Die Geschichte des Konsums fängt womöglich hier an: auf Kinderwagenhöhe im Supermarkt, wo die Quengelware platziert ist und das Kleinkind kreischt: "Haben will!". "Must Have!", die gleichnamige Ausstellung in Solingen, präsentiert sich tatsächlich wie ein Supermarkt, mit Regalen links und rechts. Dort versammelt alles - von "Adidas"-Sneakers und "Zauberwürfeln" aus den 80ern, über eine beachtliche Plattensammlung bis zum Tamagotchi: Dinge, die für jeden mit Anekdoten, Gefühlen, aber natürlich auch Zeitgeist verbunden sind. Viele der 400 Exponate sind Leihgaben Solinger Bürger! Aber "Konsum" bedeutet für die Kuratorin Dagmar Thiemler vor allem erstmal:
"Dass man Leuten Dinge schmackhaft macht, die sie nicht unbedingt brauchen. Anders als vorher, wo man für den Bedarf gekauft hat. Von Konsum im heutigen Sinn würde ich erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprechen: Als die ersten Waren industriell hergestellt worden sind."
Vom Gurkenhobel bis zum Adidas-Sneaker
Und Dinge wie ein Gurkenhobel "in" waren. Nicht irgendein Hobel freilich, sondern so eine Art "Thermomix", in der gesellschaftlichen Wirkung um 1850.
"Weil: Die Dame des Hauses konnte mit einem solchen Teil, das extra aus England beschafft werden musste, die Gurken bei Tisch hobeln."
Und dabei "einen schönen Arm präsentieren", wie es in der damaligen Reklame hieß. "Must Have" beginnt chronologisch sogar nochmal hundert Jahre früher, 1750, mit "geflickten" Kochtöpfen und Kleidern aus selbst gesponnenem Garn. Manches von Anno dazumal wird heute wiederentdeckt. Zum Beispiel Zahnpasta als Pulver, erhältlich in Unverpackt-Läden, ohne Tube. Oder ein mit Stroh betriebener Koch-, Back-, und Bratapparat, der retro-futuristisch wirkt. Aber Dagmar Thiemler betont den Unterschied. Was früher aus schierer Not geboren war, ist heute oft nur Option, mit der eine bestimmte Haltung verbunden wird. "Must Haves", die man nicht haben muss:
"Im 18. Jahrhundert wurde 80 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben."
Fokus auf Mainstream und Konsum
Heute dürften es in Deutschland durchschnittlich nur noch 10 Prozent sein. Das heißt, die Menschen haben einfach mehr Geld für den Konsum jenseits von Lebensmitteln. Die Ausstellung setzt den Fokus auf den Mainstream der Gesellschaft - auf das, was zu verschiedenen Zeiten massenhaft gekauft wurde. Das waren in den 1950ern: Weinbrandbohnen und Liköre. Sowie Kühlschränke, für die Versorgung der damals grassierenden Fresswelle.
Überhaupt ist die Idee des "Konsumtempels Warenhaus", von 1900 bis zum Online-Shopping heute, die des Überangebots. Das arbeitet die Ausstellung opulent und vielteilig heraus. Und oft muss man schmunzeln darüber, wie vergänglich Moden sind. Aber auch von "Grenzen des Wachstums" ist die Rede, von Umweltzerstörung durch den globalen Warenverkehr. Eine Wand ist tapeziert mit konsumkritischen "Spiegel"-Covers seit 1970. Als zum ersten Mal also so etwas wie Konsumscham aufkam. Nischendenken für Dagmar Thiemler, seit 50 Jahren:
"Ja. Diese Warnungen gibt es schon lange. Leider muss man konstatieren: Wirklich geändert hat sich nichts. Ich glaube, dass es ein ganz schwieriges Wort ist, was man in die Diskussion bringen muss: Das ist Verzicht. Und Verzicht hört sich für keinen gut an. Da muss sich ja auch jeder an die eigene Nase packen, da möchte ich mit keinem Finger auf keinen zeigen."
Kritischer Kommentar zum Konsumverhalten
Die Zukunft des Konsums? Ist noch nicht geschrieben. Das Ende der Ausstellung "Must Have" macht nachdenklich. Auf der einen Seite hat das Solinger Museumsteam mal zwei Wochen sämtlichen eigenen Verpackungsmüll gesammelt und bedrohlich an die Decke drapiert.
Auf der anderen Seite sind innovative nachhaltige Produkte ausgestellt: Kaffeetassen, die aus Kaffeesatz gepresst sind. Oder einfach wieder echtes Stroh als Füllmaterial bei Transporten. Auch der Mainstream ist inzwischen sensibler geworden für die Kehrseiten des Konsums. Ein Trend, den die Ausstellung zeigt: Konsum ohne Must Haves! Impulsgesteuert quengeln wie ein Kleinkind an der Supermarktkasse, das ist damit out.