Als Binh noch ein Heranwachsender ist, beginnt er, unter der Obhut seines ältesten Bruders in der Küche des französischen Generalgouverneurs zu arbeiten. Die Passagen, die über diese Zeit berichten, gehören zu den einfühlsamsten und originellsten des Romans. Man erfährt nicht nur, welche Mühe es macht, in der Hitze der Tropen Eischnee zu schlagen. Es stellt sich heraus, dass Binh, der Erzähler, homosexuell ist. Binh verliert deswegen seinen Arbeitsplatz, wird aus der Familie verstoßen und verläßt sein Land. Er heuert als Küchenjunge auf einem Schiff an und landet schließlich in Paris, wo er sich auf eine Annonce hin als Koch bei den Steins bewirbt. Die ärmlichen Verhältnisse in Saigon, die herrschaftliche Lebensart der französischen Kolonialisten, die Überfahrt auf dem Schiff, die Wohnung der Steins in der Rue de Fleurus 27, das Zimmer eines homosexuellen Amerikaners, der bei den Steins verkehrt und mit dem Binh ein Verhältnis hat, der Jardin du Luxembourg mit seinen Tauben und eine Brücke über die Seine, auf der Binh zufällig auf Ho Chi Minh trifft – das sind die Spielorte dieses Romans, die Fluchtorte des heimatlosen Erzählers, die bisweilen in verwirrender Abfolge gemischt und assoziiert werden. "Ein nicht ganz zuverlässiger Erzähler" wird Binh daher zu Recht im Klappentext genannt, und, so könnte man hinzufügen, bisweilen ein auch etwas unglaubwürdiger. Ein junger Koch, der oft pseudopoetisch über Sprache räsoniert ("Ich stelle mir deine Sprache vor als Wasser in meinen Händen, spiegelnd und klar."), Platitüden von sich gibt ("Wert ist ja schließlich etwas Relatives.") und pathetische Bilder erfindet ("Du trittst auf die Straße und bist plötzlich wie zerbrochenes Grau.") entstammt doch eher der Vorstellungswelt der Autorin Monique Troung.
Man merkt, dass die 36jährige Schriftstellerin, die weder in ihre Heimat zurückkehren will, noch sich ganz als US-Amerikanerin fühlen kann, mit ihrem ersten Roman "Das Buch vom Salz" eine geschickte Rezeptur für den Erfolg gefunden hat, den das Buch in den Vereinigten Staaten verzeichnen konnte: europäisches Kulturgut, asiatisches Ambiente, Homosexualität, ein poetisierender Stil, populäres Name-dropping und einige interessante Kochrezepte, wie zum Beispiel das von der in Feigen und Portwein gedünsteten Ente. Und dann durchziehen diese Prosa der inneren Monologe und fiktiven Dialoge natürlich immer wieder Binh’s Gedanken über die Hauptmetapher dieses Buches, das Salz: "Salz, dachte ich. Was für Salz, Gertrude Stein? Kochsalz, das Salz im Schweiß, in den Tränen oder im Meer? Das ist nicht alles dasselbe, Madame. Wie es brennt, wie es sticht, wie stark es ist, bei all dem gibt es feine Unterschiede. Wissen Sie, Gertrude Stein, welche Arten ich mit meiner Zunge geschmeckt habe?"
Monique Truong erzählt eine reizvolle Geschichte aus einer geheimnisvollen Zeit der Unterdrückungen und Entdeckungen, der Kunst und Literatur, der Verschrobenheiten und des Unkonventionellen. Sie versucht – manchmal ein wenig übertrieben –, der Sprache Sinnlichkeit zu geben, was wir zum Glück durch die hervorragende Übersetzung von Barbara Rojahn-Deyk genüßlich nachvollziehen können.