Ich bin entsetzt, bestürzt und betroffen über das, was sich hier im Heysel-Stadion vor knapp 60.000 Zuschauern in den letzten 60 Minuten abgespielt hat. Der Sport, gedacht als eine Völkerverbindung, wurde hier zum Vehikel für bürgerkriegsähnliche Zustände, und es hat ganz, ganz schwere Ausschreitungen gegeben zwischen den Fans des FC Liverpool und den Fans des Juventus Turin.
Ein Horrorszenario: Im Juni 1985 kommt es vor dem Europapokalfinale im Brüsseler Heyselstadion zu schweren Ausschreitungen. Am Ende sind es 39 Tote und 454 Verletzte. Was treibt Menschen dazu, das Fußballstadion als Schlachtfeld zu missbrauchen? Welche Motive treiben die Hooligans, Rechtsextremen und Ultras an? Und wie unterscheiden sich diese Gruppierungen? Der Kölner "PapyRossa"-Verlag hat nun ein Buch herausgegeben, das sich dem weiten Problemfeld "Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball", so der Untertitel, annimmt: "Tatort Stadion" heißt es, und dieser Titel impliziert bereits die Marschrichtung: Von Rechtsextremismus bis Homosexuellenfeindlichkeit, von der Amateurliga bis zur Weltmeisterschaft und schließlich auch vom Fußballstadion im speziellen bis zur Gesellschaftskritik im allgemeinen: Der Rahmen ist weit gesteckt.
Auf den 214 Seiten liest man zu jedem dieser Themen Aufsätze von verschiedenen Gastautoren, ganz metiergerecht untergliedert in erste, zweite und, auch die gibt es hier, dritte Halbzeit. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass diese Unterteilung nicht nur ironische Spielerei ist, sondern durchaus Sinn macht: Finden sich in der ersten Halbzeit vier Beiträge zu geschichtlichen und politischen Themen, etwa mit dem Titel "Borussia Dortmund im Nationalsozialismus", werden in der zweiten Halbzeit dann so konkrete Fälle wie "Sexismus im Stadion" aufgegriffen.
"Dritte Halbzeit" klingt nun überflüssig, drangehängt und paradox, befasst sich aber mit so wichtigen Themen wie Arbeitsgruppen und Fan-Initiativen, die sich vorgenommen haben, die in den ersten beiden Halbzeiten geschilderten Probleme zu bekämpfen, ist also überfällig, passend und sinnig. Die Herausgeber Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle schreiben in der Einleitung:
Wenn Rassismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen, werden auch Fußballstadien und ihr Umfeld regelmäßig zum Tatort. Neben Torjubel und Tränen werden die Zuschauerränge für eine Minderheit zur Bühne. Sie nutzt Fußball als Ventil für diskriminierende Strömungen, die im tolerierten alltäglichen Rassismus verwurzelt sind. Auch Antisemitismus und Sexismus sind gesellschaftliche Phänomene, die im Fußball wie durch ein Brennglas an Schärfe gewinnen.
Fußball also als Fokus dessen, was in der Gesellschaft zwar entsteht, dort aber nur latent Einzug hält. Im Text "Ultra(rechts) in Italien" schreibt Jürgen Scheidle demgemäß:
Jedes Land hat die Fußballfans, die es produziert.
Rassismus, Antisemitismus und Sexismus rund um den Fußballplatz werden von den Autoren nicht in eine Ecke gestellt, um sie mit erhobenem Finger abzustrafen, sondern es werden Erklärungen gesucht. Da verwundert es nicht, dass sich in der Riege der Soziologen, aus der sich fast die Hälfte der Autoren rekrutiert, der Geist Theodor W. Adornos wie ein roter Faden durch die Texte zieht. Das wirkt nicht etwa pseudointellektuell oder fehl am Platze, sondern passt wie die Hooliganfaust aufs Auge. So zieht etwa Andreas Bruderus, der in "Bild dir deine Meinung..." den ganz alltäglichen Rassismus in den Massenmedien untersucht, die Frankfurter Schule zu Rate:
Theodor W. Adorno und das Frankfurter Institut für Sozialforschung entwickelten nach empirischen sozialpsychologischen Untersuchungen das Modell des autoritären Charakters. Die unmündigen Individuen, deren Charakter vor allem durch die autoritäre Beschaffenheit des Staates verformt worden ist, teilen die Welt in zwei Hälften ein und ordnen die Anderen entweder der starken Eigen- oder der schwachen Fremdgruppe zu.
Bei dem Charakter einer Aufsatzsammlung, die "Tatort Stadion" nun mal ist, lässt sich Redundanz leider nicht immer vermeiden, und so wird der "autoritäre Charakter" in zwei unterschiedlichen Beiträgen nahezu identisch erklärt. Trotzdem bleibt der Leser am, hier nicht nur sprichwörtlichen, Ball, denn viele Autoren gleichen die Redundanzen durch ihren Schreibstil aus, so dass zwar vieles ähnlich, nichts aber gleich klingt. Oft nämlich sind die Texte voll tiefgründiger Ironie und bieten einen für ein Sachbuch ungewöhnlichen literarischen Wert. Markus Flohr schreibt z.B. in "Rote Karte für Fußball Greencards?":
Die Sport-Bild bringt es auf den Punkt: "Ausländerschwemme" schreiben die Sportexperten aus dem Springer-Haus. Wie "Rückpass" oder "Viererkette". Und so vorhersehbar wie sicher findet sich in nahezu jeder neuen Ausgabe eine weitere Episode ihres aufopferungsvollen Kampfes gegen diese "Schwemme", für die Zukunft der Bundesliga, für die deutsche Nationalmannschaft, für Deutschland.
Lothar Matthäus, den Klaus Walter in seinem Beitrag zum Thema "Rassismus im Amateurfußball" zitiert, soll auf dem Oktoberfest gar zu einem niederländischen Hobbyfilmer gesagt haben:
Auch noch Holländer. Das sind sowieso alles Arschlöcher. Du bist wohl vergessen worden von Adolf.
Ist es an anderen Stellen noch der Humor, der als sarkastische Waffe gegen den unterschwelligen Rassismus eingesetzt wird, kann nach diesem kurzen Zitat von unterschwellig keine Rede mehr sein. Auch nicht wenige Fans machen in Stadien ihrem Hass auf Ausländer ganz unverblümt Platz.
"Zick Zack Zigeunerpack!" (Fangesang)
Die Autoren machen aber nicht den Fehler, Rechtsradikale, Hooligans und Ultras in eine Schublade zu stecken, sondern differenzieren haarscharf: Kleidung, Ideologie und Geschichte - nach dem Lesen versteht man besser, warum ein Hooligan noch lange keine rechten Parolen brüllen muss.
"Sieg!" (Fangesang)
Und betrachtet man das Stadion als Brennglas der Stimmungslage der Nation, wird schnell klar, dass es auch mit der Gleichberechtigung in Deutschland nicht weit her sein kann. Sexismus im Fußball ist, sowohl in Form von eindeutigem Gegröle offen zur Schau getragen, als auch subtiler, etwa wenn die von der TV-Kamera eingefangenen weiblichen Fans immer rein zufällig leicht bekleidet sind, an der Tagesordnung. Der Text "Sexismus im Stadion" von Antje Hagel und Steffie Wetzel beleuchtet das Problem und skizziert Lösungsvorschläge. Gerd Dembowski gelingt in seinem Text "Von Schwabenschwuchteln und nackten Schalkern" ein enthüllender Blick auf eine andere Art von offenem Sexismus: Sprechchöre wie "Arbeitslos und homosexuell / Das ist der VfL" verweisen auf eine ausgeprägte Homosexuellenfeindlichkeit. Warum der Besuch im Stadion für einen Homosexuellen dennoch lohnend sein kann, beschreibt ein Schalke-Fan im Fanzine "Schalke unser", den Dembowski zitiert:
Es ist definitiv so, dass es nirgendwo leichter ist, Körperkontakt mit Männern zu haben als im Stadion. Wer als Homo lange keine Zärtlichkeiten mehr ausgetauscht hat, dem empfehle ich, in die Nordkurve zu gehen und zu warten, bis unsere Mannschaft ein Tor schießt.
"Tor! Tor! Tor!” (Kommentator)
Es wird sich umarmt und geherzt und geküsst, dass sich die Balken biegen.
Solche genauen Beobachtungen zeichnen alle Texte aus, man merkt, dass ihre Autoren sich schon lange mit der Thematik auseinandersetzen. Besonders die Texte der "dritten Halbzeit", also aus dem dritten Teil des Buches, zumeist von gestandenen Mitgliedern wichtiger Fan-Initiativen verfasst, liefern Informationen und Eindrücke, vor allem aber Ansätze zur Vermeidung des Tatorts Stadion, aus erster Hand.
Auch wenn an einer Stelle, peinlich peinlich, Edmund Stoiber zu Edmond umgetauft wurde, sind solche Patzer eher selten. Das Buch ist übersichtlich gegliedert und mit einigen illustrierenden Fotos und Zeitungsausschnitten auch ansprechend gestaltet. Inhaltlich bleibt ein ausgewogener Eindruck der Textsammlung, die sich um Vielschichtigkeit bemüht und es auch nicht versäumt, neben den Ursachen auch praxiserprobte Lösungsvorschläge, etwa die Integration in antirassistische Netzwerke, zu präsentieren.
Denn irgendwie hängt hier alles zusammen - deshalb wohl auch die inhaltlichen Überschneidungen und deshalb wohl auch die von vielen Autoren gewählte Variante der Beendigung ihrer Texte: Drei Punkte. Hat man erst einmal die Augen für die Ursachen geöffnet, erweisen sich die radikalen Fans nur als Stürmer in einem Team, dessen Hintermannschaft noch lange nicht vollständig erkannt ist.
Auch alle Beiträge zusammen können längst nicht dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden.
So schreibt es auch Gerd Dembowski in seiner Einleitung. Es wäre vermessen, diese Unvollständigkeit dem Buch zum Vorwurf zu machen, denn Vollständigkeit ist hier unerfüllbar. Vielmehr ist lobend anzuerkennen, dass sich die Autoren dem Schlaglichtcharakter ihrer Texte bewusst sind. Dabei geben sie einen so tiefen und assoziationsreichen Einblick in ihr Gebiet, dass der gesellschaftliche Brennpunkt Stadion einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf geht. Schnell ertappt man sich dabei, dem nächsten Fußballkommentator einmal ganz genau zuzuhören. Und wer hätte erwartet, bei einer neuerlichen Adorno Lektüre plötzlich Bilder grölender Fußballfans im Kopf zu haben?
"Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball". Herausgegeben von Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle im Papyrossa Verlag Köln, 214 Seiten zum Preis von 12 Euro und 90 Cent.
Ein Horrorszenario: Im Juni 1985 kommt es vor dem Europapokalfinale im Brüsseler Heyselstadion zu schweren Ausschreitungen. Am Ende sind es 39 Tote und 454 Verletzte. Was treibt Menschen dazu, das Fußballstadion als Schlachtfeld zu missbrauchen? Welche Motive treiben die Hooligans, Rechtsextremen und Ultras an? Und wie unterscheiden sich diese Gruppierungen? Der Kölner "PapyRossa"-Verlag hat nun ein Buch herausgegeben, das sich dem weiten Problemfeld "Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball", so der Untertitel, annimmt: "Tatort Stadion" heißt es, und dieser Titel impliziert bereits die Marschrichtung: Von Rechtsextremismus bis Homosexuellenfeindlichkeit, von der Amateurliga bis zur Weltmeisterschaft und schließlich auch vom Fußballstadion im speziellen bis zur Gesellschaftskritik im allgemeinen: Der Rahmen ist weit gesteckt.
Auf den 214 Seiten liest man zu jedem dieser Themen Aufsätze von verschiedenen Gastautoren, ganz metiergerecht untergliedert in erste, zweite und, auch die gibt es hier, dritte Halbzeit. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass diese Unterteilung nicht nur ironische Spielerei ist, sondern durchaus Sinn macht: Finden sich in der ersten Halbzeit vier Beiträge zu geschichtlichen und politischen Themen, etwa mit dem Titel "Borussia Dortmund im Nationalsozialismus", werden in der zweiten Halbzeit dann so konkrete Fälle wie "Sexismus im Stadion" aufgegriffen.
"Dritte Halbzeit" klingt nun überflüssig, drangehängt und paradox, befasst sich aber mit so wichtigen Themen wie Arbeitsgruppen und Fan-Initiativen, die sich vorgenommen haben, die in den ersten beiden Halbzeiten geschilderten Probleme zu bekämpfen, ist also überfällig, passend und sinnig. Die Herausgeber Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle schreiben in der Einleitung:
Wenn Rassismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen, werden auch Fußballstadien und ihr Umfeld regelmäßig zum Tatort. Neben Torjubel und Tränen werden die Zuschauerränge für eine Minderheit zur Bühne. Sie nutzt Fußball als Ventil für diskriminierende Strömungen, die im tolerierten alltäglichen Rassismus verwurzelt sind. Auch Antisemitismus und Sexismus sind gesellschaftliche Phänomene, die im Fußball wie durch ein Brennglas an Schärfe gewinnen.
Fußball also als Fokus dessen, was in der Gesellschaft zwar entsteht, dort aber nur latent Einzug hält. Im Text "Ultra(rechts) in Italien" schreibt Jürgen Scheidle demgemäß:
Jedes Land hat die Fußballfans, die es produziert.
Rassismus, Antisemitismus und Sexismus rund um den Fußballplatz werden von den Autoren nicht in eine Ecke gestellt, um sie mit erhobenem Finger abzustrafen, sondern es werden Erklärungen gesucht. Da verwundert es nicht, dass sich in der Riege der Soziologen, aus der sich fast die Hälfte der Autoren rekrutiert, der Geist Theodor W. Adornos wie ein roter Faden durch die Texte zieht. Das wirkt nicht etwa pseudointellektuell oder fehl am Platze, sondern passt wie die Hooliganfaust aufs Auge. So zieht etwa Andreas Bruderus, der in "Bild dir deine Meinung..." den ganz alltäglichen Rassismus in den Massenmedien untersucht, die Frankfurter Schule zu Rate:
Theodor W. Adorno und das Frankfurter Institut für Sozialforschung entwickelten nach empirischen sozialpsychologischen Untersuchungen das Modell des autoritären Charakters. Die unmündigen Individuen, deren Charakter vor allem durch die autoritäre Beschaffenheit des Staates verformt worden ist, teilen die Welt in zwei Hälften ein und ordnen die Anderen entweder der starken Eigen- oder der schwachen Fremdgruppe zu.
Bei dem Charakter einer Aufsatzsammlung, die "Tatort Stadion" nun mal ist, lässt sich Redundanz leider nicht immer vermeiden, und so wird der "autoritäre Charakter" in zwei unterschiedlichen Beiträgen nahezu identisch erklärt. Trotzdem bleibt der Leser am, hier nicht nur sprichwörtlichen, Ball, denn viele Autoren gleichen die Redundanzen durch ihren Schreibstil aus, so dass zwar vieles ähnlich, nichts aber gleich klingt. Oft nämlich sind die Texte voll tiefgründiger Ironie und bieten einen für ein Sachbuch ungewöhnlichen literarischen Wert. Markus Flohr schreibt z.B. in "Rote Karte für Fußball Greencards?":
Die Sport-Bild bringt es auf den Punkt: "Ausländerschwemme" schreiben die Sportexperten aus dem Springer-Haus. Wie "Rückpass" oder "Viererkette". Und so vorhersehbar wie sicher findet sich in nahezu jeder neuen Ausgabe eine weitere Episode ihres aufopferungsvollen Kampfes gegen diese "Schwemme", für die Zukunft der Bundesliga, für die deutsche Nationalmannschaft, für Deutschland.
Lothar Matthäus, den Klaus Walter in seinem Beitrag zum Thema "Rassismus im Amateurfußball" zitiert, soll auf dem Oktoberfest gar zu einem niederländischen Hobbyfilmer gesagt haben:
Auch noch Holländer. Das sind sowieso alles Arschlöcher. Du bist wohl vergessen worden von Adolf.
Ist es an anderen Stellen noch der Humor, der als sarkastische Waffe gegen den unterschwelligen Rassismus eingesetzt wird, kann nach diesem kurzen Zitat von unterschwellig keine Rede mehr sein. Auch nicht wenige Fans machen in Stadien ihrem Hass auf Ausländer ganz unverblümt Platz.
"Zick Zack Zigeunerpack!" (Fangesang)
Die Autoren machen aber nicht den Fehler, Rechtsradikale, Hooligans und Ultras in eine Schublade zu stecken, sondern differenzieren haarscharf: Kleidung, Ideologie und Geschichte - nach dem Lesen versteht man besser, warum ein Hooligan noch lange keine rechten Parolen brüllen muss.
"Sieg!" (Fangesang)
Und betrachtet man das Stadion als Brennglas der Stimmungslage der Nation, wird schnell klar, dass es auch mit der Gleichberechtigung in Deutschland nicht weit her sein kann. Sexismus im Fußball ist, sowohl in Form von eindeutigem Gegröle offen zur Schau getragen, als auch subtiler, etwa wenn die von der TV-Kamera eingefangenen weiblichen Fans immer rein zufällig leicht bekleidet sind, an der Tagesordnung. Der Text "Sexismus im Stadion" von Antje Hagel und Steffie Wetzel beleuchtet das Problem und skizziert Lösungsvorschläge. Gerd Dembowski gelingt in seinem Text "Von Schwabenschwuchteln und nackten Schalkern" ein enthüllender Blick auf eine andere Art von offenem Sexismus: Sprechchöre wie "Arbeitslos und homosexuell / Das ist der VfL" verweisen auf eine ausgeprägte Homosexuellenfeindlichkeit. Warum der Besuch im Stadion für einen Homosexuellen dennoch lohnend sein kann, beschreibt ein Schalke-Fan im Fanzine "Schalke unser", den Dembowski zitiert:
Es ist definitiv so, dass es nirgendwo leichter ist, Körperkontakt mit Männern zu haben als im Stadion. Wer als Homo lange keine Zärtlichkeiten mehr ausgetauscht hat, dem empfehle ich, in die Nordkurve zu gehen und zu warten, bis unsere Mannschaft ein Tor schießt.
"Tor! Tor! Tor!” (Kommentator)
Es wird sich umarmt und geherzt und geküsst, dass sich die Balken biegen.
Solche genauen Beobachtungen zeichnen alle Texte aus, man merkt, dass ihre Autoren sich schon lange mit der Thematik auseinandersetzen. Besonders die Texte der "dritten Halbzeit", also aus dem dritten Teil des Buches, zumeist von gestandenen Mitgliedern wichtiger Fan-Initiativen verfasst, liefern Informationen und Eindrücke, vor allem aber Ansätze zur Vermeidung des Tatorts Stadion, aus erster Hand.
Auch wenn an einer Stelle, peinlich peinlich, Edmund Stoiber zu Edmond umgetauft wurde, sind solche Patzer eher selten. Das Buch ist übersichtlich gegliedert und mit einigen illustrierenden Fotos und Zeitungsausschnitten auch ansprechend gestaltet. Inhaltlich bleibt ein ausgewogener Eindruck der Textsammlung, die sich um Vielschichtigkeit bemüht und es auch nicht versäumt, neben den Ursachen auch praxiserprobte Lösungsvorschläge, etwa die Integration in antirassistische Netzwerke, zu präsentieren.
Denn irgendwie hängt hier alles zusammen - deshalb wohl auch die inhaltlichen Überschneidungen und deshalb wohl auch die von vielen Autoren gewählte Variante der Beendigung ihrer Texte: Drei Punkte. Hat man erst einmal die Augen für die Ursachen geöffnet, erweisen sich die radikalen Fans nur als Stürmer in einem Team, dessen Hintermannschaft noch lange nicht vollständig erkannt ist.
Auch alle Beiträge zusammen können längst nicht dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden.
So schreibt es auch Gerd Dembowski in seiner Einleitung. Es wäre vermessen, diese Unvollständigkeit dem Buch zum Vorwurf zu machen, denn Vollständigkeit ist hier unerfüllbar. Vielmehr ist lobend anzuerkennen, dass sich die Autoren dem Schlaglichtcharakter ihrer Texte bewusst sind. Dabei geben sie einen so tiefen und assoziationsreichen Einblick in ihr Gebiet, dass der gesellschaftliche Brennpunkt Stadion einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf geht. Schnell ertappt man sich dabei, dem nächsten Fußballkommentator einmal ganz genau zuzuhören. Und wer hätte erwartet, bei einer neuerlichen Adorno Lektüre plötzlich Bilder grölender Fußballfans im Kopf zu haben?
"Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball". Herausgegeben von Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle im Papyrossa Verlag Köln, 214 Seiten zum Preis von 12 Euro und 90 Cent.