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Gerrit Bartels vs. Michael J. Stephan
Braucht Literatur Wettbewerbe?

Ob Deutscher Buchpreis oder Bachmannpreis in Klagenfurt: Preise und Wettbewerbe schaffen Öffentlichkeit für die Literatur. Aber gewinnt man mit diesen Bühnen neue Leserschichten? Oder degradiert der Wettbewerbsgedanke die Literatur zur Ware? Darüber diskutieren Gerrit Bartels und Michael J. Stephan.

Moderation: Jan Drees |
Die Jury am Donnerstag, 27. Juni 2019, während des 1. Tags des Wettlesens um den Ingeborg Bachmann-Preis in Klagenfurt.
Ob Buchpreise für die Literatur förderlich sind, darüber kann man geteilter Meinung sein (picture alliance / Gert Eggenberger)
Pro:
Gerrit Bartels studierte Humanmedizin in Göttingen und Berlin, war als Arzt in der Inneren Medizin und der Psychiatrie tätig. Von 1998 bis 2006 war er Kulturredakteur der "taz". Seit 2006 ist er Literaturredakteur des Berliner "Tagesspiegels".
"Literaturwettbewerbe lenken die Aufmerksamkeit auf die Literatur. Sie machen Bücher, Texte und ihre Autoren und Autorinnen erst interessant für ein größeres Publikum, sie vermitteln Literatur, auch für ein Publikum, das sich für Literatur gar nicht interessiert oder glaubt, sich dafür nicht zu interessieren - und dann von Themen hört, Stoffen, die es womöglich begeistert und gleichzeitig bemerkt: Literatur ist nicht nur was für Fachleute und intellektuelle Kreise.

Und so wenig sich Literatur vergleichen lässt, hier keine Noten verteilt werden können, weil es so viele unterschiedliche Formen, Stile und Stoffe gibt - sehr wohl lässt sich gute von nicht so guter Literatur unterscheiden, lässt sich darüber diskutieren, steht die Analyse vor Geschmacksurteilen, ist der Wettbewerbscharakter motivierend für Autoren und Kritik, vor allem wenn die Sache wirklich ernst genommen wird. Ganz abgesehen davon, dass Wettbewerbe, Buchpreise auch ökonomische Trigger sind, Autoren, die im Fernsehen vorlesen, die für Preise nominiert sind, unabhängig vom Verkauf ihrer Bücher die Chance haben, Geld zu verdienen."
Contra:
Michael J. Stephan, Autor und Fotograf:
"Das Prozedere: Wir müssen uns bei Preisen auf Jurys verlassen, obwohl deren Beweisführung für schlechte, bessere oder großartige Literatur natürlich subjektiv ist. Das Protokoll der Auseinandersetzungen der 'Preisrichter', selbst die Laudatio auf den Sieger, gibt keinerlei Auskunft über den Prozess. Da ist Klagenfurt der pure Luxus für Jeden, der es hören oder sehen mag. Live im Fernsehen. Dann gibt es einen Sieger in den Kategorien schneller, höher, weiter, besser. Hin und wieder B-Noten, für Raffinesse, Eleganz, selten Dramaturgie.
Wettbewerb in der Kunst: Ein Makel der Künste und des Schreibens ist, dass das Resultat rezipiert und gelesen werden soll, und somit der Realität der Ökonomie unterliegt, weil es damit zur Ware wird. Ganz zu schweigen von ideologischen und politischen Fesseln. Darauf mussten sich Künstler zu allen Zeiten einlassen, oder eben nicht, wenn sie keine Hofschranzen sein wollten.

Nun bekommen sie das Schwert des Wettbewerbes vorgeführt, das Instrument der Abzählreime und der Ordnungssuche, was eher zur Popkultur gehört, in die Welt der Charts und Einschaltquoten. Eine derartige Bewertung hätte man den Künsten und der Literatur niemals antun sollen.
Vorschlag: Abzählreime, Zufall, keine Jurys. Nie wieder Antragsprosa, in der sich Künstler und Autoren für Wettbewerbe zu qualifizieren versuchen. Unterstützung nicht erbetteln, sondern fordern, frei von jeder Einflussnahme oder Werbung. Sprache und den Erwerb von Mustern zum Denken, überhaupt Künste zu fördern, ist Aufgabe der Gesellschaft und kein Geschäft oder Luxus."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.