem Programm heute Morgen von einer furchtbaren Entwicklung. Gérard Foussier ist Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitung "Dokumente/Documents." Was, glauben Sie, ist der wahre Hintergrund für diesen Wahlausgang?
    Gérard Foussier: Die Franzosen sind verärgert. Der Präsident hatte 2012 versprochen, Schluss mit der Arbeitslosigkeit - wir warten immer noch darauf -, Schluss mit Europa unter deutscher Federführung - jetzt sind sich alle einig, Angela Merkel und Francois Hollande. Das heißt, die Franzosen haben was anderes erwartet. Ob es was Besseres gewesen wäre, ist eine andere Frage. Aber die haben was erwartet, was nicht gekommen ist. Und jetzt durch die Anschläge ist es noch schlimmer geworden. Die Steuern werden höher, die Arbeitslosigkeit wird nicht geringer. Die Franzosen sind enttäuscht!
    Frankreich sucht die Persönlichkeit
    Aber ich glaube, es gibt einen anderen Punkt: Frankreich befindet sich schon heute im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen von 2017, heute schon. Im Frühjahr 2017 wird da gewählt und Frankreich sucht natürlich die Persönlichkeit, die die Franzosen am besten vertreten könnte, und diese Persönlichkeit fehlt im Grunde genommen. Die Chance für Marine Le Pen zu sagen, hier bin ich, ich werde wahrscheinlich diese Persönlichkeit sein.
    Klein: Und diese Chance hat sie Ihrer Meinung nach?
    Foussier: Man darf Regionalwahlen nicht mit Präsidentschaftswahlen vergleichen. Das Wahlrecht ist ein ganz anderes und ich nehme an, dass die Wähler im zweiten Wahlgang, wenn sie Marine Le Pen, die möglicherweise die meisten Stimmen schon beim ersten Wahlgang bekommen hat, gegen den anderen (ob Sozialist oder bürgerlich, das wird sich noch zeigen bis dahin; da kann noch viel passieren), dass die Wähler sagen, gut, dann nehmen wir eben den anderen und nicht die Marine Le Pen. Es ist schon was anderes, ob ein Präsident ein Populist ist oder irgendwo ein Präsident der Regionen in Frankreich Präsident ist.
    Sozialisten haben sich verkalkuliert
    Klein: Sie würden noch mal einen Unterschied machen zwischen der Regionalwahl und der Präsidentschaftswahl 2017. Rechnen Sie denn damit, dass das Ergebnis am kommenden Sonntag in der zweiten Runde bestätigt werden wird?
    Foussier: Das wird möglicherweise sogar noch schlimmer, denn die Sozialisten haben sich ja so richtig verkalkuliert. Die haben gestern verwechselt Mathematik und Kalkül, wenn ich das so ausdrücken darf.
    Klein: Was meinen Sie damit?
    Foussier: Die Arithmetik bedeutet, eins plus eins macht zwei. Wenn Le Pen oder der Front National zu stark ist, müssen die demokratischen Parteien zusammenhalten und dann werden die zusammen stärker sein als diese dritte Kraft, nämlich die Kraft des Front National. Nun haben sie erstaunlicherweise ihre Kandidaten für den zweiten Wahlgang zurückgezogen, wo sie nicht mit Sicherheit die Möglichkeit haben werden zu gewinnen. Das bedeutet aber, dass nur die Bürgerlichen in diesen Regionen gegen Le Pen auftreten werden und dass sechs Jahre lang, egal wer jetzt gewinnt, kein sozialistischer Abgeordneter präsent sein wird in diesen Parlamenten, und das ist natürlich für eine Demokratie nicht die bessere Lösung.
    Klein: Mit welchen konkreten Veränderungen in der Politik rechnen Sie denn jetzt, die der Front National zumindest auf regionaler Ebene einleiten wird?
    Foussier: Ich glaube, wenn Marine Le Pen tatsächlich diese vier oder vielleicht möglicherweise mehr Regionen gewinnt, wird sie sich hüten, irgendwelche Revolutionen zu starten. Die wird im Gegenteil versuchen zu zeigen, wie brav sie sein kann, wie demokratisch sie arbeiten kann, damit sie 2017 bessere Chancen hat, gewählt zu werden. Wenn die jetzt alles kaputt machen würde - Die Befugnisse eines Regionalparlaments in Frankreich sind überhaupt nicht vergleichbar mit den Landesregierungen in Deutschland. Die sind auch sehr begrenzt. Die wird was machen über Schulwesen, über Infrastruktur im Verkehr oder vielleicht ein bisschen Landwirtschaft und Industrie. Das sind nicht mal die Themen des Wahlkampfes gewesen. Die wird auch nicht viel verändern. Die Stimmung, das ist wichtiger, die Stimmung wird sich ändern und die Debatte, die demokratische Debatte in Frankreich wird sehr rau werden.
    Es wird nicht einfacher werden
    Klein: Was heißt das für die muslimische Bevölkerung, wo es ja eine Menge Integrationsprobleme gibt oder gegeben hat, die jetzt offenbar auch zu diesem Wahlergebnis führen?
    Foussier: Das war bis jetzt auch nicht einfach für die Migranten, sagen wir, nicht nur Moslems, auch Afrikaner, Nordafrikaner zum Beispiel. Das wird sicherlich auch nicht einfacher werden. Nur: Man darf auch nicht die Macht eines Regionalparlaments in Frankreich so überschätzen. Die können nicht alles. Die werden den Leuten das Leben schwer machen. Das war aber schon in den Gemeinden. Kommunalwahlen wurden auch gewonnen von dem Front National zum größten Teil. Ich glaube nicht, dass viel passiert, aber das unsichere Gefühl, in einem Frankreich zu leben, wo wir nicht in der Lage sind, genau zu sagen, wie die Zukunft aussehen wird.
    Klein: Weiten wir noch mal den Blick. Ist das ein Phänomen jetzt typisch für diese Zeit in Europa, oder ist Frankreich noch mal ein Sonderfall?
    Foussier: Es ist, glaube ich, in dem Fall kein Sonderfall. Das ist eine Entwicklung in Europa. Das ist ja Populismus schlechthin. Wenn es den Leuten nicht gut geht, dann muss man auch Erklärungen finden, und diese Erklärung ist in dem Mund eines Populisten leichter auszudrücken als bei demokratischen Parteien. Da müssen wahrscheinlich die Parteien, ich sage, nicht diese Woche, aber wahrscheinlich erst nach dem zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag werden die "vernünftigen Parteien", die klassischen Formationen sich endlich überlegen müssen, was haben wir falsch gemacht, was können wir besser machen - ein weites Feld.
    Klein: ... sagt Gérard Foussier zum Ausgang der Wahlen in Frankreich im Interview mit dem Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.