Philipp May: Jetzt reden wir erst einmal über Fleisch: Wir essen zu viel davon, zumindest gemessen an den ambitionierten deutschen Plänen zur Klimarettung, denn die Fleischproduktion gilt als einer der Hauptverursacher von schädlichen Klimagasen. Dazu kommt noch die alles andere als tierfreundliche Massentierhaltung. Das Bewusstsein dafür ist mittlerweile bei den meisten Parteien groß, doch geändert hat sich am Befund nichts. Seit gestern wird nun der Vorschlag diskutiert, die Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erhöhen vom ermäßigten Satz von sieben Prozent für Grundnahrungsmittel auf 19 Prozent. Zustimmung für diesen Vorschlag kam zunächst auch aus der Union, also fragen wir noch mal nach beim Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses im Bundestag, Alois Gerig, er ist auch Landwirt. Schönen guten Morgen!
Alois Gerig: Guten Morgen, Herr May!
May: Herr Gerig, brauchen wir doch den Veggie Day?
Gerig: Ja, bei uns, in meiner Familie, ich bin gut christlich erzogen, wir halten jeden Freitag unseren Veggie Day, aber das hat andere Gründe. Nein, ich bin positiv angetan, dass wir über das Thema gesundes Essen diskutieren und dass wir auch darüber diskutieren, ob wir vielleicht weniger und gesünderes Fleisch essen wollen. Deswegen ist es gut, grundsätzlich über das Thema nachzudenken, aber ich muss auch sagen, wir haben die Situation in Deutschland, dass gerade immer noch Fleisch als Lockvogel in den vielen Werbeprospekten des Handels jede Woche verwendet wird, und darüber kann man auch mal nachdenken, ob das in Ordnung ist. Einerseits haben wir die Situation, dass es einen großen Strukturwandel in der Landwirtschaft gibt – jeden Tag schließen viele Betriebe, weil es einfach keine auskömmlichen Produktpreise gibt –, und andererseits wissen wir, es wird viel zu viel Lebensmittel weggeworfen, elf Millionen Tonnen jährlich. Die Bürger brauchen mehr Bewusstsein für gute Lebensmittel, und die Bauern müssen teilweise auch bereit sein, die Produktionen, die Haltung umzustellen, aber sie müssen dafür entlohnt werden.
"Es braucht ein Tierwohllabel"
May: Und für das Nachdenken haben wir Sie auch gewählt, und deswegen setzen wir Sie in den Landwirtschaftsausschuss, also: Das Ziel ist richtig, den Fleischkonsum zu reduzieren. Wie machen wir das?
Gerig: Indem wir zum Beispiel das Tierwohllabel umsetzen, das ja Julia Klöckner jetzt mit aller Macht vorantreiben will.
May: Da sagen ja viele Experten, dass das nicht verpflichtend ist. Das ist schon das erste Problem, das müsste verpflichtend sein. Solange das nicht verpflichtend ist, bringt das nichts. Freiwilligkeit hilft nicht weiter.
Gerig: Genau, da kann man aber durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Ich bin der Ansicht, dass wir dringend starten müssen, dass wir als Verbraucher unterscheiden können, zu welchen Bedingungen, wo und mit was Tiere produziert worden sind, und deswegen braucht es so ein Label. Der schnelle Start wird vermutlich nur mit Freiwilligkeit gelingen, und dann muss es möglichst europaweit verpflichtend werden. Da bin ich einer Meinung mit denjenigen, die das auch fordern.
May: Warum muss man mit Freiwilligkeit starten, warum nicht sofort strengere Gesetze für mehr Tierwohl?
Gerig: Weil wir das europaweit und europarechtlich nicht hinbekommen. Wir sind nicht die Insel der Glückseligen. Ich sehe mit großem Bedauern, dass wir Produktionsanteile in Deutschland verlieren. In vielen Bereichen der Lebensmittel haben wir die Situation, dass wir keinen hohen Selbstversorgungsgrad mehr haben, dass wir die Produktion aus dem Land verlagern. Ich will unbedingt, dass die Menschen in Deutschland die Lebensmittel, die sie essen, auch im Blick behalten können, sprich, dass diese Lebensmittel in Deutschland produziert werden, und das können die Verbraucher am besten dann machen, wenn sie das am Label erkennen können, wo und zu welchen Bedingungen die Lebensmittel produziert worden sind. Dann müssen sie vielleicht ein paar Prozent mehr als zehn Prozent der Konsumausgaben kosten.
May: Herr Gerig, ich verstehe, dass Sie eine europaweite Lösung anstreben. Die Gründe, die sind mir total einleuchtend. Ist es nicht dennoch ein Totschlagargument, einfach auf Europa zu verweisen? Müsste Deutschland nicht trotzdem vorangehen? Kann man immer nur auf Europa verweisen?
Gerig: Nein, das kann man nicht. Wir wollen ja und werden vorangehen, und das geht national mit einem Label, das man nicht national verpflichtend machen kann. Da würden europarechtlich Wettbewerbsgründe dagegensprechen. Deswegen muss man mit dem starten, mit dem Spatz in der Hand starten und dann sich an die Taube heranarbeiten. Das ist so meine Devise, davon bin ich überzeugt. Ich will einen schnellen Start.
"...dann kriegen wir Ferkel aus dem Ausland"
May: Okay, ist angekommen. Dennoch, was immer noch hier in Deutschland erlaubt ist, was man ändern könnte, ist zum Beispiel: Kastenstandhaltung von Schweinen, die haben 0,75 Quadratmeter Platz für eine 110 Kilo schwere Mastsau. Also die steht einfach nur da in einem Kasten drin. Ferkelkastration ohne Betäubung ist erlaubt, Schwänze von Ferkeln werden immer noch gekürzt. Alles Tierquälerei, alles erlaubt in Deutschland und wird dem Profit zum Zwecke auch gemacht.
Gerig: Ja, auch da bin ich bei Ihnen. Ich bin sehr dafür, das alles zu verbessern. Da haben wir ja gesetzliche Grundlagen, aber wir können es nicht mit dem Hebel über Nacht machen. Wir haben bei der Ferkelproduktion noch 70 Prozent Selbstversorgung. Das heißt, wenn wir jetzt zu schnell genau diese Dinge umsetzen, wie Kastration, Kastenstand und Schwänze kupieren, was Sie gesagt haben, dann werden wir, wie damals bei der Legehennenhaltung, die Produktion und die Marktanteile verlieren, und wir kriegen dann – und das ist garantiert – hier Ferkel vom Ausland, die zu schlechteren Bedingungen gehalten und aufgezogen worden sind. Deswegen muss man immer die Medaille von beiden Seiten betrachten. Wir sind mit aller Macht dran, diesen Umbau zu fördern. Deswegen brauchen wir tatsächlich auch viel mehr Geld für Forschung und moderne Stallungen, aber ich will die Produktion von Lebensmitteln im Land halten, weil ich dann auch als verantwortungsvoller Politiker die Standards mitbestimmen kann.
May: Okay, das ist das eine. Wenn es darum geht, dass das Ausland uns sozusagen dann die Marktanteile wegnehmen würde, was Ihre Befürchtung ist, dann können wir doch wieder zum Thema Steuern kommen. Die würden ja alle betreffen, wenn die Steuern auf Fleischprodukte erhöht werden hier in Deutschland. Was spricht dagegen?
Gerig: Es hat einen gewissen Charme, weil es eine schnelle einfache Variante ist. Dagegen spricht, dass wir wieder die sozial Schwächeren zuerst treffen. Das muss man so sagen, alle mit der Gießkanne. Dagegen spricht für mich, dass wir weder die Verarbeiter noch den Handel mit im Boot hätten für diesen Lebensmittel nur ein Durchreicheprodukt.
Verbraucher sollen bewusster ins Regal greifen
May: Okay, das Argument mit den sozial Schwächeren, deswegen ist es in Ordnung, ein Nackensteak für zwei Euro im Supermarkt zu kaufen, von dem wir alle wissen, wie das dann produziert ist.
Gerig: Eben deshalb will ich erreichen, dass die Standards … und das kann man sehr schnell machen. Wir haben ja jetzt schon viele Bauernhöfe, die zu anderen Bedingungen produzieren. Das ist nicht nur die Bioschiene, das sind auch viele, die besonders tierwohlgerecht, es gibt ganz verschiedene Vermarktungsmodelle, um auch ein Fleisch kaufen zu können, das höherwertig ist und das zu höheren Standards produziert worden ist. Ich möchte die Verbraucher dazu animieren, bewusster ins Regal zu greifen, und ich möchte den Handel bitten, dass er diese Lockvogelmentalität gerade mit Fleisch – deswegen ist die aktuelle Diskussion gut – aufgibt. Das kann nicht sein, dass man ausgerechnet mit diesem kostbaren Lebensmittel Fleisch die Menschen in die Läden locken will.
May: Fromme Bitten ist das eine, aber hätte nicht möglicherweise eine Steuer auch ein bisschen Lenkungswirkung und würde der ganzen Bitterei noch ein bisschen Nachdruck verleihen?
Gerig: Dafür sicher nicht. Also das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass eine Steuer quer drüber … Ich habe es ja gerade gesagt, gerade Handel und Verarbeitung wäre überhaupt nicht von der Steuererhöhung betroffen. Das wären die Verbraucher, die das zahlen müssen, und dann ist es auch noch nicht sicher, in welches Regal die nachher greifen, ob die jetzt bereit sind, dann auf Fleisch mehr und mehr zu verzichten, ob sie bereit sind, dann bei höherer Steuer ein höherwertiges Produkt noch teurer aus dem Regal zu nehmen, was ja proportional die Steuer dann noch mal teurer macht. Also ich glaube nicht, dass das der beste Weg ist. Im Übrigen hat ja die Koalition im aktuellen Vertrag vereinbart, dass man keine Steuererhöhungen will.
May: Ja gut, aber wenn man zum Beispiel ein politisches Ziel hat, jetzt zum Beispiel den Fleischkonsum zu reduzieren, was ja im Sinne des Klimawandels beziehungsweise Eindämmung des Klimawandels zur Erreichung der CO2-Ziele auch geboten ist, wenn man ein Ziel hat, dann kann man ja eine Lenkungswirkung durchaus entfachen. Ich denke jetzt zum Beispiel an den Zigarettenkonsum. Da hat die Politik ja auch, das hat sie eingedämmt durch eine massive Erhöhung der Tabaksteuer und durch Verbote von Rauchen an bestimmten Plätzen. Also wenn eine Reduktion des Fleischkonsums politischer Wille ist, warum nicht grundsätzlich Fleischsteuer und gleichzeitig Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen bei der Tierhaltung, Tierwohllabel et cetera? Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Gerig: Ja, deswegen kann man ja auch drüber nachdenken und darüber reden, aber auch da kann ich Ihnen zusichern, da wird es keinen Schnellschuss geben können, weil dann ganz viele mit ähnlichen Argumenten auch kommen, und nachher haben wir eine Welle von Steuererhöhungen, und die will ich vermeiden. Ich will, dass es den Menschen in Deutschland gutgeht, dass sie sich wohlfühlen, dass sie sich insbesondere gesund ernähren können. Das sei am Rande vielleicht auch noch gesagt: Lebensmittel waren nie so sicher und so gut wie sie bei uns sind, und wir haben Luxusdebatten, weil die Regale rund ums Jahr mit allen Produkten gefüllt sind, weil Lebensmittel in Deutschland so günstig sind wie in fast keinem anderen Land und noch niemals so günstig waren, aber das entbindet den Verbraucher nicht davon, dass er sich auch bewusst ernährt. Die Chance, die hat er, und die wollen wir ihm in Verbindung zum Beispiel mit einer besseren Kennzeichnung, durch ein Tierwohllabel und Definieren von Standards, weiter erhalten. Wir wollen die Produktion im Land halten, wir wollen die Landwirtschaft dahingehend fördern, dass sie noch tiergerechter ihre Stallungen bauen.
May: Aber ist das nicht ein Widerspruch an sich: günstige Lebensmittel und Tierwohl? Muss man nicht auch einfach sagen, ein Lebensmittel hat einen bestimmten Wert, und das muss man anerkennen? Sind Lebensmittel möglicherweise auch zu günstig?
Gerig: Das habe ich ja jetzt schon zweimal versucht klarzumachen. Zehn Prozent gibt der Durchschnittsdeutsche für Lebensmittel aus, und das ist viel zu wenig. Deswegen ist Wertschätzung verlorengegangen, deswegen wird auch pro Kopf 80 Kilogramm im Jahr einfach mal so arglos weggeworfen. Hätten die Lebensmittel den Preis, den sie eigentlich brauchen, hätten sie auch mehr Wertschätzung, hätten wir manche Probleme gerade im Umweltbereich mit Lebensmittelverschwendung nicht.
Junge Generation überlegt fünfmal, den Hof zu übernehmen
May: Was halten Sie denn von dem Vorschlag – eine Frage habe ich noch –, wenn man eine höhere Steuer zwar auf Fleischgüter erhebt, aber gleichzeitig das zweckgebunden für die Landwirtschaft einsetzt, dass die ihre Betriebe umbauen können? Das klingt doch eigentlich ganz plausibel.
Gerig: Also das würde für mich auf jeden Fall die Grundlage überhaupt erst sein können. Zweckgebunden müssen diese Mittel eingesetzt werden, und ich sage, wir brauchen mehr Geld für die Landwirtschaft, weil die Landwirtschaft nicht nur wertvolle Lebensmittel produziert, sie erhält auch die Kulturlandschaft. Gerade die bäuerlich geführten Betriebe sind häufig auch im Land noch diejenigen, die das Dorfleben halbwegs erhalten. Also die Leistungen der Bauern sind immens, und es ist wichtig, dass wir den Strukturwandel ein Stück weit eindämmen, denn die Jungen, die überlegen sich heute fünfmal, ob sie den Hof der Eltern übernehmen und sagen, nein, erstens, schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen, zweitens, noch beschimpfen lassen als Massentierhalter und Umweltsünder, tue ich mir nicht an, und dann ist wieder ein Bauernhof weniger hier. Das will ich aufhalten. Ich will so ein bisschen das Bewusstsein der Mitbürger für die Leistungen der Landwirtschaft stärken, und ich will unbedingt, dass wir weiterhin die Lebensmittelproduktion im Land erhalten, –
May: Ist angekommen.
Gerig: – dass das, was die Menschen bei uns zu sich nehmen, auch kontrolliert im eigenen Land angebaut wird.
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