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Gerbrand Bakkers Diarium
Protokoll eines Leidens

Der niederländische Autor Gerbrand Bakker ist einer der besten und erfolgreichsten Autoren seines Landes. In seinem neuen Buch "Jasper und sein Knecht" berichtet er nun von seinem Alltag in der Abgeschiedenheit des dörflichen Lebens in der Eifel und spürt zugleich seiner eigenen, komplizierten Lebensgeschichte nach.

Von Holger Heimann | 22.05.2017
    Aufnahme vom 28.09.2008.
    Frühnebel in der Eifel (picture alliance / dpa / Franz-Peter Tschauner)
    Fünf Romane hat der niederländische Autor Gerbrand Bakker geschrieben. Sie erzählen mit einer ruhigen Intensität und viel Gespür für Atmosphären und Stimmungen von einer bäuerlichen Welt. Bakkers Beschreibungen von Tieren und Pflanzen wirken dabei in ihrer schönen Detailgenauigkeit wie eine literarische Anverwandlung berühmter niederländischer Landschaftsmalerei. Die europäische Literaturkritik hat sich förmlich überschlagen und im Überschwang sogar befunden, Gerbrand Bakker gehöre zweifellos zu den größten lebenden Roman-Autoren. Aber plötzlich sagt eben dieser gefeierte Mann:
    "Ich habe einfach keine Lust, einen Roman zu schreiben. Warum? Alle diese Prätentionen. Es ist alles so nichts. Jeden Tag kommen so viele Romane heraus. Man hört öfters, dass Schriftsteller, die einige Romane geschrieben haben, eigentlich ein bisschen fertig sind damit und dann auch anfangen, so eine Art Tagebuch zu schreiben. Weil das ist echt, das ist wirklich. Es gibt schon so viele Geschichten in unserem Leben. Warum muss man die dann erfinden als Schriftsteller?"
    Notate aus dem unspektakulären Alltagsleben
    Solch ein Tagebuch hat er nun verfasst. Es ist vordergründig das Protokoll eines Jahres in der Eifel, wo Bakker seit vier Jahren lebt. Der zufriedene Einsiedler schreibt über das abgelegene Haus, das er sich gekauft hat und über den Garten, um den er sich kümmert – und den der diplomierte Gärtner mit Hingabe zum Blühen bringt. Immer wieder erzählt er von seinem engsten Gefährten, dem eigenwilligen Hund Jasper, der einfach nicht gehorchen will. Es sind Notate aus dem unspektakulären Alltagsleben eines Mannes, der sich – des lauten Literaturbetriebs überdrüssig – in die Abgeschiedenheit eines kleinen Eifeldorfes zurückgezogen hat. Doch dann – nach zwei Monaten – folgt ein Eintrag mit Signalwirkung:
    "Einfach immer weiterschreiben. Sitzen und tippen. Keine schädlichen Gedanken dulden, wie zum Beispiel: "Was für ein Gelaber" oder "Warum mache ich das eigentlich?" Mich heimlich aber doch fragen, wann ich nun endlich auf die Geschichte meiner psychischen Verfassung zu sprechen komme. Das schiebe ich vor mir her, sicherer ist es jetzt, etwas über einen Cashin-Ofen zu schreiben und über Jasper und das Wetter und die Haubenmeisen. Vögel sind etwas sehr Tröstliches."
    Aus Tagebuchaufzeichungen wird das Protokoll eines Leidens
    Im Fortgang wird dieses Tagebuch immer mehr zu einer Selbsterkundung, zum Protokoll eines Leidens. Gerbrand Bakker schreibt über ein latentes Unwohlsein, das er schon als Halbwüchsiger mit sich herumschleppt. Ein Therapeut gibt dieser Grundstimmung erst spät einen Namen: Depression – der 1962 geborene Autor ist da bereits 48 Jahre alt. In seinem Tagebuch kehrt Gerbrand Bakker nun zurück zu frühen, düsteren, durch den Unfalltod eines Bruders zusätzlich überschatteten Kindheitserfahrungen, zu denen er erst jetzt einen Schlüssel in der Hand hält.

    "Eine Depression macht egoistisch, macht den Umgang mit Menschen zum Problem, wirkliches Interesse für jemand anderen oder Empathie zu empfinden ist schwierig, die eigenen Gefühle zu ergründen unmöglich, da man sie gerade auf Distanz halten will. "Unverträglich" hat Klassenlehrer van Dijk in mehreren meiner Zeugnisse vermerkt. Das passt auch noch ins Bild."
    Ein misanthropischer Einsamer ist er nicht
    Gerbrand Bakker schreibt mit einer Offenheit, die das Peinliche und Peinigende nicht ausspart. Er erzählt im Rückblick von einem Leben, das zumeist eine Abfolge von Durchschleppphasen war und sich oft genug einfach nur falsch anfühlte. Bakker porträtiert sich dabei selbst als schwierigen Menschen – "mit einer sehr ausführlichen Gebrauchsanweisung, in der ganze Abschnitte auf Chinesisch geschrieben sind". Ein misanthropischer Einsamer ist er trotzdem nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die diese Gebrauchsanweisung vielleicht nicht ganz entziffert haben, aber dem Freund, Nachbarn und Bruder trotzdem unbeirrt zur Seite stehen. Und da ist überdies der scheue Hund Jasper – selbst ein komplizierter Fall, um den wiederum sein Besitzer sich hingebungsvoll bemüht. Mit stoischer Ruhe wischt Gerbrand Bakker, der alles andere als der Herr in dieser Beziehung ist, immer wieder Urinpfützen im Wohnzimmer auf und entsorgt Kothaufen vom Teppich. Wie es ihm allmählich gelingt, vertrauter mit dem Tier zu werden, das ist eine herzerwärmende Freundschaftsgeschichte.
    "Das ist in dem Jahr, das ich beschreibe, immer besser gegangen, dass ich verstanden habe: So bist du. Und entsprechend muss ich mit dir umgehen. Ich muss nicht versuchen, dir meinen Willen aufzudrängen. ... Ich denke, dass das der Grund war, dass es doch so Entwicklungen gab, dass er doch mehr und mehr bei mir blieb beim Wandern, weil ich nicht mehr so gerne wollte. Was natürlich ganz oft im Leben so ist, wenn man zu gerne etwas will, dann geht es schief. Man muss immer ein bisschen mitbeugen. Dann geht es, denke ich, am besten. Oder?"
    So etwas wie ein Lebensroman
    Gerbrand Bakker hat in all seinen Romanen auch vom eigenen Erleben erzählt, aber nie so direkt und unmittelbar wie in diesen Notaten. Die Drohung, keinen Roman mehr schreiben zu wollen, muss Fans dieses Autors nicht ängstigen. Denn Gerbrand Bakker hat seiner – auch in dem Diarium immer wieder aufgegriffenen – Ankündigung ein Buch folgen lassen, das genau betrachtet so etwas wie ein Lebensroman geworden ist. "Jasper und sein Knecht" erzählt eindringlich und genau von einem Mann und seinem Ringen mit einer peinigenden Krankheit und daneben immer wieder auch von einem stillen Glück und Momenten des Einverstandenseins mit dem Dasein. Es ist nicht zuletzt das Buch einer eindrucksvollen Selbstvergewisserung.
    Gerbrand Bakker: "Jasper und sein Knecht". Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, Suhrkamp Verlag, 448 Seiten, 24 Euro