Vergangene Woche wurde Evan Gershkovich, Journalist des "Wall Street Journal", in Russland festgenommen. Der Vorwurf lautet Spionage. Seine Zeitung und auch Gershkovich selbst weisen die Anschuldigungen zurück.
"Wir haben gestern zum ersten Mal in fast einer Woche mit ihm Kontakt gehabt über den Anwalt, den wir in Moskau beauftragt haben", so Bojan Pancevski, Korrespondent und Leiter des Berliner Büros des "Wall Street Journals". "Der durfte ihn kurz besuchen im Gefägnis. Der hat berichtet, dass es ihm gut geht."
Kommunikation über Briefe wurde versprochen
"Er darf Briefe schreiben und bekommen. Uns ist versprochen worden, dass, wenn wir Briefe an ihn schreiben über Email, die ausgedruckt werden und ihm vorgelegt werden und er dürfte dann antworten. Das wird natürlich alles zensiert und gelesen von den Gefängnisbehörden. Aber wir sind guter Dinge, dass wir auf diesem Weg mit ihm kommunizeren werden können," so Pancevski. Das "Wall Street Journal" sei auch in Kontakt mit der US-amerikanischen Regierung.
US-Präsident Biden und der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau dringen auf die Freilassung Gershkovichs. Laut Biden hat die Freilassung des Reporters "Priorität".
Eine Warnung vom Kreml
Für Medienschaffende in Russland verschärft sich die Situation dadurch weiter. “Viele verstehen das hier durchaus als Warnschuss, bei bestimmten Themen einfach nicht zu weit zu gehen oder am besten gleich die Finger davon zu lassen”, sagte die ARD-Russlandkorrespondentin Christina Nagel dem Deutschlandfunk.
Die Gesetze seien oft schwammig formuliert und ließen viel Spielraum, so Nagel. “Aber es sind letztlich alles Dinge, die schon lange in diesem großen Instrumentenkasten der Gesetze liegen."
Es werde immer wieder abgewogen, inwiefern Berichterstattung von vor Ort noch möglich sei, so Nagel. "Wir beboachten die Lage sehr genau, weil für uns natürlich wichtig ist, dass wir weiterhin nach unseren Standards berichten wollen, dass wir weiterhin frei berichten wollen. Wenn wir das Gefühl haben, wir können ein Thema nicht wirklich rund abbilden, dann machen wir es eben nicht mehr von hier aus, sondern wir machen es von woanders aus, weil es dann hier zu gefährlich ist."
Einige US-amerikanische Medienschaffende sind ausgereist
Laut Bojan Pancevski haben einige US-amerikanische Journalisten als Konsequenz auf Gershkovichs Verhaftung Russland verlassen. "Dass die Angst da herumgeht, ist einfach eine Tatsache." Und das hätte gravierende Auswirkungen auf die Berichterstattung.
"Das ist natürlich katastrophal für die freie Presse. Das ist katastrophal für eine unabhängige, ausgewogene Berichterstattung. Und natürlich ist das eine ganz schlechte Nachricht für alle, die einfach faktisch informiert werden wollen", so Pancevski.
Die ARD ist derzeit mit zwei Korrespondentinnen und einem Korrespondenten vor Ort. Laut WDR, der für die Auslandskorrespondenten der ARD zuständig ist, ist es das Ziel, weiterhin Berichterstattung aus Russland zu ermöglichen. "Die Berichterstattung des Studios Moskau unterstützen wir mittlerweile auch von anderen Standorten aus – u.a. aus Deutschland. Anlass dafür ist, dass es in den vergangenen Jahren nicht möglich war, neue Korrespondent:innen für die Berichterstattung aus Russland offiziell akkreditieren zu lassen."
Auch der ORF will versuchen, die Berichterstattung aus Russland weiter zu ermöglichen. Die Sicherheit des Teams sei dabei oberstes Gebot. Der Axel Springer Verlag schreibt auf Anfrage des Deutschlandfunks: "Ob bei Berichterstattung aus akuten Krisenregionen oder aus Ländern, in denen Presse- und Meinungsfreiheit nicht gelten, müssen wir immer abwägen: Was kann, was muss man riskieren, um der Wahrheit willen. Axel Springer nimmt diese schwierige Abwägung immer wieder individuell vor. Auf dieser Grundlage trifft jeder Journalist selbst die Entscheidung für oder gegen den Einsatz."
In vielen Bereichen sei die Berichterstattung aber auch noch möglich, so ARD-Korrespondentin Nagel. "Da gehts nicht nur um Sanktionen. Es geht um Einstellungen der Leute. Aber es geht auch um Einstellungen des Kremls, die man hier natürlich ungefiltert eins zu eins jeden Tag bekommt und die man dann vielleicht auch anders einordnet, als wenn man es zum Beispiel von Deutschland aus tut.”
Berlin neues Korrespondentenzentrum
Viele Medienschaffende, die Russland verlassen, kommen laut Bojan Pancevski in die deutsche Hauptstadt. "Berlin ist zu einer Drehscheibe geworden für Auslandskorrespondenten, die vorher in Moskau gearbeitet haben und die sich nicht mehr sicher fühlen. Die Büros von etlichen Zeitungen - "New York Times", "Washington Post" - sind hierher umgesiedelt worden. Aber da sind auch viele unabhängige russische Journalisten, deren Sicherheit in Russland gar nicht garantiert ist."
Anders als ausländische Medienschaffende können oppositionelle, russische Journalistinnen und Journalisten in der Regel nicht auf den Schutz durch eine Medienorganisation oder Regierung zurückgreifen.