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Gerichte und Medien
Deshalb werden künftig manche Urteile live übertragen

Das Urteil zum NSU-Prozess wurde zwar nicht live aus dem Gerichtssaal übertragen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs dagegen wird es schon. Möglich macht diese Premiere eine Gesetzesänderung.

Von Michael Borgers |
    Die im NSU-Prozess angeklagte Beate Zschäpe, umringt von Foto-Journalisten.
    Die im NSU-Prozess angeklagte Beate Zschäpe, umringt von Foto-Journalisten. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Wird der NSU-Prozess live übertragen oder nicht? Darüber gab es zuletzt Verwirrung: Das Erste übertrage die Urteilsverkündung im NSU-Prozess live, hieß es in einer dpa-Meldung vergangene Woche. Wenig später korrigierte die Nachrichtenagentur: Der Sender berichte nur über das Verfahren, nicht live.
    Beim Deutsche Journalisten-Verband kam diese Verbesserung allerdings nicht an. Der DJV ging an diesem Mittwoch weiterhin von einer Liveverkündung aus. Die Richter hätten damit eine "gute Entscheidung getroffen, die die zeitgeschichtliche Bedeutung des Prozesses würdigt", hieß es in einem Blog-Eintrag des Verbandes.
    Gesetzliche Neuregelung seit April
    Doch selbst wenn das Oberlandesgericht in München gewollt hätte: Die Richter in der bayerischen Landeshauptstadt müssen auch weiterhin dafür sorgen, dass während ihrer Urteilssprüche TV-Kameras und Radio-Mikrofone ausgeschaltet bleiben. Das schreibt das neue Gerichtsverfassungsgesetz, kurz GVG, vor.
    Seit April dieses Jahres gilt eine gesetzliche Neuregelung, aber nur für die fünf Gerichtshöfe - neben Bundesgerichtshof (BGH) sind das Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht und Bundesfinanzhof. Erlaubt ist das Filmen eines Urteils aber nur, wenn der betroffene Senat dem vorher ausdrücklich zustimmt.
    Premiere in Karlsruhe
    Von dieser Möglichkeit werden die Richter des BGH nun - am Tag nach der NSU-Urteilsverkündung - erstmals Gebrauch machen: Der öffentlich-rechtliche Sender Phoenix überträgt ab 10.55 Uhr die Karlsruher Entscheidung zum Anspruch einer Mutter auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter.
    Filmaufnahmen in Gerichtssälen waren lange erlaubt; die Aufzeichnungen der Nürnberger Prozesse gelten als wichtiges Zeitdokument. 1964 wurde diese Möglichkeit aber verboten. Nur das Bundesverfassungsgericht gestattet seit zwei Jahrzehnten mit einer Ausnahmeregelung die Übertragung seiner Urteile.
    Die Vorsitzenden Richterinnen und Richter seien mit einem "Medientraining" auf die Anwesenheit von Kameras während der Entscheidungsverkündung vorbereitet wurden, sagte BGH-Sprecherin Dietlind Weinland gegenüber @mediasres. Ob bei einer vom jeweiligen Senat des BGH zugelassenen Kamera-Öffentlichkeit die Urteilsverkündung aufgezeichnet oder live gesendet wird, entschieden in erster Linie die akkreditierten TV-Sender.
    Mit der neuen Regelung könnten Verhandlungen nun sogar komplett aufgezeichnet werden. Aber nur, "wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt" - und eben nur an Bundesgerichten. Für das als historisch geltenden NSU-Verfahren war es nicht möglich, weil es an einem Oberlandesgericht geführt wurde.
    "Gefahr von Schauprozessen"
    Eine Live-Übertragung ganzer Prozesse ist weiterhin nicht vorgesehen. "Wir wollen aus dem Gerichtssaal auch in Zukunft keine Showbühne machen", erklärte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas bei der Ankündigung des neuen Gesetzes. Die Rechte der Verfahrensbeteiligten müssten gewahrt bleiben.
    Auch die deutschen Richterverbände begrüßen diese Regelung. Vor der "Gefahr von Schauprozessen" bei Live-Übertragungen warnte jüngst im NSU-Prozess-Blog der "Zeit" die Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, Andrea Titz. "Das hat eine starke Wirkung auf Zeugen."
    Komplett live nur vor Ort
    Dass nur die Urteile von Bundesgerichten live in TV oder Internet übertragen werden können, sei ebenfalls richtig, findet der Vertreter der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg, Wulf Schindler. Durch die Live-Situation entstehe zusätzlicher Druck, sagte der Tübinger Richter im Gespräch mit @mediasres. Denn anders als an den Bundesgerichten hätten Amts-, Landes- oder Oberlandesrichter ihre Urteile nicht bereits schriftlich vorliegen und müssten sie frei formulieren.
    Und wer ein Verfahren live erleben wolle, könne ja bei öffentlichen Verfahren jederzeit die Sitzung besuchen.