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Gerbstoffe für Herz und Hirn

Medizin. - Wer wollte nicht ein ordentliches Stückchen Schokolade verdrücken und mit ein paar Gläschen Rotwein hinunterspülen - und das alles ohne schlechtes Gewissen. Vielleicht eine etwas aparte Mischung, aber durchaus gehaltvoll nicht nur an Zucker und Alkohol, sondern auch an Gerbstoffen, so genannten Flavonoiden. Diese Substanzgruppe steht seit Jahren im Ruf, erstaunliche Wirkungen im Dienste der Gesundheit zu besitzen. Jetzt wollen Wissenschaftler die Gerüchte mit harten Studienfakten untermauern.

    Für Genießer würde ein Traum wahr werden, wenn sich bewahrheiten würde, was unter anderem Rotwein und Schokolade nachgesagt wird. Denn darin enthaltene Gerbstoffe, so genannte Flavonoide, sollen beispielsweise der Atherosklerose von Gefäßen entgegen wirken. Ein interessanter Aspekt, den die derzeit auf dem Jahrestreffen der US-Wissenschaftsvereinigung AAAS in Boston versammelte Expertengemeinde zukünftig besser beleuchten will. "Wenn es sich um Flavonoide dreht, schwingt so etwas wie vorauseilender Enthusiasmus der Öffentlichkeit mit. Allerdings müssen ihre Wirkungen noch besser untersucht werden", konstatiert Helmut Sies, Professor für Physiologische Chemie an der Universität Düsseldorf. Andererseits spreche vieles dafür, dass man zumindest nicht von ein paar Gläsern Wein oder Bier oder einem Riegel Schokolade abraten müsse.

    Die Forschung an den heilsamen Gerbstoffen steht indes noch am Anfang. Zwar nehmen wir sie täglich mit der Nahrung auf, doch ob wir die Substanzen ausgesprochen brauchen, ist unklar. "Die zu den Flavonoiden gehörenden Polyphenole stehen nicht im Status eines Vitamins, das dem Körper von außen zugeführt werden muss. Auch wissen wir derzeit nicht, wie der Körper auf ein totales Weglassen diese Stoffe reagieren würde." Nicht im Tierversuch, sondern direkt am Menschen versuchen die Biochemiker jetzt, den wundersamen Stoffen auf den Leib zu rücken. So belegt eine Studie des US-Forschers Carl Keen von der Universität Kalifornien, dass Flavonoide ähnlich wirken wie "Aspirin". Dazu Helmut Sies: "Dabei zeigte sich, dass zwei Stunden nach dem Konsum von Schokolade in den Blutplättchen eine ähnliche Veränderung der Prostaglandine und Leukotriene auftritt." Diese Substanzen sind wichtige Botenstoffe in der Blutgerinnung und der Körperabwehr, die bei den entzündlichen Prozessen der so genannten Gefäßverkalkung eine zentrale Rolle spielen. Die vom Aspirin bereits bekannte Entzündungshemmung, die jetzt auch den Gerbstoffen zugeschrieben wird, schränke die Gefäßveränderungen effektiv ein.

    Geradezu elektrisiert sind die Wissenschaftler angesichts neuer Hinweise, dass Flavonoide sogar direkt in genetische Prozesse eingreifen könnten: "Professor Lester Packer aus Kalifornien zeigte, dass durch Flavonoide aus dem Gingko-Baum bei Mäusen und Ratten verschiedene Gene in Gehirnzellen sehr gezielt an- und abgeschaltet wurden", erläutert der Düsseldorfer Biochemiker. Ob die Gerbstoffe möglicherweise sogar auf Konzentrationsfähigkeit oder Erinnerungsvermögen Einfluss haben könnten, sei völlig offen, müsse jedoch weiter untersucht werden.

    [Quelle: Volker Mrasek]