Massimo Carlottos Roman "Arrivederci amore, ciao" beginnt mit dem Tod des Protagonisten seiner früheren Romane. Mit dem Bauch nach oben treibt ein Alligator im Gewässer des mittelamerikanischen Dschungels umher. Das erschossene Tier spielt auf Carlottos "Alligatore" an; eine gleichnamige Detektivfigur, die in seinen bisherigen Krimiromanen die Hauptrolle spielte. In "Arrivederci amore, ciao" ist das nicht mehr so. Der Alligator verschwindet, Giorgio Pellegrini kommt.
Giorgio Pellegrini wartet am Ufer und schaut auf den verwesenden Alligator. Pellegrini hat einen Auftrag zu erfüllen. Er nähert sich dem vor ihm stehenden Mann und schießt ihm ins Genick. Wenn jemand unbequem wird, muss er dran glauben. Das sind die Gesetze des Dschungels. Obwohl Pellegrini aus Italien geflüchtet ist und in Mittelamerika die Freiheit zu finden glaubte, lebt er dort wie ein Gefangener mit anderen Ex- Terroristen in einem Camp. Carlotto lässt seinen Protagonisten selbst erzählen. Der präsentiert sich freimütig als skrupellos und brutal. Ihn interessiert lediglich sein alleiniges Fortkommen, wobei er vor dem Quälen und Töten von Menschen nicht zurückzuschrecken scheint.
"Der Kriminelle, so wie ich ihn darstelle, hat keine Vorstellung von Ethik, Moral, Gerechtigkeit und Legalität. Solche Menschen leben fernab der Gesellschaft in ihrer eigenen Welt, mit eigenen Regeln. Ein wirklich Krimineller ist nicht nur von montags bis freitags delinquent und führt an den Wochenenden ein anderes Leben, wo er Briefmarken sammelt oder mildtätig ist. Meine Hauptfigur ist durch und durch brutal und skrupellos. Mein Roman erzählt auf realistische Art und Weise von einem, der durch und durch kriminell ist."
So wirkt der Roman wie das schockierende Selbstbekenntnis eines draufgängerischen und von sich überzeugten Menschen, der zur Durchsetzung seines Plans andere instrumentalisiert. So wie eine Journalistin, die das Camp besucht und bei der sich Pellegrini anbiedert, um mit ihrer Hilfe aus dem Lager fliehen zu können. Er setzt sich nach Costa Rica ab und landet schließlich im Mailänder Gefängnis. Dort gelingt es ihm mittels eines korrupten Polizisten und durch das Ausspionieren von Mithäftlingen, vorzeitig entlassen zu werden.
Pellegrinis Ziel ist es, wieder zur Gesellschaft zu gehören. Den alten terroristischen Idealen kann er nichts mehr abgewinnen. Er ist pragmatisch. Terrorist zu sein und gegen den Staat zu kämpfen, bedeutet ihm nichts mehr. Er träumt von einem bürgerlichen Leben Es ist wohl kein Zufall, dass Carlottos Protagonist den Namen Pellegrini trägt. Darin verbirgt sich das italienische Wort für Pilger. Und tatsächlich pilgert die Hauptfigur auf der sozialen Skala: Vom Delinquenten zum angesehenen Mitbürger
"Mehr noch als eine Pilgerreise, will meine Figur dieses Ziel ja auch wirklich erreichen. Und das tut er auch am Ende. Ich wollte davon erzählen, wie sich neue Formen der Kriminalität in unserer Gesellschaft immer mehr verstecken, um sich der Strafverfolgung zu entziehen und von der Polizei unentdeckt zu bleiben."
Massimo Carlottos Roman wirft anhand des Schicksals seiner Figur die Frage nach Gerechtigkeit und Schuld auf. In den vergangenen Jahren wurden in Italien einige Ex-Terroristen der "Brigate Rosse" - der Roten Brigaden begnadigt. Die betreffenden Gesetzestexte stellt Carlotto an den Anfang seines Romans.
Auch Giorgio Pellegrini sieht in den Artikeln 178 und 179 des italienischen Strafgesetzbuches seine Rettung und arbeitet auf die "Wiedereinsetzung in die früheren Rechte" hin. Bei guter Führung über einen Zeitraum von fünf Jahren würde auch ein Ex-Terrorist wie Pellegrini wieder als Bürger gelten können. Nach seiner Freilassung beginnt Pellegrini ein Doppelleben in der Nähe von Treviso. Abends spielt er den braven Türsteher eines Nachtclubs, tagsüber verkauft er Drogen und plant einen Überfall auf einen Geldtransporter. An dem Coup soll auch ein korrupter Polizist beteiligt werden. Der wiederum ermöglichte Giorgio eine frühzeitige Haftentlassung.
"Ich erzähle diese Geschichte auch, weil es tatsächlich zahlreiche Exterroristen gibt, die zu so genannten normalen Kriminellen geworden sind und Überfalle planten, um nicht mehr eine terroristische Organisation, aber sich selbst zu bereichern. Da kann man nicht sagen, was besser oder schlechter war. In Italien ist der Terrorismus bereits seit einiger Zeit besiegt, auch wenn man manchmal einen Neo-Terroristen verhaften. Aber den Terrorismus als solchen gibt es nicht mehr."
Die Planung und die Ausführung des Überfalls hält die Geschichte um Giorgio Pellegrini zusammen und ermöglicht Massimo Carlotto große gesellschaftliche Themen anzusprechen. Wie zum Beispiel das mafiose "Quid pro Quo" zwischen Pellegrini und dem korrupten Polizeiapparat
"Per se soll mein Roman keine negative Weltsicht transportieren. Das Thriller- und das Noirgenre ist für mich ein Vorwand, andere Dinge erzählen zu können wie über die sozio-politische und ökonomische Realität meines Landes. Das literarische Genre ist ein Instrument. Mittels der Krimistruktur kann ich über gesellschaftliche Phänomene erzählen. Wir befinden uns in einer schwierigen, negativen Zeit. Ich schreibe über Kriminalität als machtgewinnende Lebensform. Und das ist negativ. Heutzutage ist der Norden Italiens genauso kriminell wie der Süden, wenn nicht noch mehr. Für einen Autoren wie mich ist der Norden ein guter Fundus, weil dort die neue Form der Kriminalität floriert. Und ich möchte, dass auch der Leser dieses Ambiente kennen lernt."
Charakteristisch für Pellegrini ist sein gestörtes, durch Brutalität und Gewalt bestimmtes Verhältnis zu Frauen. Er benutzt sie für seine Zwecke und stößt sie je nach Bedarf wieder ab und bringt sie sogar um.
"Ich wollte jedes Kapitel mit einem Frauennamen als Titel versehen, weil den Frauen innerhalb dieser neuen Form der Kriminalität jegliches Recht entzogen wurde. Auch wenn sie innerhalb der kriminellen Welt leben, gehören sie zu den ersten Opfern dieses Systems. Und mir erschien es richtig, darüber zu erzählen.
Alle Personen, die ihn umgeben, das bedeutet jeder, dazu zählen Frauen und auch Kinder, sind immer Opfer. Es entwickeln sich niemals tiefe Beziehungen mit echten Gefühlen der Liebe oder der Zuneigung. Denn es geht dem Kriminellen um Instrumentalisierung. Er liebt nie wirklich!"
Der Name Roberta steht für Giorgio Pellegrinis endgültige Resozialisierung. Denn Roberta ist eine brave junge Frau, die in einer norditalienischen Kleinstadt lebt und sich in Giorgio verliebt. Als Besitzer eines gut gehenden Restaurants hat es Pellegrini mittlerweile zu etwas gebracht. Glaubwürdiger Beweis seiner veritablen Bürgerlichkeit ist die Hochzeit mit Roberta, die er jedoch nicht liebt. Sie ist lediglich Teil einer Inszenierung eines normalen Lebens. Denn Giorgio Pellegrini hat um sich herum eine Scheinwelt entworfen. Sein reales Leben ist die "mala vita", das schlechte Dasein, voller Geldgier und Skrupellosigkeit. Massimo Carlottos atemloser und beeindruckender Roman spitzt sich am Ende dramatisch zu und wird zu einem tragischen Wettkampf zwischen Gut und Böse, wofür Pellegrini und Roberta symbolisch stehen.
Wie bei einigen seiner Romane greift Massimo Carlotto auch für den Roman "Arrivederci amore, ciao" auf einen italienischen Schlagertitel zurück. Für Giorgio Pellegrini sind das nichts als lapidare Worte für den letzten Gruß auf dem Friedhof. Der lieblich-kitschige Titel steht bewusst im harten Kontrast zum furiosen Szenario des Romans, der letztendlich alle Vorstellungen von menschlicher Integrität und Rechtschaffenheit zu Grabe trägt.
Massimo Carlotto: Arrivederci amore, ciao
Tropen Verlag, 2007, 192 Seiten
Giorgio Pellegrini wartet am Ufer und schaut auf den verwesenden Alligator. Pellegrini hat einen Auftrag zu erfüllen. Er nähert sich dem vor ihm stehenden Mann und schießt ihm ins Genick. Wenn jemand unbequem wird, muss er dran glauben. Das sind die Gesetze des Dschungels. Obwohl Pellegrini aus Italien geflüchtet ist und in Mittelamerika die Freiheit zu finden glaubte, lebt er dort wie ein Gefangener mit anderen Ex- Terroristen in einem Camp. Carlotto lässt seinen Protagonisten selbst erzählen. Der präsentiert sich freimütig als skrupellos und brutal. Ihn interessiert lediglich sein alleiniges Fortkommen, wobei er vor dem Quälen und Töten von Menschen nicht zurückzuschrecken scheint.
"Der Kriminelle, so wie ich ihn darstelle, hat keine Vorstellung von Ethik, Moral, Gerechtigkeit und Legalität. Solche Menschen leben fernab der Gesellschaft in ihrer eigenen Welt, mit eigenen Regeln. Ein wirklich Krimineller ist nicht nur von montags bis freitags delinquent und führt an den Wochenenden ein anderes Leben, wo er Briefmarken sammelt oder mildtätig ist. Meine Hauptfigur ist durch und durch brutal und skrupellos. Mein Roman erzählt auf realistische Art und Weise von einem, der durch und durch kriminell ist."
So wirkt der Roman wie das schockierende Selbstbekenntnis eines draufgängerischen und von sich überzeugten Menschen, der zur Durchsetzung seines Plans andere instrumentalisiert. So wie eine Journalistin, die das Camp besucht und bei der sich Pellegrini anbiedert, um mit ihrer Hilfe aus dem Lager fliehen zu können. Er setzt sich nach Costa Rica ab und landet schließlich im Mailänder Gefängnis. Dort gelingt es ihm mittels eines korrupten Polizisten und durch das Ausspionieren von Mithäftlingen, vorzeitig entlassen zu werden.
Pellegrinis Ziel ist es, wieder zur Gesellschaft zu gehören. Den alten terroristischen Idealen kann er nichts mehr abgewinnen. Er ist pragmatisch. Terrorist zu sein und gegen den Staat zu kämpfen, bedeutet ihm nichts mehr. Er träumt von einem bürgerlichen Leben Es ist wohl kein Zufall, dass Carlottos Protagonist den Namen Pellegrini trägt. Darin verbirgt sich das italienische Wort für Pilger. Und tatsächlich pilgert die Hauptfigur auf der sozialen Skala: Vom Delinquenten zum angesehenen Mitbürger
"Mehr noch als eine Pilgerreise, will meine Figur dieses Ziel ja auch wirklich erreichen. Und das tut er auch am Ende. Ich wollte davon erzählen, wie sich neue Formen der Kriminalität in unserer Gesellschaft immer mehr verstecken, um sich der Strafverfolgung zu entziehen und von der Polizei unentdeckt zu bleiben."
Massimo Carlottos Roman wirft anhand des Schicksals seiner Figur die Frage nach Gerechtigkeit und Schuld auf. In den vergangenen Jahren wurden in Italien einige Ex-Terroristen der "Brigate Rosse" - der Roten Brigaden begnadigt. Die betreffenden Gesetzestexte stellt Carlotto an den Anfang seines Romans.
Auch Giorgio Pellegrini sieht in den Artikeln 178 und 179 des italienischen Strafgesetzbuches seine Rettung und arbeitet auf die "Wiedereinsetzung in die früheren Rechte" hin. Bei guter Führung über einen Zeitraum von fünf Jahren würde auch ein Ex-Terrorist wie Pellegrini wieder als Bürger gelten können. Nach seiner Freilassung beginnt Pellegrini ein Doppelleben in der Nähe von Treviso. Abends spielt er den braven Türsteher eines Nachtclubs, tagsüber verkauft er Drogen und plant einen Überfall auf einen Geldtransporter. An dem Coup soll auch ein korrupter Polizist beteiligt werden. Der wiederum ermöglichte Giorgio eine frühzeitige Haftentlassung.
"Ich erzähle diese Geschichte auch, weil es tatsächlich zahlreiche Exterroristen gibt, die zu so genannten normalen Kriminellen geworden sind und Überfalle planten, um nicht mehr eine terroristische Organisation, aber sich selbst zu bereichern. Da kann man nicht sagen, was besser oder schlechter war. In Italien ist der Terrorismus bereits seit einiger Zeit besiegt, auch wenn man manchmal einen Neo-Terroristen verhaften. Aber den Terrorismus als solchen gibt es nicht mehr."
Die Planung und die Ausführung des Überfalls hält die Geschichte um Giorgio Pellegrini zusammen und ermöglicht Massimo Carlotto große gesellschaftliche Themen anzusprechen. Wie zum Beispiel das mafiose "Quid pro Quo" zwischen Pellegrini und dem korrupten Polizeiapparat
"Per se soll mein Roman keine negative Weltsicht transportieren. Das Thriller- und das Noirgenre ist für mich ein Vorwand, andere Dinge erzählen zu können wie über die sozio-politische und ökonomische Realität meines Landes. Das literarische Genre ist ein Instrument. Mittels der Krimistruktur kann ich über gesellschaftliche Phänomene erzählen. Wir befinden uns in einer schwierigen, negativen Zeit. Ich schreibe über Kriminalität als machtgewinnende Lebensform. Und das ist negativ. Heutzutage ist der Norden Italiens genauso kriminell wie der Süden, wenn nicht noch mehr. Für einen Autoren wie mich ist der Norden ein guter Fundus, weil dort die neue Form der Kriminalität floriert. Und ich möchte, dass auch der Leser dieses Ambiente kennen lernt."
Charakteristisch für Pellegrini ist sein gestörtes, durch Brutalität und Gewalt bestimmtes Verhältnis zu Frauen. Er benutzt sie für seine Zwecke und stößt sie je nach Bedarf wieder ab und bringt sie sogar um.
"Ich wollte jedes Kapitel mit einem Frauennamen als Titel versehen, weil den Frauen innerhalb dieser neuen Form der Kriminalität jegliches Recht entzogen wurde. Auch wenn sie innerhalb der kriminellen Welt leben, gehören sie zu den ersten Opfern dieses Systems. Und mir erschien es richtig, darüber zu erzählen.
Alle Personen, die ihn umgeben, das bedeutet jeder, dazu zählen Frauen und auch Kinder, sind immer Opfer. Es entwickeln sich niemals tiefe Beziehungen mit echten Gefühlen der Liebe oder der Zuneigung. Denn es geht dem Kriminellen um Instrumentalisierung. Er liebt nie wirklich!"
Der Name Roberta steht für Giorgio Pellegrinis endgültige Resozialisierung. Denn Roberta ist eine brave junge Frau, die in einer norditalienischen Kleinstadt lebt und sich in Giorgio verliebt. Als Besitzer eines gut gehenden Restaurants hat es Pellegrini mittlerweile zu etwas gebracht. Glaubwürdiger Beweis seiner veritablen Bürgerlichkeit ist die Hochzeit mit Roberta, die er jedoch nicht liebt. Sie ist lediglich Teil einer Inszenierung eines normalen Lebens. Denn Giorgio Pellegrini hat um sich herum eine Scheinwelt entworfen. Sein reales Leben ist die "mala vita", das schlechte Dasein, voller Geldgier und Skrupellosigkeit. Massimo Carlottos atemloser und beeindruckender Roman spitzt sich am Ende dramatisch zu und wird zu einem tragischen Wettkampf zwischen Gut und Böse, wofür Pellegrini und Roberta symbolisch stehen.
Wie bei einigen seiner Romane greift Massimo Carlotto auch für den Roman "Arrivederci amore, ciao" auf einen italienischen Schlagertitel zurück. Für Giorgio Pellegrini sind das nichts als lapidare Worte für den letzten Gruß auf dem Friedhof. Der lieblich-kitschige Titel steht bewusst im harten Kontrast zum furiosen Szenario des Romans, der letztendlich alle Vorstellungen von menschlicher Integrität und Rechtschaffenheit zu Grabe trägt.
Massimo Carlotto: Arrivederci amore, ciao
Tropen Verlag, 2007, 192 Seiten