Der deutsch-französische Vorstoß hatte für eine Kurskorrektur der EU geworben: härtere, koordinierte Sanktionen bei Rechtsverstößen Russlands, aber auch die Option auf EU-Spitzentreffen mit Staatspräsident Putin. Viele EU-Staaten hatten jedoch Bedenken und verlangten entschlossene Reaktionen "auf jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands".
Vor einem Sondergipfel mit dem Kremlchef müsse man die Bedingungen erst auf europäischer Ebene setzen, so der CDU-Europapolitiker Michael Gahler im Dlf.
Wer sich als Autokrat treffen wolle, müssen schon deutliche Entspannungssignale senden. Seitens der EU sei es nicht zu viel verlangt, dass "Russland politische Gefangene freilässt oder wenn echte Opposition zur Wahl zugelassen wird, oder wenn Russland die Verlängerung der Sonderbeobachtungsmission in der Ostukraine von der OSZE für die normale Frist vier Monate und nicht nur für zwei Monate verlangt, oder, dass Russland sich bereiterklärt, zum Open-Skies-Abkommen, das im europäischen Interesse ist, zurückzukommen."
"Deutschland steht ein Stück weit im Feuer"
Jetzt befinde man sich in einer Situation, in der Deutschland mit seiner Europapolitik "ein Stück weit im Feuer" stehe, so Gahler. Im Europäischen Parlament erlebe er jeden Tag, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten zum Beispiel gegen ein Projekt wie Nord Stream 2 sei. Es gebe auch den Verdacht, dass Deutschland "eine verborgene Agenda mit Moskau habe" - dem müsse man entgegentreten. Auch Ungarns Gesetz zur Homosexualität hatte im EU-Parlament für heftigen Streit gesorgt.
Das Interview im Wortlaut:
Friedbert Meurer: Ist der Rechtsstaatsmechanismus ein scharfes Schwert?
Michael Gahler: Da können Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Das heißt, da gibt es keine Einstimmigkeit, die dann in dem Falle vielleicht von Polen wie beim Rechtsstaatsmechanismus verhindert würde. Das ist schon potenziell ein scharfes Schwert und wir werden schauen, wie Viktor Orbán, nachdem er mal eine Nacht darüber geschlafen hat, darauf reagiert.
Meurer: Meinen Sie, er lässt sich davon beeindrucken?
Gahler: Nicht unmittelbar. Aber wenn es tatsächlich ernst wird, denke ich mal, dass er, auch wenn es dann ein Urteil des EuGH gibt, dass er das einhält. Das hat er uns in früheren Jahren zugesagt. Wenn es ein Urteil des EuGH gibt, daran hält er sich. Das ist dann für uns der Lackmustest, ob es dann tatsächlich so ist, und dann muss gegebenenfalls weiter reagiert werden.
Ungarn als Volk will mehrheitlich bei der EU bleiben
Meurer: Wenn einige EU-Chefs Viktor Orbán offen fragen, 'Was willst Du eigentlich noch in der EU, geh' lieber, wenn Du unsere Werte nicht teilst' - besteht die Gefahr, dass man damit die Ungarn in Richtung Russland treibt?
Gahler: Das glaube ich nicht. Die Ungarn als Volk wollen mit deutlicher Mehrheit bei der EU bleiben. Sie sind auch sicher ganz mehrheitlich nicht der Auffassung, dass man sich Russland annähern sollte.
"Ein deutliches Signal an Moskau, dass es so nicht weitergeht"
Meurer: Das andere große Thema, von dem wir gerade gehört haben: Dieser Korb, den die anderen EU-Staats- und Regierungschefs Angela Merkel und Emmanuel Macron gegeben haben. Kein EU-Russland-Gipfel, kein spektakulärer großer Gipfel mit Wladimir Putin. Ist das eine Lektion an die beiden, sich nicht über die Köpfe der Kleinen hinwegzuengagieren, oder wie interpretieren Sie das?
Gahler: Zunächst mal sind wir uns ja in weiten Teilen einig. Die Beschlusslagen sind ja deutlich. Wir erwarten von Russland, dass es gegen die EU und ihre Mitgliedsstaaten und Drittstaaten gerichtete Handlungen einstellt. Als Voraussetzung für eine grundlegende Änderung des Standpunkts der EU muss Russland das Minsker Abkommen in Bezug auf die Ostukraine vollständig umsetzen. Und wir haben uns vereinbart, im Falle weiterer - ich zitiere - böswilliger, rechtswidriger und disruptiver Aktivitäten Russlands, uns schon mal Optionen für zusätzliche restriktive Maßnahmen einschließlich Wirtschaftssanktionen zuzulegen. Das heißt, da ist ein deutliches Signal an Moskau, dass es so nicht weitergeht.
"Da müssen schon deutliche Entspannungssignale kommen"
Meurer: Das klingt so, dass Sie dieses Signal gut finden. Aber die Idee mit dem Gipfel, die fanden Sie auch nicht gut oder?
Gahler: Die Idee mit dem Gipfel – der Gipfel kann zu einem bestimmten Moment kommen, bei dem Russland aus meiner Sicht schon einige Vorbedingungen erfüllt haben muss. Wir haben ja ständigen Dialog. Auch gerade Merkel und Macron sind ja als nationale Regierungschefs ständig mit Putin im Dialog.
Aber ich sage mal so: Wer mit den Spitzen der EU sich als Autokrat treffen will, da müssen schon deutliche Entspannungssignale kommen. Sonst stehen von der Leyen, Michel und Borrell am Schluss dann da wie Trump nach dem Treffen mit dem Nordkoreaner Kim Jong-un und das kann nicht in unserem Interesse sein.
Meurer: Aber ich glaube, wenn wir diesen Weg gehen mit den Bedingungen, dann wird es noch lange dauern mit dem Gipfel – auf Monate hinaus keine Chance.
Gahler: Ja. Dann sollten wir aber unsere Bedingungen auch formulieren. Ich finde, es ist nicht zu viel verlangt, wenn Russland politische Gefangene freilässt oder wenn echte Opposition zur Wahl zugelassen wird, oder wenn Russland die Verlängerung der Sonderbeobachtungsmission in der Ostukraine von der OSZE für die normale Frist vier Monate und nicht nur für zwei Monate verlangt, oder, dass Russland sich bereiterklärt, zum Open-Skies-Abkommen, das im europäischen Interesse ist, zurückzukommen.
Ich finde, angesichts der vielfältigen Aggressionen, die wir von Russland als Europäer seit 2014 erleben, muss schon ein Signal der Entspannung kommen, bevor unsere Spitzen sich mit ihm treffen.
Merkels Erwartung an die Spitzen der Europäischen Union
Meurer: Was sagen Sie dazu, dass die Bundeskanzlerin bereit war, auf dieses Signal nicht zu warten, sondern sofort einen Gipfel anzusetzen?
Gahler: Das Wort "sofort" habe ich auch nicht gehört und ich denke auch, dass die Bundeskanzlerin nicht bedingungslos auf einen Gipfel setzt, den sie ja dann auch nicht abhält, sondern das ist ja dann eine Erwartung an die Spitzen der Europäischen Union. Und ich denke, wir sollten bei den Vorbereitungen für so einen Gipfel die Bedingungen auf der europäischen Ebene setzen – ähnliche oder diese, wie ich sie eben genannt habe.
"Verdächtigungen nicht berechtigt"
Meurer: Hat man bei den Vorbereitungen dieses EU-Gipfels versäumt, auch auf deutscher Seite, diese Initiative besser vorzubereiten?
Gahler: Wir sind ja in einer Situation, wo nicht nur unmittelbar jetzt über die Gipfelfrage Deutschland ein Stück weit im Feuer steht. Im Europäischen Parlament erlebe ich ja jeden Tag, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten zum Beispiel gegen so ein Projekt wie Nord Stream 2 ist. Das wird jetzt wahrscheinlich fertiggestellt werden. Okay, da müssen wir sehen, ob das in Betrieb gehen kann.
Aber ich finde schon, da hätten wir allen Anlass, darauf zu achten, dass wir Verdächtigungen, die im Ergebnis natürlich nicht berechtigt sind – Deutschland steht fest im Westen und zu seinen Partnern -, aber dass wir Gründe für Verdächtigungen, wir würden irgendeine hidden Agenda, eine verborgene Agenda mit Moskau haben, dass man dem entgegentritt, und das kann man dadurch tun…
"Das Verfahren hat viel Ärger bei Partnern ausgelöst"
Meurer: Das ist schon ein bisschen eine Quittung, die wir Deutschen kriegen für Nord Stream zwei?
Gahler: Ich glaube, es ist nicht nur Nord Stream zwei. Das brauchten die jetzt nicht als Bedingung. Aber ich glaube, das Verfahren hat doch viel Ärger bei Partnern ausgelöst. Offensichtlich kam es in der Vorbereitung recht spät, erst nach dem Treffen Merkel/Macron, und dann hat unglücklicherweise auch noch die Financial Times wirklich ein falsches Wort benutzt, ein Reset, im Grunde ein Neustart der Beziehungen. Das ist sicherlich nicht angedacht gewesen, denn Russland hat ja seine Politik in keiner Weise geändert und deutet auch nicht an, dass es das kurzfristig tun wird.
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