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Gerhardt: Generationenwechsel in der FDP ist nicht geglückt

Der Vertrauensgewinn für Rainer Brüderle zeige, dass die FDP sich eine glücklichere Mischung zwischen Jung und Alt wünsche, sagt Wolfgang Gerhardt. Der frühere FDP-Chef betont zudem die Notwendigkeit eines vorgezogenen Bundesparteitags, damit sich die Partei richtig für den Bundestagswahkampf aufstellen könne.

Gerd Breker im Gespräch mit Wolfgang Gerhardt |
    Gerd Breker: Auch wenn man ihn in Stuttgart auf dem Dreikönigstreffen ausführlich feiern wird: Der Niedersachse Stefan Birkner ist derzeit wohl das ärmste Mitglied der Freien Demokraten. Er steckt im Wahlkampf, dessen heiße Phase heute beginnt. Es ist nicht irgendein Wahlkampf, es ist der entscheidende Wahlkampf für die FDP. Diesen Wahlkampf würde Stefan Birkner gerne mit Sachargumenten führen, doch die Bundespartei lässt ihn nicht. Die Existenzängste der Partei schlagen um in Personaldiskussionen, in deren Zentrum der Niedersachse Philipp Rösler steht. Dem gar nicht mehr so neuen Vorsitzenden wird offenbar nicht zugetraut, die Partei aus der Krise führen zu können. Klaus Remme, das Traditionstreffen der FDP unter Gewitterwolken.

    Soweit der, FDP streitet um Vorsitzenden (MP3-Audio) Bericht von Klaus Remme und am Telefon sind wir nun verbunden mit dem FDP-Urgestein Wolfgang Gerhardt. Er war Fraktionsvorsitzender, er war Parteivorsitzender der FDP, er ist heute Vorsitzender der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung, und Wolfgang Gerhardt wird sich bei der nächsten Bundestagswahl nicht um ein weiteres Mandat bewerben. Guten Tag, Herr Gerhardt!

    Wolfgang Gerhardt: Hallo, Herr Breker, guten Tag!

    Breker: Die Personaldiskussion bei der FDP ist offenbar nicht zu stoppen, der Wähler lernt daraus: Es geht mehr um Karriere denn um Sachpolitik.

    Gerhardt: Mein Freund und Bundestagskollege Hermann Otto Solms hat das Richtige gesagt: Wir sollten nicht so blauäugig sein zu glauben, das seien Debatten, die man so mit einem Statement beenden könnte. Wir sind in einer existenziellen, kritischen Situation, ich selbst glaube, dass wir die Bundestagswahl schaffen können, aber dann müssen wir vorher etwas tun. Und nach meiner Überzeugung führt überhaupt kein Weg an einem vorgezogenen Bundesparteitag vorbei - der ist bisher im Mai geplant. Ich glaube nicht, dass es der FDP guttut, bis zum Mai eine Spekulationsfrist zu haben, über die Mannschaft, über ihre wesentlichen Ziele, über die Koalition selbst. Das muss schnell beendet werden, alle anderen sind jetzt aufgestellt, wir sollten das früher tun als bisher geplant.

    Breker: Die jetzige Situation, Herr Gerhardt, ist ja nahezu dramatisch. Die Ausgangsposition war ein zweistelliges Wahlergebnis, und nun ein Zittern vor der Fünfprozenthürde - da müssen gravierende Fehler gemacht worden sein.

    Gerhardt: Die sind ja auch erkennbar, und die sollte auch niemand leugnen. Wir leben erstens noch in der Wirbelschleppe eines rasanten Vertrauensverlustes von Beginn der Legislaturperiode - da ist Philipp Rösler keine Schuldzuweisung zu machen, aber er verantwortet natürlich das nicht Herauskommen aus dieser sehr, sehr schwierigen Situation. Und wir sollten das baldmöglichst schaffen, den die FDP muss es in der politischen Landschaft in Deutschland geben. Schon deshalb helfen Erklärungen, wie es das Präsidium sieht und wie es dieser und jener sieht, überhaupt nicht weiter. Wir haben Tausende von Parteimitgliedern, und wir haben die Chance, auch Wähler wieder zurückzugewinnen. Die möchten sehr bald sehen, wie wir antreten. Und deshalb sollte sich jeder, der im Präsidium Mitglied ist, auch bei sich selbst überlegen, ob es nicht ein vernünftiger Weg wäre, einen früheren Bundesparteitag zu haben.

    Breker: Dirk Niebel, ein Vertrauensmann von Guido Westerwelle, gehört zu denen, die am liebsten offenbar gegen Philipp Rösler stänkern. Ist das Zufall oder Teil einer Strategie?

    Gerhardt: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt natürlich auch Äußerungen, bei denen man sich selbst fragen muss, ob man die in dieser Formulierung tut. Aber ich glaube, dass Dirk Niebel, der ja auch kritisiert wird, weil er ein Ressort leitet, das wir eigentlich nicht haben wollen, und trotzdem das sehr erfolgreich leitet, auch einen festen Standort hat. Und es gibt in einer Partei immer offene, verdeckte Wettbewerbe, das ist nichts, was man ablehnen muss. Es führt im Grunde genommen eine Schweigespirale am Ende zu gar nichts.

    Breker: Seine Idee ist ja die, dass die FDP sich an der Spitze breiter aufstellen möge. Ist das nicht vielleicht sogar klug, in der jetzigen Situation zu sagen, wir brauchen gute Wahlkämpfer wie Wolfgang Kubicki, wie Guido Westerwelle ja auch einer ist, wie der Kollege Lindner in Nordrhein-Westfalen. Müssen die nicht nach vorne gezogen werden, weil die FDP gute Wahlkämpfer braucht?

    Gerhardt: Ja, die sind ja da. Ich meine, wir können ja nicht Visitenkarten verleihen. Wir haben eine Führungsspitze, die ja im Amt ist, dann sollen sich die Mitglieder der Führungsspitze zeigen und gute Wahlkämpfe führen. Im Übrigen dient auch dazu ein vorgezogener Bundesparteitag. Natürlich ist jemand Vorsitzender, und es wird auch eine Frau oder ein Mann nach dem Bundesparteitag Vorsitzender sein, aber ohne eine Mannschaft kann man nun mal nichts unternehmen. Und das Dringende, was eine Mannschaft zustande bringen muss, die wir im Eigentlichen ja auch haben, ist, mehr Gewicht in der Koalition zu entwickeln. Ich treffe fast niemanden, der das nicht beklagt, der die FDP für zu leichtgewichtig in der Koalition hält - das muss dann geändert werden, wir haben das selbst in der Hand.

    Breker: Man hat nach den Fehlern zu Beginn der Legislaturperiode Konsequenzen gezogen, auch in der FDP. Guido Westerwelle wollte unbedingt Außenminister werden, deswegen hat man das Finanzministerium nicht bekommen. Nun könnte es doch vielleicht sein, Herr Gerhardt, dass dieser Generationenwechsel, der da vollzogen wurde, dass der vielleicht doch etwas zu radikal war.

    Gerhardt: Ich glaube, dass der Generationenwechsel nicht so geglückt ist, wie sich das die Beteiligten auch vorgestellt haben, das liegt offen zutage. Und allein der Vertrauensgewinn, der mit Rainer Brüderle verbunden ist, zeigt das ja auch, dass die Partei sich insgesamt eine glücklichere Mischung zwischen Jung und Alt gewünscht hätte. Aber ich kann nun nicht ewig in den Rückspiegel schauen, ich muss durch die Frontscheibe sehen und sagen, was machen wir zu Beginn des Jahres 2013, bei einer für die FDP nahezu existenziellen Bundestagswahl im Herbst. Und da muss nun jeder für sich entscheiden, was er für die vernünftigste Lösung hält. Und ich bin ein Mensch, der in dieser Situation die Existenz der FDP aus der Geschichte der Bundesrepublik in der politischen Landschaft für ganz wichtig hält, und dann auch mal einigen sagt, ihre eigenen Wünsche können sich nicht immer erfüllen.

    Breker: Und dann muss man gegebenenfalls auch bei der Flussüberquerung mitten im Fluss die Pferde wechseln?

    Gerhardt: Ich glaube, dass die Öffentlichkeit mindestens die Erwartung haben darf, dass die FDP die Zeichen der Zeit, ihre existenzielle Sicherung, begreift, und ich würde es schon für ein wichtiges, vertrauensbildendes Signal halten, den Bundesparteitag vorzuziehen.

    Breker: Personaldiskussionen - das weiß man seit Jahrzehnten - kommen beim Wähler nicht gut an. Aber mit welcher Sachpolitik kann denn die FDP beim Wähler punkten?

    Gerhardt: Wir sind die Partei, die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik am deutlichsten vertritt. Wir wissen, dass Marktwirtschaft und Wettbewerb nicht so beliebt ist in Deutschland, wir vertreten sie aber. Wir sagen den Menschen, wir haben die höchste Beschäftigungsquote, wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit, trotz vieler Streitereien in der Koalition, wir vertreten Bildung als Bürgerrecht. Die FDP ist in der Geschichte die Partei der internationalen Orientierung gewesen, der Westbindung, der Integrationsfähigkeit, aber auch der Öffnung nach Osten. Wir haben genügend Chancen, wenn wir unser Profil durch eigene, bessere Markenpflege herausarbeiten.

    Breker: Bei kleinen Parteien, Herr Gerhardt, ist es ja immer so, dass deren Sympathiewerte auch von charismatischen Persönlichkeiten abhängen. Hat denn die FDP die überhaupt noch?

    Gerhardt: Wir haben eine Reihe von Persönlichkeiten, das sage ich jetzt mal auch in die jüngere Generation, die große Klasse sind. Lindner haben Sie selbst erwähnt, ganz hervorragend in Nordrhein-Westfalen, wie er das gemacht hat, jemand der große Potenzial hat. In der Bundestagsfraktion - ich will niemanden auslassen -, da gibt es eine ganze Reihe von Jüngeren, von denen, die die deutsche Öffentlichkeit in Zukunft stärker hören will. Mir ist nicht bange um das Potenzial, das wir haben. Gegenwärtig macht mir Sorge, dass wir die eigene Markenpflege nicht genügend herausbringen.

    Breker: Im Deutschlandfunkt war das die Einschätzung des FDP-Urgesteins Wolfgang Gerhardt. Er ist Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Herr Gerhardt, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!

    Gerhardt: Ich danke Ihnen auch!

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