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Gerd Landsberg, Städte- und Gemeindebund
Klimaanpassung - eine Daueraufgabe für die nächsten 20 Jahre

Aus der Praxis wisse er, wie schwierig es sei, Regionen dem Klima anzupassen, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städte- und Gemeindebund, im Dlf. Bestimmte Fehler dürften aber nach der Flutkatastrophe beim Wiederaufbau nicht wieder begangen werden - das gelte für Brücken wie für Privathäuser.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Theo Geers |
Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer und Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin
"Man wird das nicht so 1:1 wiederaufbauen in diesen ganz kritischen Lagen, wie es vorher war", sagte Gerd Landsberg mit Blick auf die zerstörten Häuser durch das Unwetter. (imago / photothek / Felix Zahn )
Die Aufräumarbeiten nach den Flutwellen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vor zehn Tagen laufen noch. Die zahlreichen betroffenen Kommunen haben große Probleme – mit Aufräumarbeiten, Müllentsorgung und Infrastruktur.
400 Millionen Euro wollen Bund und Länder baldmöglichst an die Opfer der Hochwasserkatastrophe auszahlen. Ungleich höhere Beträge sind später für den Wiederaufbau nötig. Er gehe von einem zweistelligen Milliardenbetrag aus, sagte Gerd Landsberg, seit 1998 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, im Interview der Woche mit Blick auf die Schäden.
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Diese Hilfen haben Bund und Länder beschlossen
Der Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten wird so viel Geld kosten, dass Kommunen und Landkreise damit überfordert sind. Bund und Länder haben nun Soforthilfen beschlossen, außerdem ist ein Aufbaufonds geplant. Ein Überblick.

Andere Anforderungen beim Wiederaufbau der Häuser

Der Wiederaufbau werde Jahre dauern. Wichtig sei aber auch die Erkenntnis, dass viele zerstörte Gebäude und Bauwerke in den Hochwassergebieten nicht eins zu eins wieder errichtet werden könnten. Was wiederaufgebaut werde, müsse anderen Anforderungen gehorchen. Landsberg sagte: "Die Häuser müssten so gebaut werden, dass die beiden unteren Geschosse überspült werden können, dass man die elektrische und sonstige Versorgung nicht in den Keller, sondern in den Dachboden schafft."
Als direkte Lehren aus der Katastrophe forderte er deutliche Verbesserungen beim zivilen Bevölkerungsschutz. Dazu gehörten funktionierende Warnsysteme – auch bei Stromausfall – sowie Übungen für Bürgerinnen und Bürger, wie sie sich in verschiedenen Katastrophenszenarien konkret verhalten müssten.

Mehr Kompetenzen beim Bund ansiedeln

Auch auf politischer Ebene forderte er ein Umdenken. "Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist eine Konstruktion, die darauf zielte, was passiert im Kriegs- oder Spannungsfall. Dieser normale Katastrophenfall, der war gar nicht im Visier." Wenn Klimaanpassung und Klimaschutz diese Bedeutung bekomme, dann müssten mehr Kompetenzen beim Bund angesiedelt werden. Dazu bedürfe es aber einer Grundgesetzänderung.

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Das Interview im Wortlaut
Geers: Herr Landsberg, was ich da gerade umrissen habe mit Blick auf Ihre Erfahrung und Ihre Kenntnisse, das passt natürlich auch auf die Hochwasserkatastrophe, die sich vor zehn Tagen vor allem im Ahrtal und an der Erft abgespielt hat. Schäden von vier, fünf Milliarden Euro erwarten allein die deutschen Versicherer, bei denen aber längst nicht alles versichert ist. Was fehlt da noch in der Schadenbilanz und womit rechnen Sie, wenn Sie den ganz großen Strich drunter machen?
Landsberg: Also, in der Schadenbilanz fehlt natürlich die kommunale Infrastruktur. Brücken, Wege, Plätze. Die sind auch gar nicht versicherbar. Und natürlich die kommunalen Gebäude. Dann die Schienennetze. Da gibt es ja eine Schätzung bei 1,46 Milliarden. Also, insgesamt gehe ich davon aus, dass wir über einen zweistelligen Milliardenbetrag reden.
Geers: Wenn man das alles wiederaufbauen will, wie lange dauert das?
Landsberg: Das ist eine gute Frage. Ich vermute Jahre. Also, wenn Sie mal überlegen, im Kreis Ahrweiler sind von 72 Brücken über 62 weg. Die gibt es gar nicht mehr. Und Sie wissen, vieles muss man ausschreiben. Man muss auch die Handwerker oder die Bauunternehmen finden, die das dann neu machen. Das muss Jahre dauern – leider.
Zerstörte Brücke über die Ahr in Ahrweiler nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 (Luftaufnahme mit einer Drohne).
Zerstörte Brücke über die Ahr in Ahrweiler nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 (dpa)
Geers: Kann man denn einfach die Brücke da wieder bauen? Oder geht das dann auch wieder mit Planungsprozessen los und Planfeststellungsverfahren und Einsprüchen und was auch immer? Oder kann man das vereinfachen? Oder muss man es möglicherweise sogar vereinfachen? Nach dem Motto: Da stand immer schon eine Brücke, dann kommt da auch wieder eine hin.
Landsberg: Man muss es vereinfachen, aber man sollte die Brücken nicht wieder so aufbauen wie sie vorher waren. Denn sie haben sich ja nicht bewährt. Weil sie zu tief waren, sind sie zerstört worden vom Wasser, aber auch von treibenden Wohnwagen. Also wäre es sinnvoll, sie etwas höher zu bauen. Das ist dann natürlich eine andere Brücke und auch eine teurere Brücke. Das gilt auch für den Schienenverkehr. Ich habe die Zahl genannt. 1,46 Milliarden. Da sagt der Verband der Deutschen Verkehrsunternehmer: Wenn wir das den neuen, notwendigen Standards anpassen, sind wir schon bei 2,46 Milliarden.

"Wir müssen den zivilen Bevölkerungsschutz deutlich verbessern"

Geers: Nun geht es um den Wiederaufbau. Es geht in den betroffenen Gebieten auch im Moment noch ums Aufräumen. Aber eben, Herr Landsberg, es geht auch ums Aufarbeiten. Und zwar die große Frage, die im Raum steht: Wie groß ist Deutschland bis hinunter auf die Landkreise und die Gemeinden auf so etwas vorbereitet? Und da gab es und gibt es einen ganz großen Schwachpunkt: die Kommunikation. Ausfall des Mobilfunks, Ausfall des Digitalfunks. All das, womit man heutzutage kommuniziert, ist einfach zusammengeklappt. Haben wir da Schönwetterstrukturen?
Landsberg: Leider. Die haben wir. Wir müssen den zivilen Bevölkerungsschutz deutlich verbessern. Das beginnt mit den Warnsystemen. Die gute alte Sirene, die wir ja im Kalten Krieg flächendeckend hatten, die muss wieder her. Und sie muss digital her, dass sie mit den Menschen kommunizieren können, auch wenn es keinen Strom gibt. Wir brauchen sicherlich auch das sogenannte Cell Broadcasting, dass man also in einer Funkzelle den Leuten eine SMS schickt: Geht nicht ins Bett. Macht das Radio an oder begebt euch in eine Position, wo ihr höher seid, dass sie nicht gefährdet sind. Das brauchen wir, und zwar schnell.
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Wie sich die Wetterlage in den betroffenen Gebieten weiter entwickele sei unklar, sagte Wolfram Geier vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Dlf. Es könne erneut zu Starkregen kommen.
Geers: Nun heißt es von diesem Cell Broadcasting beispielsweise, Herr Landsberg, das müsse noch geprüft werden. Man fragt sich als Außenstehender: Was gibt es da noch groß zu prüfen? Oder was gibt es da noch groß zu überlegen?
Landsberg: Herr Geers, wir sind in Deutschland. Wir prüfen immer erst mal. Trotzdem, ich bin eigentlich ganz zuversichtlich. Auch der Innenminister hat sich entsprechend geäußert. Die Kosten liegen überschaubar bei etwa 40 Millionen. Und ich finde, das sollte eine Aufgabe des Bundesamtes für den zivilen Bevölkerungsschutz sein. Und ich hoffe sehr, dass das spätestens im nächsten Jahr auch läuft. In anderen Ländern läuft es auch. In den Niederlanden, in Belgien gibt es so was schon lange.

Katastrophenschutzübungen mit Bürgerinnen und Bürgern

Geers: Sie haben vorhin die gute alte Sirene erwähnt, Herr Landsberg. Angela Merkel, die Kanzlerin, hat auch von der guten alten Sirene in dieser Woche gesprochen, als sie in Bad Neuenahr sich die Schäden angeguckt hat. Nun standen schon vor dem Hochwasser, ich glaube, 90 Millionen Euro bereit, um das Sirenensystem, was ja teilweise abgebaut wurde hierzulande, wieder aufzubauen und zu ertüchtigen. Reichen die?
Landsberg: Die reichen sicherlich nicht, insbesondere, wenn man das Sirenensystem digital aufrüsten muss, damit man eben auch kommunizieren kann mit den Menschen. Und, ob das flächendeckend zu machen ist mit den 90 Millionen, glaube ich nicht. Ich bin aber sicher, dass der Bund die Mittel bereitstellen wird. Insofern lernen wir aus einer solchen Katastrophe und stellen jetzt auch fest, dass es eben falsch war, das alles abzubauen, weil wir dachten, so was werden wir gar nicht mehr brauchen, wir haben ja alle Handys und Radios haben wir auch. Da müssen wir dran arbeiten. Dazu gehört aus meiner Sicht aber auch, dass wir das mit den Menschen üben. Wir machen ja keine Katastrophenschutzübung mehr mit den Bürgerinnen und Bürgern. Die wussten auch in der Krise nicht: Ja, was muss ich denn jetzt eigentlich machen? Was heißt Starkregen? Und ich glaube, da ist Nachholbedarf. Und auch beim Eigenschutz, dass die Leute ein Radio mit Batterie haben, dass sie ihre Luftschächte abdichten, dass sie im Ernstfall auch wissen, wo sie denn hingehen. Und das wird ohne Übung nicht gehen.
Fahrbahnen der Autobahn bei Erftstadt stehen unter Wasser. 
Wie die Menschen bei einer Katastrophe gewarnt werden
Nach dem Unwetter gab es Kritik, die Bevölkerung sei nicht ausreichend gewarnt worden. Wie laufen solche Warnungen ab? Was braucht es in Zukunft, damit diese rechtzeitig alle Menschen erreichen?
Geers: Sie sagen, wir müssen mehr üben. Wer muss was üben?
Landsberg: Also, ich glaube, dass man das lokal auf kommunaler Ebene üben muss und sagen, wir unterstellen jetzt mal, heute gibt es einen Sturzregen. Ihr müsst aus euren Häusern raus. Wo geht ihr hin? Oder: Wohin werdet ihr evakuiert? Das kann man machen. Das hat die Politik bisher nicht gewollt, denn das führt natürlich zu Unruhe. Aber die Katastrophe, die furchtbare Katastrophe zeigt: Das ist nötig.

"Wir brauchen für jeden Hauseigentümer eine Starkregen-Risikokarte"

Geers: Herr Landsberg, die beste Meldekette nützt nichts und das beste Üben eines solchen Katastrophenfalls nützt auch nichts, wenn die Menschen mit Warnungen nichts anfangen können, die sie nicht verstehen oder die sie vielleicht auch nicht richtig einordnen können oder in denen die tatsächliche Gefahr gar nicht so richtig rüberkommt. Es gibt Landkreise, die haben am 14. Juli, dem Tag, an dem es so geregnet hat, Katastrophenalarm ausgelöst. Der Kreis Ahrweiler beispielsweise hat an dem Abend seinen Bürgern aber lediglich mitgeteilt auf einer App: "Meiden Sie tieferliegende Gebäudeteile wie Keller oder Tiefgaragen" – Zitatende. Das klingt jetzt wirklich nicht so, als ob hier in dem Kreis Ahrweiler gleich eine Vielzahl von Häusern davongeschwemmt werden würde. Also, muss in diesen Warnungen nicht auch schlicht mehr Klartext geredet werden?
Landsberg: Eindeutig: Es muss Klartext geredet werden. Und wir brauchen eigentlich für jeden Hauseigentümer eine Art Starkregen-Risikokarte, dass er weiß: Wo sind denn die Gefahren bei meinem Grundstück? Läuft das Wasser nur in den Keller? Oder kann es sein, dass das ganze Haus wegschwimmt? Man hat natürlich nicht damit gerechnet, dass diese kleinen, kleinsten Flüsse sich so entwickeln. Diese Starkregen-Risikokarten gibt es für große Flüsse, aber eben nicht für die kleinen. Und auch da besteht Nachholbedarf.

Beim Hochwasserschutz mehr Vorsicht walten lassen

Geers: Herr Landsberg, Stichwort Vorsorge. Es wird noch immer in Überschwemmungsgebieten gebaut. Es werden Flächen ungehindert versiegelt. Das sagt nicht Theo Geers hier im Interview. Das kritisieren die deutschen Versicherer. Und sie sagen, auch das führt zu Schäden, die dann irgendwann unbezahlbar werden. Deshalb die Frage an Sie: Müssen sich die Kommunen, müssen sich die Landkreise, die das alles genehmigt haben oder vielleicht immer noch genehmigen, nicht so ein bisschen ans eigene Portepee fassen, zu sorglos das Bauen auf Flächen genehmigt zu haben, die dafür nicht geeignet sind?
Landsberg: Das ist natürlich ein Konflikt vor Ort. Sie wissen, gerade in den Ballungsräumen haben wir enorme Wohnungsnot. Der Druck an die Kommunen: "Weist Baugebiete aus, baut Wohnungen, schnell, billig", der ist groß. Andererseits haben wir in den letzten Jahren schon das Thema Hochwasserschutz sehr ernst genommen. Es gibt auch viele Gebiete, wo gegen den Willen der Bevölkerung nicht gebaut werden durfte. Aber das muss man sich noch mal ansehen. Und ich glaube auch, dass wir in Zukunft da sehr viel vorsichtiger sein müssen.
Geers: Aber eine Schuld oder Mitverantwortung, was die Vergangenheit betrifft, sehen Sie so nicht? Weil Sie eben sagen, der Druck war viel zu groß, es anders zu machen.
Landsberg: Nein. Den sehe ich deswegen auch nicht, weil das, was wir jetzt erleben, ist wirklich ein Jahrhundertvorgang. Man muss mal ehrlich sein, an der Ahr, auch die Häuser, die da weggespült wurden, die haben teilweise 150 Jahre gestanden. Also, das ist schon so eine extreme Situation. Das hat bisher in dieser Form in Deutschland nicht stattgefunden. Auch das Oderhochwasser in Ostdeutschland war schlimm, war auch mit großen Schäden verbunden, aber nicht vergleichbar mit der Situation, die wir jetzt hier haben.

"In kritischen Lagen nicht 1:1 wiederaufbauen"

Geers: Nur, wenn es jetzt um den Wiederaufbau geht, Herr Landsberg, dann kann man ja nicht so tun, als hätte es das Hochwasser nicht gegeben. Deshalb: Welche Fehler dürfen sich beim Wiederaufbau jetzt nicht wiederholen bzw. dürfen nicht wieder gemacht werden?
Landsberg: Also, es wird eine Diskussion geben müssen aus meiner Sicht, ob man jedes Haus an der Stelle, wo es vorher stand, jetzt wieder aufbauen sollte. Das ist natürlich hart für den Eigentümer, aber zum Beispiel in Grimma hat man das damals gemacht und hat den Menschen ein anderes Grundstück angeboten. Und dann haben die dort gebaut. Und, wenn man wiederaufbaut, wird man ganz andere Anforderungen an den Hochwasserschutz stellen müssen, was die Lage des Hauses angeht, aber auch, was die Absicherung von Kellern und ähnlichen Geschossen angeht. Also, man wird das nicht so 1:1 wiederaufbauen in diesen ganz kritischen Lagen, wie es vorher war.
Geers: Klappt das auch, Herr Landsberg? Also, können Sie dem Besitzer eines Fachwerkhauses, das da 150, 200 Jahre lang an einer Stelle stand, die bittere Wahrheit zumuten und sagen, da, wo dein Elternhaus stand, da, wo du dein Leben vielleicht verbracht hast, da darfst du nicht wieder hin?
Landsberg: Das wird schwierig. Das wird ein ganz schwieriger kommunalpolitischer Prozess. Andererseits, die Ereignisse hinterlassen bei den Menschen ja auch eine Erfahrung. Mancher wird es vielleicht sogar einsehen. Wobei das auch gerade im Ahrtal nicht einfach ist, weil natürlich die Kommunen gar keine großen Flächen haben, die sie ausweisen können. Deswegen vermute ich eher, dass man auf massiven zusätzlichen Hochwasserschutz setzen wird.
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"Im Einzelfall kann auch der Rückbau der richtige Weg sein kann"

Geers: Was heißt das konkret, zusätzlicher Hochwasserschutz? Was muss dann gemacht werden?
Landsberg: Dass man zum Beispiel die beiden unteren Geschosse so baut, dass sie überspült werden können, dass man die elektrische und sonstige Versorgung nicht in den Keller, sondern in den Dachboden schafft. Dass man, je nachdem wie nah das am Fluss ist, auch entsprechende Mauern hochzieht. Auch das hat man im Osten gemacht. Und die haben den späteren Unwettern dann auch standgehalten.
Ein Feuerwehrmann steht im Dorf Mayschoß vor einem völlig zerstörten Haus. 
Zahlreiche Häuser in dem Ort Mayschoß wurden von der Flutwelle stark beschädigt oder ganz fortgerissen. (dpa / Boris Roessler)
Geers: Wird man eventuell auch rückbauen müssen, dort, wo einmal Gebautes bei einer neuerlichen Hochwasserkatastrophe den Wassermassen klar im Weg stünde? Also, da, wo jetzt noch gar nichts passiert ist, meine ich.
Landsberg: Ich würde das nicht ausschließen. Also, wir müssen ja dafür sorgen, dass es grüne Inseln auch in den großen Städten gibt, wo Wasser verdampft und versickert. Wir haben ja bisher ein bisschen immer auf die Kanalisation gesetzt, die diesen Massen aber nicht Herr werden kann. Da können sie die so groß machen, wie sie wollen. Das heißt, dass im Einzelfall auch vielleicht der Rückbau der richtige Weg sein kann.

BBK: müssen über Grundgesetzänderung nachdenken

Geers: Auch der Staat kann und muss besser vorsorgen, Herr Landsberg. Was heißt das für den Katastrophenschutz hierzulande? Der ist ja Ländersache in Friedenszeiten. Es gibt aber auch ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das dann in Kriegszeiten die Fäden an sich reißen würde und die Verantwortlichkeiten. Muss sich da was ändern? Und wenn ja, was?
Landsberg: Ich glaube, dass sich da etwas ändern muss. Das Bundesamt ist eine Konstruktion, die darauf zielte, was passiert im Kriegs- oder Spannungsfall. Also, dieser normale Katastrophenfall, wenn ich das so sagen darf, der war gar nicht im Visier. Und das muss anders werden. Es ist richtig, dass die Länder und die Kommunen überwiegend zuständig sind für den Katastrophenschutz. Aber bei Großschadenslagen muss dieses Amt mitwirken dürfen, und zwar nicht nur als Berater, sondern unter Umständen auch als verbindlicher Koordinator. Dazu muss es finanziell und personell anders ausgestattet werden. Und wir müssen auch darüber nachdenken, ob wir nicht eine Grundgesetzänderung brauchen. Wenn wir erleben, dass Klimaanpassung und Klimaschutz diese Bedeutung bekommt oder schon hat, dann kann es durchaus sinnvoll sein, die sogenannte Gemeinschaftsaufgabe – das ist der Artikel 91a des Grundgesetzes. Das steht zum Beispiel der Küstenschutz. Das machen dann immer Bund und Länder jeweils fifty-fifty zusammen. Und es wäre sinnvoll, auch Klimaanpassung und Klimaschutz in diesem Bereich anzusiedeln.
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Planungsverfahren müssen beschleunigt werden

Geers: Sie meinen also, Stichwort Küstenschutz, das ist jetzt weit weggeholt von der Situation im Ahrtal beispielsweise. Aber, wenn man erlebt, dass – ich sage mal – wegen des Küstenschutzes Deiche gemeinsam gebaut werden oder vor der Insel Sylt, ich glaube fast jedes Jahr, neu der Sand aufgespült wird, auch eine Gemeinschaftsaufgabe zum Schutz dieser Insel, dass man dieses Prinzip, man macht gemeinsam etwas zum Schutz bestimmter Regionen, dass man das dann auf Hochwasserschutz ausweiten sollte und auf Klimavorsorge?
Landsberg: Das wäre mein Vorschlag. Und man muss das begleiten. Es sagt sich immer so einfach. Wir passen Regionen dem Klima an. Aber jeder, der sich in der Praxis damit beschäftigt, weiß, wie unendlich schwierig es ist, auch nur kleine Dinge zu ändern. Das beginnt damit, nehmen Sie mal eine Talsperre und sie kämen auf die Idee, die zu erweitern oder eine neue zu bauen, da bin ich ganz sicher, das dauert Jahrzehnte. Weil es endlose Prozesse, Einsprüche gibt, brauchen wir ein Klimaschutzbeschleunigungsgesetz, dass diese Planungsverfahren schneller gehen, es vielleicht auch nur eine Instanz gibt, die dann darüber entscheidet. Und dass es eine Präklusionsfrist gibt, das heißt, die Bürgerinnen und Bürger können Einwände vortragen, aber eben nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ich glaube, das ist wichtig. Und dann müssen wir auch darüber reden, auch, wenn das nicht gerne gehört wird, wenn sie Klimaschutz und Klimaanpassung vorantreiben, teilweise auch durch bauliche Maßnahmen, dann müssen sie – nach der jetzigen Rechtslage – auch noch einen naturschutzrechtlichen Ausgleich organisieren. Und der ist manchmal teurer als die ganze Anlage. Und ich finde, wenn es um Klimaanpassung und Klimaschutz geht, sollte man darauf verzichten können.
Geers: Das heißt, man darf etwas bauen, ohne an anderer Stelle einen Wald, eine Wiese oder ein Versickerungsgebiet wiederherzustellen?
Landsberg: So ist es.
Geers: Wenn wir diese Maßnahmen machen, über welche Zeiträume reden wir da? Ist das eine Daueraufgabe, die vor uns steht? Oder muss man sich nicht auch bestimmte Dinge für die nächsten fünf oder zehn Jahre ganz konkret vornehmen und sagen, bis dahin gilt die Deadline, dann muss die Sache stehen?
Landsberg: Also, natürlich muss man konkret planen und umsetzen. Trotzdem glaube ich, das ist eine Daueraufgabe für die nächsten 20 Jahre.

Cyber-Attacken: Bund und Länder müssen zusammenstehen

Geers: Nun gibt es nicht nur Attacken durch Hochwasser. Es gab auch in der letzten Zeit ganz andere Formen von Attacken, Herr Landsberg. Und zwar Attacken in Form von Bits und Bytes, die durch die Netze kamen. Stichwort Cyber-Attacken. Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld, den hat es vor ungefähr zwei Wochen hart erwischt, alles lahmgelegt. Man mag sich gar nicht vorstellen, das würde in mehreren Landkreisen gleichzeitig passieren, die möglicherweise noch aneinander angrenzen. Oder es würde passieren mit der Strom- und Wasserversorgung. Oder es wäre so, wenn jetzt gerade so eine Hochwasserkatastrophe wie in Westdeutschland passiert ist. Also, was kann da passieren? Was muss da passieren?
Landsberg: Also, ich glaube, wir müssen uns auch auf solche Schadenssituationen vorbereiten. In dem Fall war das ein Kreis. Schon schlimm genug. Aber, wenn man sich vorstellt, das betrifft ein ganzes Bundesland oder vielleicht sogar zwei Bundesländer, auch das ist ein Prozess. Normalerweise werden ja nicht Kommunen angegriffen, sondern eher Unternehmen, wo man Geld erpressen will. Da brauchen wir auch ein Zusammenstehen von Bund, Ländern und Kommunen. Das gibt es auch schon. Aber ich sage auch hier, das ist ein Prozess. Die Kriminellen werden immer besser und wir müssen auch immer besser werden. Das klingt einfach, ist in der Praxis aber schon sehr schwierig. Aber da ist unserer Gesellschaft enorm verwundbar.
Geers: Sind denn die Kommunen und Landkreise auf diese Form von Attacken überhaupt vorbereitet?
Landsberg: Doch, das sind sie. Es gibt da auch entsprechende Pläne. Die sind erarbeitet worden von den kommunalen Spitzenverbänden mit dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnologie. Viele Kommunen machen das auch nicht selber, sondern durch Rechenzentren oder Dienstleister. Aber auch da: Es gibt immer wieder Kriminelle, die es noch besser können. Und damit müssen wir leider leben.
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"Wir müssen uns auf eine vierte Corona-Welle im Herbst vorbereiten"

Geers: Soweit Gerd Landsberg zu diesem Thema – Krisenvorsorge und Katastrophenvorsorge. Herr Landsberg, blicken wir noch auf das zweite große Thema dieser Wochen, auf die Corona-Pandemie. Die aktuelle Lage ist entspannt und alarmierend zugleich. Die Inzidenz ist noch niedrig, aber sie steigt stark an. Sie verdoppelt sich derzeit alle 14 Tage. Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat für September einen Wert von 400 sogar nicht ausschließen wollen und für Oktober sogar das Schreckgespenst einer 800er Inzidenz aufgezeigt. Was tun?
Landsberg: Also, zunächst mal müssen wir uns darauf vorbereiten, dass die vierte Welle kommt im Herbst. Wir werden uns kaum, auch wenn die Zahlen ja jetzt noch sehr niedrig sind, von den Entwicklungen in Europa, aber auch in anderen Staaten, abkoppeln können. Und dann müssen wir darüber reden, und das ist eine Aufgabe der Länder in Absprache mit dem Bund: Was gilt bei welchen Werten? Und wie ermittele ich den Wert? Also, die völlige Fokussierung nur auf den Inzidenz-Wert würde ja mit Sicherheit in den Lockdown führen, den wir alle vermeiden wollen. Und deswegen wird es jetzt darum gehen, die Kanzlerin wird ja mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wahrscheinlich Ende Juli, Anfang August darüber beraten, dass man natürlich auch die Inzidenz berücksichtigt, aber parallel dazu schaut: Wie sieht es mit der Auslastung der Krankenhäuser aus? Und wie können wir die Impfungen noch weiter beschleunigen? Denn letztlich ist die Impfung der einzige Weg in die Normalität. Und wir haben jetzt etwa 40 Millionen Menschen geimpft. Das ist schon ganz ordentlich. Aber ist natürlich von dem Ziel, Herdenimmunität mit 80 Prozent noch meilenweit entfernt. Und man muss auch wissen, es gibt viele Menschen, die können gar nicht geimpft werden, also Kinder unter zwölf. Und es wird auch immer welche geben, die sich nicht impfen lassen wollen.
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Corona-Impfstoffe und ihre Nebenwirkungen
Gut die Hälfte der Menschen in Deutschland ist bereits mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft. Wie steht es um Nebenwirkungen der verschiedenen Impfstoffe? Ein Überblick
Geers: Stichwort Impfungen, Herr Landsberg, jede Impfung zählt im Kampf gegen Corona. Das hat auch die Kanzlerin in dieser Woche noch mal deutlichgemacht. Andererseits erfordert die vorherrschende Delta-Variante des Virus – der Anteil liegt ja inzwischen bei deutlich über 80 Prozent, was die Ansteckungen betrifft – eine sehr hohe Impfquote. Und zwar sagt das RKI, am besten wäre es, wenn wir über 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen impfen würden, wenn man wieder zur Normalität von der Zeit vor Corona zurückkehren möchte. Aber ist das überhaupt zu schaffen? Also, die Frage ist: Müssen wir uns nicht ein Stück weit ehrlich machen und uns vom Ziel der Herdenimmunität auch verabschieden?
Landsberg: Ich glaube, das ist ein gutes Ziel. Und wir müssen auch versuchen, so nah wie möglich da ranzukommen. Aber ich persönlich habe Zweifel, dass uns das gelingt. 85 Prozent ist schon sehr, sehr hoch. Wenn es am Ende dann 70 oder 75 sind, hat das auch schon einen Vorteil. Und wir stellen ja fest, dass auch bei den Inzidenzzahlen jetzt die über 60-Jährigen, die ja überwiegend schon geimpft sind, nur einen Inzidenzwert von fünf Prozent haben, während die 19- bis 34-Jährigen schon jetzt bei über 34 liegen. Und das muss man eben immer wieder kommunizieren. Ich glaube, das ist auch eine Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Die Leute haben teilweise jetzt das Gefühl: Ach, die Sache ist doch einfach vorbei. Und sie sind auch ein bisschen müde. Was ich übrigens gut verstehe. Aber damit lösen wir es leider nicht, das Problem.
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"Auch im Herbst Maskenpflicht"

Geers: Das heißt, es müsste zielgruppengerechter informiert und geworben werden fürs Impfen, vor allem eben bei der Generation, die bislang hintenanstand, was die Impf-Priorisierung betrifft, die es ja jetzt nicht mehr gibt, aber die möglicherweise jetzt sagen, na ja, was soll das noch?
Landsberg: Richtig. Das wird ja auch schon gemacht. In den Universitäten wird jetzt geimpft. Die Studenten können ohne Anmeldung geimpft werden. Wir machen das in sozialen Brennpunkten, auch in vielen Sprachen. Demnächst sicherlich auch noch mal in den Schulen. Hängt ein bisschen natürlich auch daran, ob die STIKO also die Ständige Impfkommission, sich nicht doch irgendwann entschließen kann und sagen, ja, wir empfehlen auch die Impfung für 12- bis 16-Jährige. In anderen Ländern ist das so. Dann würde das auch noch mal einen Schub geben. Denn das ist ja die gefährdete Gruppe. Wenn jetzt die Schule wieder anfängt, die sind nicht geimpft. Die Lehrerinnen und Lehrer schon, aber die Kinder eben nicht. Die leiden zwar in der Regel nicht groß unter der Erkrankung, aber sie verbreiten sie. Und deswegen hoffe ich, dass wir auch da weiterkommen. Das heißt im Klartext: Auch im Herbst Maskenpflicht in den Schulen, im öffentlichen Personennahverkehr, wahrscheinlich auch in den Geschäften, Beschränkungen bei Veranstaltungen. Da müssen wir uns ehrlicherweise drauf einstellen.
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Coronavirus: Wie gefährlich ist die Delta-Variante?
Aktuell zeichnet sich eine verstärkte Verbreitung der Delta-Variante des Coronavirus in Deutschland ab. Sie gilt im Vergleich zum Wildtyp als ansteckender und gefährlicher. Ein Überblick.
Geers: Bleiben wir noch mal bei den Schulen, Herr Landsberg. Sie sagen, man will natürlich und das ist auch für die Schüler natürlich die beste Lösung, Präsenzunterricht, wo es eben möglich ist. Was heißt das für die Teststrategie?
Landsberg: Die Teststrategie muss bleiben. Wir haben ja diese Pool-Tests, wo also die Kinder am Lolli lutschen und dann stellt man fest, bei zehn oder 20 war da ein positiver Fall dabei. Wenn nicht, ist es gut. Wenn nicht, werden die dann noch mal alle extra getestet. Das muss weitergehen, auch, wenn es Geld kostet. Sonst können wir die Pandemie nicht im Griff behalten.

Politik wird alles dransetzen, einen Lockdown zu verhindern

Geers: Schließen Sie für den Herbst, wenn die Inzidenzzahlen vielleicht bei 400 liegen – man mag es ja nicht hoffen oder gar erwarten – schließen Sie für den Herbst einen Lockdown aus? Weil Sie vorhin sagten, der darf eigentlich nicht wieder kommen.
Landsberg: Also, ich kann ihn natürlich nicht ausschließen. Aber ich glaube, dass die Politik alles daransetzen wird, das zu vermeiden. A ist die Bereitschaft in der Bevölkerung sehr niedrig. Und B stellen wir ja fest, auch in den anderen Ländern jetzt, dass trotz sehr hoher Inzidenzwerte die Überlastung der Intensivbetten nicht stattfindet. Wenn das auch bei uns so ist, wird man sicherlich gewisse zusätzliche Einschränkungen, etwa bei Großveranstaltungen, verordnen. Aber, dass man einen echten Lockdown macht, ich glaube das persönlich nicht.

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Geers: Wie ließe sich das verhindern? Noch mal abschließend gefragt. Also, wenn Sie sagen, das müsste eigentlich das Hauptziel sein, neben dem von der Kanzlerin genannten Ziel, dass auf keinen Fall unser Gesundheitssystem wieder in eine Situation gebracht wird, wo es überlastet wäre. Wenn man sich zwischen diesen beiden Polen hin und her bewegen muss, woran soll sich die Politik orientieren in diesen Wochen?
Landsberg: Also, ich glaube, entscheidend ist, dass sie möglichst einheitlich die Präventionsmaßnahmen beschließen oder fortsetzen und das dann auch konsequent umsetzen. Das ist ganz wichtig. Es wird ja immer viel beschlossen. Wenn das nicht umgesetzt wird, nützt das nichts. Also, wenn Maskenpflicht in der Bahn, dann muss die auch richtig durchgesetzt werden. Und, wenn es heißt, ich muss über Luca oder andere meine Kontakte hinterlegen, dann muss das auch passen. Und, wenn ich jetzt höre, dass eine große Party in Aachen stattgefunden hat mit 900 Leuten und man kann die Kontakte jetzt nicht feststellen, dann ist das einfach nicht in Ordnung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.