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Geschichte aktuell: Die Wächter des Wettbewerbs

Für Bernhard Heitzer, den Präsidenten des Bundeskartellamtes, ist seine Behörde auch fünfzig Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen so nötig wie am ersten Tag:

Von Andreas Baum |
    "So lange es Marktwirtschaft in Deutschland und Europa gibt, wird auch ein Kartellamt existieren."

    Selbstbewusst klingt das - und das soll es auch. Ein starkes Kartellrecht als Garant für einen fairen Wettbewerb - so hat es bereits Ludwig Erhard gesehen.

    Der Bundeswirtschaftsminister unter Bundeskanzler Konrad Adenauer gilt als Vater des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Erhard glaubte als Vertreter der Schule des Ordoliberalismus, dass ein starker Rechtsstaat dafür verantwortlich ist, die Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf zu schützen - auch voreinander. Der Ordoliberalismus galt lange als Dritter Weg zwischen staatsmonopolistischer Planwirtschaft und fatalistischem Laissez-Faire auf den Märkten. Ludwig Erhards Version dieser ökonomischen Lehre war die Soziale Marktwirtschaft:

    "Wir haben unsere Wirtschaftspolitik firmiert unter dem Begriff Soziale Marktwirtschaft. Wenn das keine Farce sein soll und nicht Blendwerk, dann muss etwas dahinter stecken. Und dahinter steckt die Idee, durch die härteste Entfachung des Leistungswettbewerbs dafür zu sorgen, dass jeder Fortschritt, der in der Volkswirtschaft erzielt wird, auch tatsächlich dem Verbraucher zugute kommt."

    Nicht erst im Dritten Reich, schon unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten war der Zusammenschluss gerade der großen Schlüsselindustrien zum Zweck der Preisabsprache oder der Aufteilung der Märkte die Regel gewesen - Deutschland galt, gerade im Vergleich zu Großbritannien, als das klassische Land der Kartelle und Monopole - die Reichsregierungen taten nichts gegen die Preisabsprachen in großem Stil - eine schlagkräftige nationale Wirtschaft war ihnen wichtiger. In der Weimarer Republik trugen die großen Kartelle der Stahl-, Rüstungs- und Chemieindustrie ihren Teil dazu bei, Adolf Hitler an die Macht zu bringen. Als Lehre daraus sorgten die drei Westalliierten während der Besatzungszeit für strikte Anti-Monopol-Bestimmungen. Sie waren vom angelsächsischen Rechtsempfinden geprägt und kontrollierten das, was deutsche Kaufleute vorher nahezu frei bestimmen und deshalb auch untereinander absprechen konnten: Preise, Quoten und die Aufteilung von Märkten. Ludwig Erhard entwickelte die Antitrust-Laws weiter.

    "Die Kartellgesetzgebung bezweckt folgendes: Es soll die höchste Leistung aus der deutschen Wirtschaft herausgeholt werden und gleichzeitig ist bei diesem Prinzip dafür Sorge zu tragen, dass sich die höhere Leistung nicht niederschlägt in höheren Renten, sondern dem Verbraucher in der Verbesserung seiner Lebenshaltung zugute kommt."

    Den stärksten Widerstand gegen das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" leistete der Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI, unter seinem Präsidenten Fritz Berg. Er stand für das in Jahrzehnten gewachsene deutsche Rechtsdenken, das Kartelle zuließ und förderte. Im ersten Bundestag war eine Mehrheit für ein Gesetz gegen Kartelle und Missbrauch nicht zu bekommen. Und bis zum Schluss kämpfte der BDI dafür, Kartelle zu erlauben, und nur deren Auswüchse zu unterbinden. Im Juli 1957 verabschiedete der zweite Bundestag das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in einer, im Vergleich zu früheren Entwürfen, abgemilderten Fassung. Ausgeführt und überwacht wird das Gesetz durch eine eigens dafür geschaffene Behörde.

    Im April 1958 zog der erste Präsident des Bundeskartellamtes, Eberhard Günther mit einer Handvoll Beamten aus dem Bundeswirtschaftsministerium in Bonn nach Berlin. Seine erste Aufgabe war - aus heutiger Sicht höchst bemerkenswert - die Kontrolle der Energieversorger. Alle energiewirtschaftlichen Konzessions- und Verbundverträge waren von der kleinen Gründungs-Crew des Amtes zu erfassen und auf kartellrechtliche Fragen zu überprüfen. Das Problem der Preisabsprachen im Energiesektor war 1958 also längst erkannt, ist aber bis heute nicht gelöst worden - dies ist zweifellos einer der Gründe dafür, dass Mitarbeiter des Bundeskartellamtes, nach der größten Leistung des Amtes befragt, vor allem darauf verweisen, dass dem Denken über Kartelle eine andere Richtung gegeben wurde - die Kartelle selbst jedoch konnten nicht restlos abgeschafft werden. Dennoch: Dass Konkurrenz und Wettbewerb Unternehmen nicht nur schaden, sondern auch nützen können, habe sich auch unter konservativen Unternehmern herumgesprochen: Ein kleiner Sieg auf moralischer Ebene, erkämpft durch viele Schläge gegen Wettbewerbssünder - und durch die Beharrlichkeit der Beamten des Bundeskartellamtes.

    "Ich erinnere mich, ich bin mal auf einer privaten Reise in ein Hotel in Norddeutschland gekommen, und ich sah einen bekannten Bauunternehmer, der erbleichte bloß und verschwand dann wieder sehr schnell, und ich kriegte mit, da war irgendein Treffen. Der hatte den Verdacht natürlich, dass das Kartellamt ihm auf dem Fersen wäre. Das gab's natürlich schon, solche Sachen."

    Andreas Knochenhauer gilt als Legende unter den Kartelljägern. Bis 2003 war er Beschlussratsvorsitzender im Bundeskartellamt, zuständig für die Bau- und die Baustoffindustrie. Wer ihm heute in seiner bescheidenen Zehlendorfer Etagenwohnung gegenübersitzt, kann kaum glauben, dass er die Zementindustrie zu Bußgeldern in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro verpflichtet hat - wegen unerlaubter Absprachen. Um die aufzudecken, war nicht selten detektivisches Geschick nötig - und Einsatz außerhalb der für Beamte üblichen Dienstzeiten - wie eines Abends in den neunziger Jahren, als Knochenhauer den Tipp bekommen hatte, in einem Gebäude eines Berliner Bauunternehmers träfen sich die Größen der Branche, um sich - inmitten des Baubooms der Nachwendezeit - abzusprechen.

    "Wir haben uns tatsächlich da wie die Indianer ins Gebüsch gelegt, dann vor einem Bauunternehmen, wo das Treffen stattfinden sollte. Und tatsächlich, so um 20 Uhr, es dunkelte schon, da fuhren lauter dicke Limousinen vor, und die Herren entstiegen den Limousinen, gingen in das Gebäude rein und wir sind dann nach einer Schamfrist hinterher. Die Sekretärin sagte: Hier ist keiner. Naja, wir haben die Leute doch da
    reingehen sehen. - Dann stellt sich raus, die saßen alle im Keller, was natürlich unseren Verdacht noch erhärtete."

    Dass das Bundeskartellamt immer wieder von solchen Absprachen erfährt, ist auch den Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Branche geschuldet. In der Zement- und Transportbetonindustrie ist die Kartellbildung fast schon ein Naturgesetz.

    "Wenn Sie einen Sack Zement kaufen, der ist, egal wo sie ihn in Deutschland kaufen, DIN-genormt und unterscheidet sich qualitativ nicht. Wettbewerb äußert sich da nur noch im Preis. Und das ist für die Unternehmen natürlich besonders heikel. Das ist einerseits besonders schmerzhaft, in Preiswettbewerb verwickelt zu sein, andererseits ist es auch relativ einfach, sich über einen Preis abzusprechen."

    Ebenso üblich ist es, sich über Quoten zu einigen, festzulegen, welches Unternehmen wann welche Mengen liefert. Oder aber, im Fall der Baubranche, sich abzusprechen, welche Firma - etwa bei einer öffentlichen Ausschreibung - das jeweils niedrigste Angebot machen darf. Um aber zu garantieren, dass alle Beteiligten ihre Zusagen einhalten, müssen geheime Statistiken erstellt werden, jeden Monat muss festgehalten werden, welche Firma welche Mengen geliefert oder in welchem Umfang gebaut hat. Dies ist die Achillesferse der Kartellbrüder: Papier wird beschrieben, Daten werden abgespeichert, und es gibt jede Menge Mitwisser. Wer ein Kartell verrät, ist oft vorher ausgebootet worden, weiß Andreas Knochenhauer.

    "Uns wäre es lieber, jemand käme aus staatsbürgerlicher Verantwortung zu uns, aber das Leben ist nun mal nicht so. Es sind dann die Leute, die in Unfrieden aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, das ist manchmal auch die Ehefrau, die mitgekriegt hat, dass ihr Mann fremdgegangen ist, und sich irgendwie rächen will. Also es sind nicht immer die lautersten Motive, von denen wir leben."

    Es ist insbesondere die Bau- und Baustoffbranche, die sich zur Kartellbildung geradezu verdammt sieht, in der sich beklagt wird über die hohen und immer weiter steigenden Geldbußen - diese sind möglicherweise aber immer noch nicht hoch genug, um die Kartellbildung wirksam zu verhindern. Altgediente Kartellknacker wie Andreas Knochenhauer hoffen deshalb auf einen Generationswechsel in den Führungsetagen und auf die Einsicht in die Notwendigkeit eines echten Wettbewerbs. Ein frommer Wunsch, genährt durch die Erfahrung, dass Geldstrafen allein nichts ändern. Das bestätigt auch Kartellamtspräsident Bernhard Heitzer. Am Ende, fürchtet er, zahlen die Verbraucher die Strafen.

    "Auf der einen Seite habe ich schon oft gehört, dass viele Unternehmen klagen über zu hohe Bußgelder. Auf der anderen Seite will ich auch nicht gänzlich ausschließen, dass gerade große Konzerne Geldbußen von vorne herein in ihre Aktivitäten einkalkulieren, und wenn sie ertappt werden, die Kunden erneut heranziehen, indem sie dann auch noch mal die tatsächlichen Geldbußen einpreisen und sie zahlen lassen."

    Es gibt Beobachter, die die Geschichte des Bundeskartellamtes als Geschichte eines Bedeutungsverlustes lesen. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht war die Behörde zweifellos, als sie im Jahr 1973 die Fusionskontrolle zugesprochen bekam.

    Wettbewerbspolitisch unerwünschte Unternehmenszusammenschlüsse, wie es im Kartellgesetz heißt, kann das Amt untersagen. Fusionen können verhindert werden, wenn eine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens droht. Gleichzeitig mit der Machtfülle der Fusionskontrolle wurde aber ein Instrument eingeführt, das den Einfluss des Bundeskartellamtes gründlich beschränkt: Die Ministererlaubnis. Bei überragendem Interesse der Allgemeinheit kann der Bundeswirtschaftsminister qua Ausnahmegenehmigung eine eigentlich wettbewerbswidrige Fusion ermöglichen. Dass dies den Einfluss des Bundeskartellamtes beträchtlich einschränkt, wie Kritiker behaupten, bestreitet der ehemalige Präsident der Behörde, Ulf Böge.

    "Wir müssen sehen, dass wir seit 1973 über 30.000 Fusionsanmeldungen haben und wir haben nur 19 Anträge auf Ministererlaubnis. Und davon sind nur sieben genehmigt worden. Und bei fünf gab es auch noch Auflagen. Es ist auch gut, weil bei jedem Antrag eine sehr intensive, transparente, öffentliche Diskussion über den Fall stattfindet. Ich glaube, wenn man die unabhängige wettbewerbsrechtliche Entscheidung haben will, dann sollte man bei diesem zweistufigen Verfahren bleiben."

    Denn die Ministererlaubnis bewahrt das Bundeskartellamt auch davor, Konsequenzen für Fehlentscheidungen zu tragen. Ein Beispiel hierfür ist der Zusammenschluss des Automobilherstellers Daimler Benz mit dem Rüstungskonzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm in den späten achtziger Jahren. Das Bundeskartellamt konnte nicht anders, als diese Allianz zu verbieten. Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann gestattete sie dennoch, was gründlich zum Misslingen des Projektes beitrug. Der damalige Daimler-Chef Edzard Reuter scheiterte mit seinem Plan vom schlagkräftigen Rüstungs- und Raumfahrttechnologiekonzern unterm Mercedesstern. Das Bundeskartellamt indes war fein raus - es hatte recht behalten. Für den Münchner Wissenschaftler Rupprecht Podszun, Jurist und Forscher am Max-Planck-Institut, ist die Ministererlaubnis deshalb eine Medaille mit zwei Seiten.

    "Die Ministererlaubnis ist natürlich erst mal ein Instrument, das das Bundeskartellamt aushebelt. Andererseits hat sich als positiven Nebeneffekt, dass das Bundeskartellamt auch so unabhängig sein kann, wie es sein muss für seine Arbeit. Denn dadurch wird klar, alle politischen Erwägungen, warum man vielleicht einen Zusammenschluss genehmigen könnte oder nicht, die werden beim Ministerium abgeladen, dafür ist der Minister zuständig und das Bundeskartellamt prüft allein die wettbewerbliche, allein die kartellamtliche Bedeutung eines Zusammenschlusses. Und insofern wird das Bundeskartellamt durch die Ministererlaubnis auch befreit."

    Ein weiteres Beispiel für die ambivalenten Effekte der Ministererlaubnis ist der Zusammenschluss der Ruhrgas AG mit dem Energieriesen EON. Im November 2001 meldete EON die Übernahme an - und scheiterte zunächst am Einspruch des Bundeskartellamtes.

    "Dann kam das Bundeswirtschaftsministerium, damals vertreten durch Werner Müller und seinen Staatssekretär, zwei Leute übrigens, die beide später in die Energiewirtschaft gewechselt sind und hat diesen EON-Ruhrgas-Zusammenschluss doch genehmigt. Und wenn wir uns heute anschauen, was aus dem Energiemarkt in Deutschland geworden ist, mit seinen hohen Preisen, dann wünscht man sich mehr Wettbewerb, der durch EON-Ruhrgas quasi verhindert wurde."

    Alfred Tacke, seinerzeit Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, zeichnet verantwortlich für die Ministererlaubnis - die er vor allem mit Vorteilen für den Verbraucher begründete.

    "Ich halte das Zusammenschlussvorhaben von EON und Ruhrgas energiepolitisch und wirtschaftspolitisch für besonders bedeutsam. Der Zusammenschluss bringt wesentliche gesamtgesellschaftliche Vorteile mit sich. Dem stehen die vom Bundeskartellamt festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen gegenüber. Sie mussten durch Auflagen so weit reduziert werden, dass sie von den Vorteilen aufgewogen werden."

    Vorteile ergaben sich in der Tat - für Alfred Tacke selbst. Er ist heute, nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeswirtschaftsministerium, Vorstandsvorsitzender beim Stromversorgungsunternehmen STEAG, einer Tochter der Ruhrkohle AG, die wiederum - als Teilunternehmen der EON - von Tackes früherem Dienstvorgesetzten, dem ehemaligen Bundeswirtschaftminister Werner Müller geleitet wird. Die Vorteile für die Verbraucher dagegen sind angesichts steigender Strompreise augenblicklich schwer zu erkennen. Es sind solche nach Kooptation und Vetternwirtschaft riechende Fälle, die dem Bundeskartellamt den Ruf verschafft haben, angesichts willkürlich erteilter Ministererlaubnisse zum Papiertiger geworden zu sein. Dabei wäre, folgt man der Münchner Kartellrechtsexpertin Monika Schnitzer, auch eine Konstruktion denkbar, in der die Ministererlaubnis obsolet würde.

    "Was die Ministererlaubnis ja vorsieht, ist dass man über die reine Wettbewerbsfrage hinaus gesellschaftliche Aspekte mit berücksichtigt. Das darf das Bundeskartellamt gar nicht. Würde aber das Bundeskartellamt hier einen etwas breiteren Blick haben dürfen, auch mehr über Effizienzaspekte nachdenken dürfen, dann bräuchte man so was wie die Ministererlaubnis nicht mehr und dann hätte man auch nicht mehr das Problem, dass da doch sehr stark politisch Einfluss genommen wird."

    Andererseits gibt es Fälle in der Geschichte des Bundeskartellamtes, in denen sich mancher im Nachhinein eine Ministererlaubnis gewünscht hätte. 1990, noch vor der deutschen Wiedervereinigung, versuchte Lufthansa, die DDR-Fluggesellschaft Interflug zu übernehmen. Das Bundeskartellamt untersagte dies, weil es eine marktbeherrschende Stellung der Lufthansa auf innerdeutschen Strecken befürchtete. Daraufhin musste die Interflug Konkurs anmelden - mit beträchtlichem wirtschaftlichem Schaden. Nach der Liquidation von Interflug durch die Treuhand konnte Lufthansa ihre Strecken dennoch übernehmen. Der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, verteidigt die Entscheidung bis heute als alternativlos.

    "Das Bundeskartellamt musste auf Grundlage des GWB, des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen handeln und es hatte die Frage marktbeherrschender Stellungen auf bestimmten Flugrouten zu prüfen und nichts mehr und nichts weniger."

    Dennoch hat das Bundeskartellamt 1990 eine wirtschaftliche Rettung der Interflug verhindert - was ihm einmal mehr den Groll der Öffentlichkeit zuzog. Dass es dadurch aber dem Wettbewerb über den Wolken und damit dem Verbraucher selbst genützt haben könnte, ist eine weniger verbreitete Sichtweise. Rupprecht Podszun:

    "Ich glaube, gerade im Luftfahrtsektor hat das Bundeskartellamt eine wegweisende Rolle dadurch gespielt, dass sie den Billigfliegern, die wir heute alle selbstverständlich in Anspruch nehmen den Weg geebnet hat, indem es nämlich Grenzen gesetzt hat, in dem was die Lufthansa machen konnte und zum Beispiel der Germania, einer kleinen Fluggesellschaft, die damals die Strecke Frankfurt-Berlin in Konkurrenz zu Lufthansa bediente, die Türen geöffnet hat. Und jetzt haben wir Billigfluglinien und das ist sicherlich zu einem Gutteil auch Verdienst des Bundeskartellamts."

    Das Bundeskartellamt ist unter Rechtfertigungsdruck geraten. Dass immer weniger Menschen verstehen, wo es wirklich etwas bewirken kann, hat auch damit zu tun, dass die Fusionskontrolle, ohnehin durch das Instrument der Ministererlaubnis eingeschränkt, seit 1989 auch noch in gewissen Fällen durch die Europäische Kommission vollzogen wird. Entscheidend ist unter anderem, welchen Umsatz ein Unternehmen macht: Die großen Fälle, sagen die Spötter, werden jetzt in Brüssel entschieden. Gut so, sagt die Kartellrechtsexpertin Monika Schnitzer - nicht ohne Kritik an der Praxis des Bundeskartellamts.

    "Ganz sicher heißt das, dass das Bundeskartellamt nicht mehr so viel Einfluss hat. Allerdings sehe ich das als eine positive Entwicklung. Weil genau die Art der Entscheidung, wie sie in Brüssel stattfindet, doch stärker von ökonomischen, von Effizienzaspekten getragen wird. Im Bundeskartellamt steht sehr stark eine nationale Wettbewerbsüberlegung im Vordergrund. In Brüssel hat man gesehen, dass es wichtig ist, diese ökonomischen Fragen stärker in der Vordergrund zu stellen - also auch beispielsweise das, was durch eine Fusion an Effizienzgewinnen möglich ist und das durch ökonomischen Sachverstand begründen zu lassen."

    Zu den Rückzugsgefechten angesichts des immer offenkundiger werdenden Bedeutungsverlustes des Bundeskartellamts gehört neuerdings der Verweis auf die Rolle, die es spielt, um die Rechte der Verbraucher zu stärken - so legt es jedenfalls der ehemalige Kartellamtschef Ulf Böge aus.

    "Wenn Sie sich überlegen, dass erst die Liberalisierung im Telekommunikationsbereich uns davon frei gemacht hat, dass wir einen grauen Telefonapparat mit Wählscheibe nicht kaufen, sondern nur mieten durften, und wenn wir dann eine Verlängerungsschnur gebraucht haben, durften wir die auch nur mieten und noch nicht mal kaufen: Das sind alles vorgeschützte Gründe gewesen, um Wettbewerb zu verhindern in dem Sinne: Wettbewerb zu machen ist im Sinn des Verbrauchers."

    Verbraucherverbände bezweifeln dies: Angesichts der Schwerfälligkeit des taumelnden Riesen Telekom, der immer größere Schwierigkeiten hat, seinen Kunden eine Grundversorgung auch in Zeiten von Streiks und Sommergewittern zu garantieren, wünschen sich nicht wenige Fernsprechteilnehmer den grauen Apparat mit Wählscheibe zurück.

    Die Geschichte des Bundeskartellamtes wäre unvollständig, erwähnte man nicht den Umzug der Behörde von Berlin nach Bonn im Jahre 1999 - als Kompensation für den Verlust der vielen Ministerien, des Parlaments und der Regierung, den die Bundesstadt am Rhein zu verschmerzen hatte. Der Münchner Wissenschaftler Rupprecht Podszun gibt zu Bedenken, dass dies auch einen Generationswechsel zur Folge hatte. Denn wer unter den Beamten irgend konnte, machte den Umzug nicht mit.

    "Dieser Berliner Geist des Bundeskartellamts, mit sehr unabhängigen, widerspenstigen Beamten, die sich richtig was trauen, und die auch oft in Opposition zum Bundeswirtschaftsministerium standen, der ist dadurch so ein bisschen verloren gegangen, durch den Umzug an den Rhein, wo das alles ein bisschen kuscheliger ist."

    Und, als wäre das nicht genug, schlägt sich das Bundeskartellamt heute auch noch mit Geldsorgen herum. Über seinen Etat entscheidet der Bundestag. Wenn die Parlamentarier die Ressourcen des Amtes verknappen, hat dies weit mehr Folgen auf die Unabhängigkeit der Behörde, als alle Ministererlaubnisse und Entscheidungen in Brüssel,
    sagt Kartellamtspräsident Bernhard Heitzer.

    "Wenn ich mir bloß das Thema Missbrauchskontrolle im Energiebereich angucke, in dem die Politik eine hohe Erwartungshaltung an uns heranträgt: Wir haben da gerade mal, für diesen gesamten Energiebereich - Strom, Gas, Mineralöl und anderes mehr - acht Fallbearbeiter. Das ist wenig."

    Was bleibt dem Bundeskartellamt angesichts so vieler Rückschläge? 50 Jahre nach dem Inkrafttreten des Kartellgesetzes kaum mehr als ein Appell an den Idealismus seiner Mitarbeiter - und der Verbraucher, denen es nützen soll. Rupprecht Podszun:

    "Die Unabhängigkeit ist nicht gefährdet, weil die Politik eingreift. Die Unabhängigkeit eines solchen Amtes rührt daher, dass die Beamten mutig sind und unabhängige Köpfe sind. Und da hat das Bundeskartellamt in den vergangenen Jahrzehnten immer ein wirklich gutes Team gehabt mit Leuten, die sich auch wirklich bewusst waren: Wir kämpfen hier für eine richtige Sache, nämlich für den Wettbewerb in Deutschland und wir ziehen unsere Entscheidungen durch, unbeeindruckt von dem, was andere sagen."