"Die Weltflughäfen. Ausgangspunkte der Reisen, die in Stunden über Meere und Gebirge, Wüsten und Urwälder führen. Nach Bagdad oder Buenos Aires, Paris oder Madrid, Kopenhagen oder Rom, Chicago, Montreal oder New York."
Die Lufthansa – ein Teil des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. So kann man heute diesen Werbefilm des Unternehmens aus den 50er-Jahren verstehen. Aus nur zwölf Flugzeugen im Jahr des ersten Linienflugs 1955 wird in kürzester Zeit eines der größten Luftfahrtunternehmen der Welt. So lautet die offizielle Firmengeschichte, wie die Lufthansa sie erzählt.
Der Historiker Lutz Budrass erzählt eine ganz andere Geschichte. Nämlich die der Deutschen Luft Hansa von 1926 bis 1955. Ein Unternehmen, das sich damals zwar noch in zwei getrennten Worten schreibt und auf dem doch, so die These von Budrass, die heutige Lufthansa aufbaut. "Adler und Kranich" heißt sein Buch. Ein dicker historischer Wälzer, mit wissenschaftlicher Akribie erstellt. Und zugleich eine Empörungsschrift des Autors:
"Die Tatsache, dass die Lufthansa bis heute sagt, wir sind 1955 gegründet worden, das andere Unternehmen, was es da vorher gab, das den gleichen Namen trug, ist ein anderes Unternehmen, ist ein Zeichen dafür, dass sie sich nach wie vor nicht mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen wollen. Und das finde ich für ein so großes und so wichtiges Unternehmen eigentlich ein Armutszeugnis."
"Adler und Kranich" erzählt die Geschichte eines Unternehmens, das sich inmitten einer weltweiten Luftfahrteuphorie gründet, das zugleich aber im spezifisch deutschen Kontext nach dem Ersten Weltkrieg als nationales, ja nationalistisches Unternehmen mit politischer Bedeutung aufgeladen wird.
Der Versailler Vertrag untersagte Deutschland jegliche Luftstreitkräfte. Für die zivile Luftfahrt aber gab es nur geringe Einschränkungen. Und so war die Gründung der "Deutschen Luft Hansa AG" 1926 von Beginn an kriegerisch motiviert. Dies belegt Lutz Budrass in seinem Buch – durch Korrespondenzen zwischen Firmenleitung und Vertretern der Weimarer Republik. Sie zeigen: Für den Fall eines erneuten Krieges brauchte es Piloten und Flugzeuge. Beides war leicht über die Lufthansa zu bekommen.
Heikle Rolle des Vorgängerunternehmens in der NS-Zeit
Warum aber ließ das Unternehmen sich auf diese heikle Rolle ein? Die Antwort klingt simpel: Nur eine kleine Elite konnte sich in den 20er- und 30er-Jahren das Fliegen leisten, die Luft Hansa brauchte staatliche Subventionen.
"Die Luft Hansa war an der Wende zum Jahr 1933 am Ende und wurde nur durch den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft gerettet. Wären Adolf Hitler nicht Reichskanzler und Hermann Göring nicht Luftfahrtminister geworden, würde sich heute kaum noch jemand an jene Luftverkehrsgesellschaft mit dem merkwürdigen Namen erinnern."
Den Kontakt zu den Nationalsozialisten sicherte vor allem einer: Erhard Milch, technischer Direktor der Lufthansa. Eine erstaunliche Gestalt, deren pikante Rolle im Zusammenhang mit der Lufthansa Budrass schön herausarbeitet.
Erhard Milch und Hermann Göring kannten sich noch von den Fliegertruppen im Ersten Weltkrieg. Danach wusch eine Hand die andere: Göring warb im Reichstag für Lufthansa-Subventionen, Milch vercharterte Flugzeuge an die NSDAP.
Dass Milch jüdischer Abstammung war, lösten die beiden durch einen Trick: Milchs Mutter behauptete schlicht, ihre Kinder stammten nicht vom verstorbenen jüdischen Ehemann, sondern aus einer Liaison mit ihrem Onkel. Hermann Göring sorgte höchstpersönlich dafür, dass Milch Direktor der Lufthansa blieb und zugleich im NS-Staat Karriere machte.
"Reichsmarschall Hermann Göring überbringt dem Generalfeldmarschall Erhard Milch, einem seiner treuesten und bedeutendsten Mitarbeiter, seine Glückwünsche zum 50. Geburtstag. Nach der Machtergreifung wirkte er entscheidend am Aufbau der deutschen Luftwaffe mit."
Gemeint ist die frühere Lufthansa. Ein NS-Musterunternehmen. Dies galt auch für die Beschäftigung von Zwangsarbeitern. Die Lufthansa begann besonders früh mit dieser Praxis, bereits 1940. Zunächst mussten Polen, Niederländer und deutsche Juden für das Unternehmen schuften. Ab 1943 kamen die Zwangsarbeiter in erster Linie aus der Sowjetunion. Dazu der Buchautor Lutz Budrass:
"Die Besonderheit des Zwangsarbeitereinsatzes bei der Lufthansa liegt darin, dass sie wahrscheinlich als eins von ganz wenigen Unternehmen selbst in der Lage ist, sich Zwangsarbeiter zu beschaffen, nämlich durch die sogenannten Frontreparaturbetriebe."
Betriebe, die direkt an der Front lagen, um beschädigte und notgelandete Flugzeuge der Wehrmacht zu reparieren. In ihnen mussten auch Kinder und Jugendliche arbeiten. Sie eigneten sich mit ihren kleinen Körpern besonders gut für die Flugzeugreparatur.
Neue Lufthansa schließt auf vielen Ebene an das alte Unternehmen an
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Lufthansa teilweise für ihre Beteiligung an den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zur Rechenschaft gezogen. Die Alliierten erklärten sie zum Teil der Luftwaffe. Das Unternehmen wurde liquidiert.
Wenige Jahre später aber – 1953 – ließen die Alliierten zu, dass sich eine neue deutsche Luftfahrtgesellschaft in der Bundesrepublik gründete. Offiziell nicht der Rechtsnachfolger des Unternehmens, das von 1926 bis '45 existierte. Doch dasselbe Logo: der Kranich. An der Spitze: teilweise dieselben Männer. Der Name: Lufthansa. Diesmal in einem Wort geschrieben.
"Die Kontinuität von der ersten zur zweiten Lufthansa ist der Kern ihrer Geschichte. Obwohl die Lufthansa 1945 so weit als Tarnkappe der nationalsozialistischen Aufrüstung diskreditiert war, dass die Alliierten sie als Teil der Luftwaffe verboten, setzten ihre Gründer alles daran, sie genau so wieder entstehen zu lassen."
Die Firmengeschichte wurde nie aufgearbeitet – bis in den 90er-Jahren in Deutschland eine Diskussion um NS-Zwangsarbeit entbrannte. Die Lufthansa beauftragte einen renommierten Wirtschaftshistoriker, die Geschichte zu erforschen. Sein Name: Lutz Budrass.
Doch seine Forschungsergebnisse wurden nicht wie geplant zum 75-jährigen Firmenjubiläum 2001 veröffentlicht. Das geplante Buch wurde eingestampft, die Zwangsarbeiterstudie nur auf Anfrage versendet, das Firmenjubiläum abgesagt.
Das Absurde: Zeitgleich mit der Publikation von "Adler und Kranich" hat die Lufthansa jetzt ihre einstige Jubiläumsschrift herausgebracht: "Im Zeichen des Kranichs" heißt sie. Im Buchdeckel hinten eingelegt findet sich auch Budrass' Studie über Zwangsarbeit – wie eine Fußnote wirkt das.
"Adler und Kranich" hingegen rollt die gesamte Geschichte der ersten Lufthansa noch einmal neu auf. Streckenweise in ermüdender Akribie, doch in der Kernaussage hoch spannend: Die Lufthansa war Teil der Politik - besonders im Nationalsozialismus. Und: Die Neugründung stellt sich bewusst in die Tradition des alten Unternehmens. Auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind noch lange nicht alle deutschen Unternehmensgeschichten erzählt.
Buchinfos:
Lutz Budrass: "Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926 - 1955", Blessing Verlag, 704 Seiten, Preis: 34,99 Euro, ISBN: 978-3-89667-481-4
Günther Ott und Joachim Wachtel: "Im Zeichen des Kranich. Die Geschichte der Lufthansa von den Anfängen bis 1945", Unter Mitarbeit von Werner Bittner, Piper Verlag, 344 Seiten, Preis: 39,95 Euro, ISBN: 978-3-492-05788-2
Lutz Budrass: "Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926 - 1955", Blessing Verlag, 704 Seiten, Preis: 34,99 Euro, ISBN: 978-3-89667-481-4
Günther Ott und Joachim Wachtel: "Im Zeichen des Kranich. Die Geschichte der Lufthansa von den Anfängen bis 1945", Unter Mitarbeit von Werner Bittner, Piper Verlag, 344 Seiten, Preis: 39,95 Euro, ISBN: 978-3-492-05788-2