Als führende Seemacht im Hochmittelalter wurde Venedig, das besonders mit dem Orient Handel trieb, eines der Einfallstore für die erste schwere Pestepidemie Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa. Die ansteckende Krankheit, die Reisende aus Afrika einschleppten, wütete in den Jahren 1348 und 1349 zwischen Lübeck und Wien, London und Florenz und kostete Millionen von Menschen das Leben. Eine zeitgenössische Chronik berichtet aus Venedig, wie "Plätze, Höfe, Grabstätten und Kirchhöfe sich mit Leichen füllten".
"Die Pest ist für Venedig ein ganz einschneidendes und wichtiges Ereignis, wie im Übrigen in der gesamten europäischen Geschichte. Eine besondere Sache in Venedig ist, dass es eine Stadt ist, die offen ist für den Handel durch die Schifffahrt natürlich und insofern auch eine ideale Bühne für eine Krankheit, die sich eben von Mensch zu Mensch überträgt, und die dann natürlich hier herkommen kann. Es ist also eine Stadt, die man schwer schützen kann."
Der Historiker Romedio Schmitz-Esser leitet seit Kurzem das Deutsche Studienzentrum in Venedig, eine Einrichtung der Bundesrepublik zur Erforschung der Geschichte und der Kultur Venedigs und dessen ehemaligen Herrschaftsraums. Bei Boccaccio kann man am Anfang des "Dekameron" nachlesen, was es für die Gesellschaft bedeutete, wenn durch die Pest die öffentliche Ordnung zusammenbricht, Ärzte, Priester und Verwandte fliehen und die Toten nicht mehr christlich bestattet werden können. Venedig und andere Orte ziehen aus den frühen Pestwellen wichtige Lehren.
"Und die erste Maßnahme in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist die Quarantäne. Im 15. Jahrhundert übernimmt man das in Venedig ganz radikal, indem man zwei Inseln einrichtet, auf denen man sowohl die Waren als auch die Personen zunächst einmal lagert, bei denen man Angst hat, dass sie diese Pest mitbringen können."
Gerüche im Verdacht
Während das sogenannte Lazzaretto Vecchio 1423 auf einer abgelegenen Insel unweit des Lido eingerichtet wird, auf die man die dem Tode geweihten Kranken bringt, dient das etwas später, 1468 aufgebaute Lazzaretto Nuovo an der Zufahrt nach Venedig vorwiegend als Quarantäne-Station. Die Menschen werden hier in kleinen Wohnhäusern am Rand der Insel untergebracht, nachdem sie sich zuvor einem Reinigungsritus durch Essigbäder unterzogen haben. Das Hauptgebäude ist das heute noch erhaltene Teson Grande, eine 100 Meter lange Halle, in denen die Ladungen der Schiffe zwischengelagert und desinfiziert werden. Durch offene Bögen, mit denen das Gebäude von allen Seiten umgeben ist, zieht jederzeit frische Luft durch die Anlage. Denn man vermutete damals, dass Gerüche eine entscheidende Rolle bei der Ansteckung spielen.
"Die Ladungen wurden gelüftet, der Sonne ausgesetzt, aber sie wurden auch einer Rauchbehandlung unterzogen. Mit Rauch vom Rosmarin, Wachholderbeeren und würzigen Kräutern. Häute und Felle tauchte man wie Schwämme in Essigbäder. Andere Gegenstände wurden mit salzigem und kochendem Wasser behandelt. Je nach Art der Ware gab es eigene Prozeduren."
Gerolamo Fazzini führt durch die Insel. Er steht einem Verein von Freiwilligen vor, die sich ohne Entgelt um den Erhalt der Anlagen kümmern. Fazzini erzählt, wie während der Epidemien, die trotz der Vorsichtsmaßnahmen immer wieder ausbrachen, das Lazzaretto Nuovo zeitweilig für die Isolierung von Pestkranken selbst benutzt wurde. Jedenfalls fand man bei bislang nur stichprobenartigen Ausgrabungen Überreste von Massengräbern. Wobei es zwei Friedhofsanlagen gab, einen für Christen und einen für Muslime.
"Wir haben eine große Zahl von Pesttoten gefunden, die in Schichten übereinander gebettet sind. Es gibt viele Schichten, und das lässt auf ein Massengrab mit Tausenden Toten der Pestwellen von 1576 und 1630 schließen."
"Museum der Pest
In Venedig wie in anderen Orten hatte man trotz der Notsituation versucht, dabei eine möglichst christliche Bestattung zu ermöglichen. Romedio Schmitz-Esser hat seine Habilitationsschrift über den "Leichnam im Mittelalter" verfasst.
"In London zum Beispiel ist es so, dass man die Massengräber tatsächlich angelegt hat, man hat also mehrere Leichen, auch hunderte, in eine Grube gelegt, aber trotzdem hat man versucht, sie so zu stapeln, dass sie auf dem Rücken liegen, man hat sogar eine eigene Stapelungstechnik entwickelt, das konnten die Archäologen nachweisen, um die Toten möglichst mit dem Kopf nach Westen und den Füßen nach Osten und auf dem Rücken liegend zu bestatten."
Im Teson Grande, der venezianischen Quarantäneinsel, ist heute ein mit einfachen Mitteln eingerichtetes "Museum der Pest" zu besichtigen. An den Wänden kann man etwa originale Schriftzüge lesen, mit denen die Schiffe, ihre Herkunft und die Art der Waren registriert wurden. Man würde sich ein bisschen mehr Unterstützung für die Arbeit der freiwilligen Kustoden wünschen, die hier in Vitrinen und auf Schrifttafeln reichhaltiges Material einer Geschichte zusammen getragen haben, die weit entfernt liegt und uns doch immer wieder einholt.
"Mit Ebola ist es eben wieder solch eine Krankheit, die schon grundsätzlich die Frage stellt, kann ein Arzt überhaupt helfen, kann ich, wenn jemand auf der Straße zusammenbricht, helfen. Das ist sehr ähnlich wie bei der Pest, wo dann auch die sozialen Netze zusammen gebrochen sind und die Frage nach der Nächstenliebe eine sehr persönliche geworden ist. Genauso wie das wahrscheinlich heute auch ist, hat es eben Helden gegeben, es gibt einen Arzt in Venedig, der ausgezeichnet wird mit einem Stipendium dafür, dass er dageblieben ist während der Pest und lieber den Tod riskiert hat als zu fliehen, andere Ärzte waren weit weniger skrupellos und sind schnell eben dem sichersten Rat gefolgt und geflohen."