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Geraubte Gebeine aus Namibia
Ärger im Vorfeld der Rückgabe-Zeremonie

Deutschland will in der kommenden Woche Schädel und Gebeine aus der Kolonialzeit an Namibia zurückgeben. Doch die feierliche Übergabe wird bereits im Vorfeld von Streit überschattet. Die namibische Botschaft scheint Kritiker fernhalten zu wollen – darunter den Paramount-Chief der Herero, der in New York gegen Deutschland klagt.

Von Christiane Habermalz |
    Herero- und Nama-Gefangene um 1904 im heutigen Namibia.
    Herero- und Nama-Gefangene um 1904 im heutigen Namibia (afp / National Archives of Namibia)
    Diesmal soll alles richtig gemacht werden. Es ist die dritte Rückgabe von Gebeinen, die zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Namibia zwischen 1884 und 1915 nach Deutschland gebracht wurden, um hier nach rasseideologischen Gesichtspunkten wissenschaftlich untersucht zu werden. 25 Schädel aus der Charité und anderen wissenschaftlichen Instituten in Deutschland sowie eine Herero-Kopfhaut würden übergeben, erklärt Holger Stöcker, Afrikahistoriker an der Humboldtuniversität:
    "Die Schädel sind generell während der deutschen Kolonialzeit nach Berlin gekommen, zum Teil während des Kolonialkrieges, zum Teil aber auch davor und danach. Und es gibt einige, die sind aus Shark Island, also aus dem Internierungslager, das die Deutschen auf der Haifischinsel eingerichtet haben zur Internierung von Herero und Nama nach dem oder während des Krieges, wo sehr viele Gefangene zu Tode gekommen sind."
    Vorgeschichte diplomatischer Fehltritte
    Die erste Repatriierung von Schädeln aus den Beständen der Charité im Jahr 2011 geriet zu einem politischen Fiasko. Aus Namibia war eine 73-köpfige Delegation angereist, darunter ein Minister, Bischöfe, hochrangige traditionelle Führer der Herero und Nama – in Berlin wurden sie von der Politik ignoriert. Eine Übergabe in weißen Pappkartons in der Charité. Kein Empfang, keine offizielle Gedenkfeier – nur eine abgelesene Erklärung einer sichtlich überforderten Staatssekretärin, der FDP-Politikerin Anke Pieper. Sie wurde ausgepfiffen und verließ überstürzt die Veranstaltung.
    Diesmal soll alles anders sein: Ein würdiger Rahmen, ein Gedenkgottesdienstes im Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt, ausgerichtet von der Evangelischen Kirche und dem namibischen Kirchenrat, unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes und der namibischen Botschaft.
    Es geht um zwei Wörter: Völkermord und Entschuldigung
    Doch längst ist die Zeremonie von der Politik eingeholt worden. Bereits im Vorfeld gab es Unmut und Kritik. Die Bundesregierung müsse die Gelegenheit nutzen, um endlich auch eine Entschuldigung auszusprechen für die während der Kolonialzeit begangenen Gräueltaten, fordern die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich seit Jahren für Rückführung der Gebeine und Anerkennung des Völkermords einsetzen. So sieht es auch der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Niema Movassat:
    "Also, es wäre sicherlich gut, wenn im Rahmen dieser Übergabe-Zeremonie die Bundesregierung oder der Vertreter der Bundesregierung, der dort redet, zwei Begrifflichkeiten benutzt: Völkermord und Entschuldigung. Diese beiden Worte sollten in seiner Rede fallen. Das ist dann noch nicht die offizielle Entschuldigung, die dann sicherlich irgendwann zeremoniell dann stattfinden muss, aber das würde ankommen."
    Zeremonie wird in Namibia live übertragen
    Fakt ist: Die Erwartungshaltung auf namibischer Seite ist hoch. Eine Delegation mit über 40 Vertretern reist an, darunter mindestens sechs Oberhäupter der traditionellen Königshäuser der Herero und Nama. Der namibische Botschafter soll darüber hinaus über 700 weitere Einladungen ausgesprochen haben. In Namibia wird dem Ereignis so viel Bedeutung beigemessen, dass die Zeremonie per Livestream in das ganze Land übertragen wird.
    Doch nur wenige Tage vor dem Ereignis ist noch völlig unklar, ob und wer von Seiten der deutschen Politik an der Feier teilnehmen wird. Das Auswärtige Amt hüllt sich in Schweigen: Man werde Details bekannt geben, wenn man so weit sei, hieß es aus der Behörde. Offenbar wird hinter den Kulissen noch verhandelt, wer auftreten soll - Kulturstaatministerin Monika Grütters oder Michelle Müntefering, die für den Bereich auswärtige Kulturpolitik zuständige Staatsministerin im Auswärtigen Amt? Oder gar beide?
    Kritischer Herero-Vertreter nicht eingeladen
    "Wer offiziell dabei ist von der Bundesregierung, wissen wir nicht. Gar nix. Und das ist schon komisch. Denn das sind Sachen, die muss man eigentlich offiziell machen. Und vor allem, wir erwarten auch von Herrn Steinmeier, der damals als Oppositionsführer auch eine Petition im Bundestag unterschrieben hat, dass man den Genozid anerkennen soll, als Völkermord, aber seither hören wir von Herrn Steinmeier überhaupt nichts!", kritisiert der in Berlin lebende Herero-Aktivist Israel Kaunatjike, Mitglied des zivilgesellschaftlichen Bündnisses "Völkermord verjährt nicht".
    Vertreter der afrikanischen Volksgruppen Herero und Nama stehen am 12.10.2017 bei einer Anhörung im Verfahren gegen die Bundesregierung wegen des Völkermords im heutigen Namibia vor dem US-District Court in New York (USA).
    Herero- und Nama-Vertreter um Vekuii Rukoro (rote Jacke) klagen vor einem New Yorker Gericht gegen Deutschland (picture alliance / dpa / Johannes Schmitt-Tegge)
    Ärger gab es auch darüber, dass ausgerechnet die Herero- und Nama-Vertreter, die die Bundesregierung in New York auf Reparationszahlungen verklagen, nicht eingeladen wurden – allen voran der Paramount Chief der Herero, Vekuii Rukoro. Das Auswärtige Amt weist die Vorwürfe zurück. In einer Antwort auf eine schriftliche Frage des Abgeordneten Movassat schrieb Andreas Michaelis, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, die Bundesregierung habe sich bereit erklärt, für 25 traditionelle Führer namibischer Volksgruppen die Reisekosten zu übernehmen. Die Auswahl dieser Vertreter sei aber der namibischen Regierung überlassen worden.
    Verwirrung auch auf namibischer Seite
    Angesichts der insgesamt angespannten Situation keine glückliche Entscheidung, kritisiert Movassat: "Das muss man halt so interpretieren, dass Rukoro zwar nicht von der Zeremonie selbst ausgeladen ist, wobei er anscheinend auch keine Einladung bekommen hat, sondern eben auch nicht Teil der Delegation ist. Was sehr verwunderlich ist, weil er eben der Paramount-Chief ist. Es gibt nur einen Paramount-Chief, und ausgerechnet dem, dem offiziell höchsten Vertreter der Herero, nicht die Reisekosten zu übernehmen, das ist schon ein Affront."
    Rukoro, dessen Amt von der namibischen Regierung offiziell nicht anerkannt wird, kommt jetzt doch zur Zeremonie – und er wird sich nicht den Mund verbieten lassen, so viel steht fest. Das Bündnis "Völkermord verjährt nicht" hat bereits eine Protest-Mahnwache vor dem Dom angekündigt. Der namibische Botschafter Andreas Guibeb agiert mit zunehmender Nervosität – und sorgte zusätzlich für Verwirrung, weil er in Vorab-Einladungsschreiben zur Zeremonie auch die Übergabe der sogenannten Witbooi-Bibel ankündigte. Die Familienbibel des legendären Nama-Führers Hendrik Witbooi war 1893 bei einem brutalen Überfall der Deutschen auf die Siedlung Horncrantz erbeutet worden und über Umwege ins Stuttgarter Lindenmuseum gekommen.
    Doch im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium weiß man nichts von einer Übergabe schon im August. Verwirrung auch bei der Direktorin des Lindenmuseums, Ines de Castro: "Also, der Stand, den ich kenne, und das habe ich nicht zu entscheiden, ist, dass Baden-Württemberg schon sehr lange in Verhandlungen mit Namibia über eine mögliche Rückgabe der Bibel steht, und da müssen noch einige formale Dinge erledigt werden, und geplant ist meines Wissens eine Übergabe Anfang nächsten Jahres."
    Jedes Wort wird auf die Goldwaage kommen
    Die Mischung aus Gerüchten, gestreuten Fehlinformationen und Geheimhaltung bewirken zumindest eins: Sie erhöhen den Erwartungsdruck. Ohnehin ist die Situation angespannt. Seit Jahren warten die Herero und Nama auf eine offizielle Entschuldigung durch die deutsche Regierung. Die soll aber erst nach Abschluss der Versöhnungsverhandlungen zwischen Deutschland und Namibia erfolgen. Doch die ziehen sich seit über drei Jahren hin – und noch immer sind die erlösenden Worte nicht ausgesprochen worden. Das Misstrauen vieler Herero und Nama gegen die eigene Regierung wächst.
    Sicher ist schon jetzt: Jedes Wort, das am kommenden Mittwoch von offizieller deutscher Seite gesprochen werden wird, wird in Namibia auf die Goldwaage gelegt werden. So wird die Rückgabezeremonie, bei der doch diesmal alles richtig gemacht werden soll, zum diplomatischen Drahtseilakt.