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Germanwatch zur EU-Klimapolitik
"Aufpassen, dass es kein Greenwash wird"

Niemand habe Ursula von der Leyen bis jetzt wahrgenommen als Vorreiterin beim Klimaschutz, sagte Oldag Caspar von der Umweltorganisation Germanwatch im Dlf. Nötig sei ein klimapolitischer Aufbruch auf EU-Ebene. Auf jeden Fall müsse was passieren beim Emissionshandel.

Oldag Caspar im Gespräch mit Stefan Römermann |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und die Bewerberin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen (beide CDU)
Angela Merkel (l. neben Ursula von der Leyen) sei "nicht mehr die große Klimakanzlerin", so Interviewpartner Oldag Caspar (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
Stefan Römermann: Tja, wird sie es nun oder wird sie es nicht, das ist momentan die ganz große Frage, ob Ursula von der Leyen tatsächlich die nächste EU-Kommissionpräsidentin wird. Das entscheidet sich heute Abend bei einer Abstimmung im EU-Parlament. In den vergangenen Tagen war sie noch mal auf Charme-Offensive und hat auch gerade eben noch mal in Sachen Klimaschutz ehrgeizige Ziele angekündigt.
Darüber spreche ich jetzt mit Oldag Caspar, er ist Teamleiter deutsche und europäische Klimapolitik bei Germanwatch. Herr Caspar, Frau von der Leyen gibt sich jetzt also quasi als eine Art Klimaschutzkommissionspräsidentin in spe. Wie war das denn so die vergangenen Jahre? Ist sie da irgendwie in Sachen Klimaschutz aufgefallen?
Oldag Caspar: Hallo Herr Römermann! Das ist sie nicht. Ich glaube, niemand hat Frau von der Leyen bis jetzt wahrgenommen als eine der Unionsvorreiterinnen oder Garantin beim Klimaschutz. Das heißt, bis jetzt ist sie da ein unbeschriebenes Blatt, und man kann da sehr viel reinlesen natürlich jetzt.
"Durchaus richtige Richtung" beim Klimaschutz
Römermann: Glauben Sie denn, dass sie das mit dem Klimaschutz ernst meint?
Caspar: Na, das glauben wir schon, denn die Union stellt sich ja gerade neu auf beim Klimaschutz, also ihre eigene Partei, und wir wissen auch, dass sie eine Vertrauensperson für die Bundeskanzlerin ist, die das Klimathema ja nach wie vor, auch wenn sie vielleicht nicht mehr die große Klimakanzlerin ist, die sie mal war, aber auch die Kanzlerin findet das Klimathema nach wie vor sehr wichtig, und da glauben wir schon, dass die Union - und das sehen wir auch an verschiedenen Stellen - sich beim Klimaschutz gerade durchaus in die richtige Richtung bewegt. Das passiert auch gerade bei Frau von der Leyen, und natürlich merkt sie auch bei ihren ganzen Gesprächen in Brüssel, die sie jetzt gerade die letzten Tage geführt hat, das ist das große Thema gerade in Brüssel, in Europa, in ganz vielen Mitgliedsstaaten. Darauf muss sie reagieren, wenn sie Kommissionspräsidentin werden will.
Römermann: Ursula von der Leyen hat dabei unter anderem angekündigt, das EU-Etappenziel, sage ich jetzt mal, für die Verringerung von den Treibhausgasen bis 2030 stark zu verschärfen. Bisher liegt das bei 40 Prozent Reduktion. Zukünftig sollen es 50 bis 55 sein. Das klingt ja erst mal gut, aber ist das tatsächlich auch realistisch?
Caspar: Also erst mal ist das notwendig, wenn nicht noch zu wenig, und wenn wir mal uns angucken, wenn alle Staaten ungefähr das tun würden, was die EU zurzeit tut mit den 40 Prozent, dann kommen wir so auf eine globale Erwärmung - also ungefähr alle Staaten machen irgendwie die gleiche Geschwindigkeit beim Klimaschutz -, dann kommen wir auf eine globale Erwärmung von drei bis vier Grad, und jetzt haben viele Akteure das mal umgerechnet, was müsste dann eigentlich passieren, und da kommen in der Regel Zahlen raus, die deutlich über den 50 Prozent sind und sogar bei vielen noch über den 55 Prozent, die jetzt … also das ist ja die Spannbreite, die jetzt Frau von der Leyen da vorschlägt. Also das geht in die richtige Richtung, ist aber wohl zur Einhaltung der Pariser Klimaziele - also die ist deutlich unter zwei Grad oder möglichst 1,5 - noch immer nicht das Optimum.
Warnung vor "Symbolpolitik"
Römermann: Welches sind denn da die wichtigsten Hebel, die die EU tatsächlich ansetzen kann? Wäre das tatsächlich der Emissionshandel oder ist das eher unrealistisch, dass der europaweit bald verschärft wird?
Caspar: Also das eine ist der Emissionshandel, das stimmt schon, da muss noch viel passieren. Die erste Reform haben wir ja hinter uns oder die erste Stufe der Reform. Die zweite Phase, die muss jetzt kommen in der nächsten, in der neuen EU-Legislaturperiode. Das ist auch ganz vielen Akteuren klar. Also diese Absenkung der Emissionen jedes Jahr mit diesem sogenannten Reduktionsfaktor, den es da gibt, das ist noch zu niedrig, um die EU zu dekarbonisieren bis 2050. Das wäre deutlich nach 2050, wie es jetzt aussieht. Das heißt, da muss auf jeden Fall noch was passieren beim Emissionshandel. Aber andererseits können wir auch nicht alles mit dem Emissionshandel lösen. Uns scheint gerade, dass Frau von der Leyen eher in diese Richtung denkt, dass man jetzt alle Sektoren in Emissionshandel reinholt, und dann können wir damit die Klimaziele erreichen, und es scheint uns eine sehr, sehr deutsche oder sehr CDU/CSU-geführte Debatte, die in Brüssel und in vielen Staaten auf EU-Ebene auf großes Unverständnis und Kopfschütteln stoßen wird.
Römermann: Ein anderer Punkt, den Frau von der Leyen angesprochen hat, ist, sie will ein Green-Deal für Europa vorlegen innerhalb der ersten 100 Tage ihrer Amtszeit, so eine Art Klimagesetz. Was soll das, kann das was bewirken, oder ist das auch eher Symbolpolitik?
Caspar: Das kann natürlich auch Symbolpolitik am Ende sein. Also da müssen wir aufpassen, auch wir als Germanwatch und als andere Umweltverbände, dass es kein Greenwash wird, den dann da die Kommission versucht, aber ich glaube, da ist ein großes Potenzial dahinter. Wir brauchen nämlich jetzt einen Aufbruch auf EU-Ebene, wir brauchen diesen Anstoß aus Brüssel, in Deutschland auch. Auch wir erreichen ja längst nicht unsere Klimaziele, und auch wir brauchen Unterstützung aus Brüssel für viele Bereiche eigentlich in der Gesellschaft und Wirtschaft, damit die das schaffen, aber andere Staaten brauchen das zum Teil sogar noch stärker, und die brauchen auch diesen Impuls, diesen positiven Impuls, und wenn die dann spüren, dass Brüssel … Also stellen wir uns mal so ein kleines Land wie Slowenien vor zum Beispiel, und das große Brüssel aber macht so einen Aufbruch und unterstützt jetzt die Politik in Slowenien, das voranzubringen mit dem Klimaschutz, dann ist dort die Bereitschaft auch gleich viel größer, ambitionierte Politik überhaupt anzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.