Daniil Trifonov spielt Daniil Trifonov: mit der russischen Premiere des ersten Klavierkonzerts des komponierenden Klaviervirtuosen stach das Festival "Sterne der Weißen Nächte" am 26. Mai 2017 in See. Es hat den Anspruch, die Stadt Sankt Petersburg für die Dauer der zwei schönsten Monate im Jahr in einen Hotspot der Musikwelt zu verwandeln. Ausgerichtet wird es vom Mariinski-Theater, und es ist der ganze Stolz seines Chefs Valery Gergiev:
"Es ist mittlerweile eines der größten Musikfestivals der Welt, ein riesiger Marathon. Natürlich ist nicht die Quantität, sondern auch die Qualität entscheidend, aber auch da können wir mit den führenden Musikforen der Welt konkurrieren. Wobei: wir sind natürlich nicht bei einem Sportwettbewerb!"
Das Festival ist Chefsache
Vom "schneller-höher-weiter"-Geist ist dennoch etwas zu spüren, zumindest für die fast 3.000 Mitarbeiter des Theaters. Die 59-tägige Serie von Opern- und Ballettpremieren, Kinderaufführungen, Nachtkonzerten, Open Airs, die hin und wieder ins Wasser fallen, und Gala-Auftritten der Stars versetzt das Riesenhaus in einen dauerhaften Ausnahmezustand. Drei bis vier Aufführungen pro Tag gilt es zu meistern, insgesamt sind es 190. Das bedeutet: Nachtschichten und Urlaubssperre, Gergiev ist in der Stadt.
Das Festival ist Chefsache: Valeri Gergiev steht persönlich fast 30 Mal am Pult und gestaltet inhaltlich das Riesenprogramm, das nur wenige Tage vor dem Festivalstart veröffentlicht wird - zum Entsetzen mancher Musikliebhaber.
Schwerpunkte Strawinsky und Schtschedrin
"Das Festival 'Sterne der Weißen Nächte' ist ganz natürlich gewachsen. Wir haben 1993 mit einer Woche angefangen, nun sind es acht. Dieses Jahr stehen zwei Jubilare im Mittelpunkt – Igor Strawinsky, der 135 geworden wäre, und unser lebender Klassiker Rodion Schtschedrin, der 85 wird. Von ihm stehen gleich drei Opern und zwei Ballette auf dem Programm. Eine weitere wichtige Premiere ist das Ballett Jaroslavna von Boris Tishchenko, einem Lieblingsschüler von Dmitrij Schostakowitsch."
Bespielt wird sowohl die historische Bühne, als auch das neue, 2013 eröffnete Opernhaus Mariinski-Zwei. Außerdem gibt es noch Mariinski-Drei – ein Konzertsaal mit Orchestergraben, das als Opernhaus vor allem für Experimentelles genutzt wird.
Russisches und Internationales mischt sich im Programm: Rimskij-Korsakows "Märchen vom Zaren Saltan" gibt es neben Verdis nicht weniger bombastischen "Sizilianischen Vesper", "Lady Macbeth von Mzensk" mit Eva-Maria Westbroek in der dramatischen Hauptrolle neben "Lohengrin" mit Sergey Skorohodov als strahlendem Ritter.
Für Glanz und Glamour sorgten Plácido Domingo – in der Titelpartie von "Macbeth" und in "Il Trovatore" als Dirigent zu erleben – sowie der Diamant der Gergiev-Krone: Anna Netrebko, aktuell nur im Doppelpack mit dem Ehemann-Tenor Jusif Eyvazov zu erleben. Beide brillierten in der für sie maßgeschneiderten Aufführung von Francesco Cileas "Adriana Lecouvreur":
Auch Hochkaräter wie Rudolf Buchbinder, Leonidas Kavakos oder Frank Peter Zimmermann geben sich in Petersburg die Ehre – so spielte Zimmermann ein Konzert mit dem Ensemble der deutsch-russischen Musikakademie. Auch hier ist Gergiev künstlerischer Leiter.
Das globale Phänomen Gergiev
Das Festival "Sterne der Weißen Nächte" sagt bei einer näheren Betrachtung einiges über das Gergiev-Phänomen aus.
Mariinski ist mehr als ein Theater, es ist ein global agierendes Unternehmen, stets auf der Suche nach neuen Märkten. Von Petersburg aus wird ein Musikimperium mit globalem Anspruch aufgebaut. Eine gesicherte staatliche Unterstützung des nationalen Vorzeigeprojekts Mariinski, die Loyalität den Geldgebern im Kreml gegenüber voraussetzt, schafft dafür günstige Rahmenbedingungen. Ebenso wichtig ist aber ein weltumspannendes System von "ständigen Vertretungen" und Unterstützer-Netzwerken.
So ist Gergiev nicht nur Chef von Orchestern in München, London und Petersburg, sondern auch künstlerischer Leiter einer halben Dutzend Festivals von Edinburgh bis Sapporo.
Die Musik spielt für Gergiev im Osten
In den berühmt-berüchtigten Warteschlangen vor dem Arbeitszimmer des vielbeschäftigten Maestros, Treffpunkt der Musikmanager dieser Welt, wird mindestens genauso oft Chinesisch oder Japanisch gesprochen wie Englisch oder Russisch. Das alte Europa ist ein nostalgischer Rückzugsort, die Musik spielt anderswo, vor allem wesentlich weiter östlich.
Diese geografische Verschiebung spiegelt sich auch im neuesten ambitionierten Unterfangen von Mariinski – der freundlichen Übernahme des Operntheaters in Wladiwostok. Knapp 7.000 Kilometer Luftlinie von Petersburg entfernt entsteht eine neue Dependance des Theaters, die im kommenden August mit dem ersten Fernost-Festival und einem großen Aufgebot der Mariinski-Stars an den Start geht.
Von Petersburg sind es beschwerliche 12 Flugstunden – aber dafür, sagt Maestro Gergiev: "fliegt man nach Seoul oder Tokio von Wladiwostok nur eine Stunde, in zwei Stunden ist man in Peking oder Harbin, fünf bis sechs weitere Riesenstädte der fernöstlichen Region in Ländern wie China, Korea oder Japan sind schnell zu erreichen."
Gergievs Schwester leitet Akademie des Mariinski-Theaters
Kader entscheiden bekanntlich alles. Deswegen sind die permanente Talentsuche und der Aufbau neuer Stars eine weitere Säule des Mariinski-Erfolgs. Anna Netrebko mit ihrem legendären Aufstieg von einer Putzkraft zur internationalen Operndiva oder Daniil Trifonov, dessen Karriere nach seinem Ersten Preis beim Tschaikowsky-Wettbewerb startete, dem Gergiev ebenfalls vorsteht, sind nur zwei prominente Beispiele.
Es geht um Klasse, aber es geht auch um die Masse. So ist die Akademie der jungen Sänger des Mariinski- Theaters, geleitet von der Schwester des Maestros, Larissa Gergieva, eine Kaderschmiede für Nachwuchssänger, Regisseure und Dirigenten.
Mit insgesamt zehn Inszenierungen – darunter Weinbergs "Idiot" oder einer Rarität wie "Das Tagebuch der Anne Frank" von Grigori Frid – war die Akademie beim Festival "Sterne der weißen Nächte" sehr präsent.