Marta Mirazón Lahr ist dieser Tage schwer erreichbar, denn die Evolutionsbiologin arbeitet wieder in Kenia. Im Nordwesten des Turkanasees stehen, wie jedes Jahr um diese Zeit, Ausgrabungen an. Dort, an einem Platz namens Nataruk, machte ihr Team 2012 auch jene erste Entdeckung, die es heute auf das Titelblatt von NATURE geschafft hat. Die Internetverbindung in das Feldlager ist nur in den frühen Morgenstunden einigermaßen funktionstüchtig.
"Gleich am ersten Tag entdeckte damals jemand aus meinem Team menschliche Knochen, die direkt an der Oberfläche lagen. Wir gingen zu der Stelle und ich sah sofort, dass ein Teil eines Hinterkopfs aus dem Kies ragte."
Die erste Ausgrabung zeigte, dass sich im Boden das vollständige Skelett eines Mannes befand. Dieses lag mit dem Gesicht nach unten noch genau in der Position, in der der Mann gestorben war. Es handelt sich definitiv nicht um ein Begräbnis. Schnell stießen die Forscher auf weitere Knochen.
"In Nataruk haben wir 12 vollständige Skelette gefunden, die genauso dalagen, wie sie vor 10.000 Jahren dorthin gekommen waren. Zudem haben wir viele Knochen entdeckt, die ein paar Jahre zuvor noch vollständig und im anatomischen Verbund waren, durch Erosion aber mittlerweile freigelegt und zerbrochen waren. Insgesamt konnten wir die Knochen 27 Individuen zuordnen."!
Unter den Toten waren nicht nur erwachsene Männer, sondern auch Frauen und Kinder.
"Bei zehn dieser zwölf Skelette konnten wir schwere Verletzungen nachweisen, die ein Resultat brutaler Gewalt waren und vermutlich direkt zum Tod geführt haben. Das sind vor allem Schädelfrakturen, die durch stumpfe Gegenstände verursacht wurden, etwa von einer Keule."
Der deutlichste Hinweis, dass diese Menschen nicht durch einen Unfall, sondern durch eine kriegerische Auseinandersetzung starben, sind Steinspitzen, die in Schädeln und Oberkörpern gefunden wurden. Diese bestehen aus Obsidian - ein Material, welches aus Lava entsteht und in dieser Region vorkommt – der zweite Steinspitzentyp besteht aus Feuerstein. Es gibt auch Hinweise darauf, so Marta Mirazón Lahr, dass einige der Toten gefesselt waren, zu sehen etwa beim Skelett einer schwangeren Frau: In ihrem Beckenbereich entdeckten die Forscher zudem die Knochen eines sechs bis neun Monate alten Embryos. Die sechs Kinder unter den Opfern wurden alle in direkter Nähe der Frauen gefunden. Die Frage ist nun: Wer hat diese Gruppe umgebracht? Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt.
"Die Funde zeigen, dass es Krieg auch schon vor 10.000 Jahren gab. Bislang gingen viele Experten davon aus, dass Krieg eine jüngere Entwicklung ist. Als Gründe für Krieg wurde bislang angenommen, dass eine Gruppe etwas haben möchte, was eine andere Gruppe besitzt, entweder Land, materielle Dinge wie Geschirr, Nahrungsvorräte oder eben Macht."
Das war hier wahrscheinlich nicht der Fall, weil es damals nur Nomaden gab, die keine Siedlungen bauten. Die Stelle könnte ein guter Platz zum Leben gewesen sein, mit einem Zugang zu Trinkwasser, vielleicht konnte man dort gut jagen, Material zum Töpfern ließ sich auch finden. Was nicht ganz passt ist die Heftigkeit der Gewalt: Normalerweise gehen Jäger und Sammler potenziell tödlichen Konflikten aus dem Weg, weil es sich keine Gruppe leisten kann, Mitglieder zu verlieren.
Wenn Gefahr droht, ist Flucht und Rückzug die beste Option. Dass hier offenbar Dutzende Menschen hingerichtet wurden, ist äußert ungewöhnlich, ebenso, dass Frauen und Kinder nicht verschont wurden. Denn normalerweise wurden diese in die Siegergruppe integriert und nur die Männer der Feinde getötet. Offenbar gab es aber in Kenia vor 10.000 Jahren einen Konflikt, der zu einem Massaker führte.