Vom Wandel der Zeiten zwischen Seestraßen und Landwegen, zwischen Wegelagerei und Tauschverkehr handelt die Ausstellung "Mare Balticum" im Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen. Mehr als tausend Jahre umspannend, vereint sie Archäologie, Kulturgeschichte und politische Geschichte auf geschickte Weise und rahmt diese durch Arbeiten von zwanzig zeitgenössischen Künstler aus den neun Ostsee-Anrainerstaaten ein. Etwa 45 historische Orte kann der Besucher hier ansteuern, von Wismar bis Visby, von Åbo bis Kap Arkona, vom schwedischen Karlskrona über Tallinn bis ins russische Kronstadt.
Als Gegenstück zum römischen "Mare nostrum" galt das "Mare Balticum" schon in der Antike als das Mittelmeer des Nordens. Den Terminus prägte wohl erst der Geschichtsschreiber und Erzbischof Adam von Bremen im 11. Jahrhundert. In diesen frühen Zeiten schifft sich die Ausstellung ein, an einem mythischen Ort namens Vineta, dem Atlantis des Nordens und möglicherweise identisch mit der Wikingersiedlung Jomsburg. Polnische Archäologen wollen es in der Nähe von Wolin ansiedeln, eine andere Theorie vermutet es bei Barth, unweit von Rostock. Vom sagenhaften Vineta aus wird man auf eine sentimentale Reise mitgenommen, wobei die einzelnen, schlaglichtartigen Kapitel weniger die Geschichte der Orte als vielmehr die der Verbindungen zwischen ihnen beleuchten. Es ist eine durchaus fragmentarische Erzählung über Besiedelungen und Eroberungen, über Vertreibungen und Auswanderungen. Raffgier und Beutezüge bestimmen sie ebenso wie gedeihlicher Handel und politische Bündnisse. Sie reicht vom Friedensschluss zwischen dem Deutschen Orden und den Nordischen Königreichen über die Blüte der Hanse bis zur schwedischen Großmachtzeit und ihr Ende im 18. Jahrhundert, vom sodann wachsenden Einfluss des zaristischen Russland über den Warschauer Pakt bis zur Perestroika.
Die auch hierzulande durch kulturhistorische Ausstellungen bekannte Kuratorin Marie Louise von Plessen inszeniert den Raum auf eher poetische Weise, und zwar sowohl den Raum des Museums wie auch den Ostseeraum. Als Leitidee diente ihr die barocke Kunst- und Wunderkammer, eine Struktur der Verbindungen und Echos, die in jüngster Zeit häufiger aufgegriffen wurde. Naturfunde und Artefakte ruhen traulich nebeneinander in Vitrinen, Alltagskultur diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs sammelt sich an, und das behutsam Ausgegrabene kontrastiert mit der Künstler-Installation. Darunter übrigens das "Skandinavische Institut für Vergleichenden Vandalismus" des Cobra-Mitglieds Asger Jorn oder das "Panorama-Happening" des Polen Tadeusz Kantor, der unter anderem einen Dirigenten am Strand auf eine Trittleiter steigen ließ, um die Ostseewellen zu dirigieren.
Sicher ist es kein Zufall, wenn gleich mehrere Künstler sich mit Landkarten befassen. Kartiert werden imaginäre und echte Geographien, lokale Expeditionen einer glücklichen Kindheit ebenso wie Aufmarschpläne feindlicher Armeen. Der in Berlin lebende Schwede Jan Svennungsson etwa hat freihändig eine Skandinavienkarte solange kopiert, um dann wieder von der Kopie eine Kopie zu erstellen - usw. -, bis nur noch ein unkenntlicher schwarzer Fleck übrig blieb, eine Art Grenzklecks: die politische Karte als Irrtum. Lennart Mänd dagegen hat dokumentarisches Filmmaterial und kleine verfremdete Bilder von Schlachtschiffen um eine Generalstabskarte gruppiert - zu einer fiktiven Geschichte der Besetzung der estnischen Küste durch die deutsche Marine im Jahr 1917. Das Gelächter des Besuchers angesichts der monumentalen Aktion wäre größer, würde sie nicht eine zentrale Erfahrung vermitteln, welcher die Küstenbewohner seit tausend Jahren ausgesetzt sind. Seit der Wikingerzeit waren sie plötzlichen Überfällen meist mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Daraus erklärt sich auch, warum es rund um die Ostsee so viele Festungsstädte gibt. Am ergreifendsten aber erzählt ein unscheinbares Objekt von den nachbarschaftlichen Beziehungen in Zeiten des Krieges. Ein unbekannter Finne hat als Leihgabe ein kleines Köfferchen zur Verfügung gestellt. Es stammt aus der Zeit des sogenannten Winterkrieges zwischen Finnland und der Sowjetunion 1939/40 und enthält ein Kindertasse, ein Stoffeule, ein Heftchen und einen Hut. Das ist alles. Damals schickte man finnische Kinder über die Ostsee ins sichere Exil nach Dänemark und Schweden. Manche blieben dort für den Rest ihres Lebens.
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Als Gegenstück zum römischen "Mare nostrum" galt das "Mare Balticum" schon in der Antike als das Mittelmeer des Nordens. Den Terminus prägte wohl erst der Geschichtsschreiber und Erzbischof Adam von Bremen im 11. Jahrhundert. In diesen frühen Zeiten schifft sich die Ausstellung ein, an einem mythischen Ort namens Vineta, dem Atlantis des Nordens und möglicherweise identisch mit der Wikingersiedlung Jomsburg. Polnische Archäologen wollen es in der Nähe von Wolin ansiedeln, eine andere Theorie vermutet es bei Barth, unweit von Rostock. Vom sagenhaften Vineta aus wird man auf eine sentimentale Reise mitgenommen, wobei die einzelnen, schlaglichtartigen Kapitel weniger die Geschichte der Orte als vielmehr die der Verbindungen zwischen ihnen beleuchten. Es ist eine durchaus fragmentarische Erzählung über Besiedelungen und Eroberungen, über Vertreibungen und Auswanderungen. Raffgier und Beutezüge bestimmen sie ebenso wie gedeihlicher Handel und politische Bündnisse. Sie reicht vom Friedensschluss zwischen dem Deutschen Orden und den Nordischen Königreichen über die Blüte der Hanse bis zur schwedischen Großmachtzeit und ihr Ende im 18. Jahrhundert, vom sodann wachsenden Einfluss des zaristischen Russland über den Warschauer Pakt bis zur Perestroika.
Die auch hierzulande durch kulturhistorische Ausstellungen bekannte Kuratorin Marie Louise von Plessen inszeniert den Raum auf eher poetische Weise, und zwar sowohl den Raum des Museums wie auch den Ostseeraum. Als Leitidee diente ihr die barocke Kunst- und Wunderkammer, eine Struktur der Verbindungen und Echos, die in jüngster Zeit häufiger aufgegriffen wurde. Naturfunde und Artefakte ruhen traulich nebeneinander in Vitrinen, Alltagskultur diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs sammelt sich an, und das behutsam Ausgegrabene kontrastiert mit der Künstler-Installation. Darunter übrigens das "Skandinavische Institut für Vergleichenden Vandalismus" des Cobra-Mitglieds Asger Jorn oder das "Panorama-Happening" des Polen Tadeusz Kantor, der unter anderem einen Dirigenten am Strand auf eine Trittleiter steigen ließ, um die Ostseewellen zu dirigieren.
Sicher ist es kein Zufall, wenn gleich mehrere Künstler sich mit Landkarten befassen. Kartiert werden imaginäre und echte Geographien, lokale Expeditionen einer glücklichen Kindheit ebenso wie Aufmarschpläne feindlicher Armeen. Der in Berlin lebende Schwede Jan Svennungsson etwa hat freihändig eine Skandinavienkarte solange kopiert, um dann wieder von der Kopie eine Kopie zu erstellen - usw. -, bis nur noch ein unkenntlicher schwarzer Fleck übrig blieb, eine Art Grenzklecks: die politische Karte als Irrtum. Lennart Mänd dagegen hat dokumentarisches Filmmaterial und kleine verfremdete Bilder von Schlachtschiffen um eine Generalstabskarte gruppiert - zu einer fiktiven Geschichte der Besetzung der estnischen Küste durch die deutsche Marine im Jahr 1917. Das Gelächter des Besuchers angesichts der monumentalen Aktion wäre größer, würde sie nicht eine zentrale Erfahrung vermitteln, welcher die Küstenbewohner seit tausend Jahren ausgesetzt sind. Seit der Wikingerzeit waren sie plötzlichen Überfällen meist mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Daraus erklärt sich auch, warum es rund um die Ostsee so viele Festungsstädte gibt. Am ergreifendsten aber erzählt ein unscheinbares Objekt von den nachbarschaftlichen Beziehungen in Zeiten des Krieges. Ein unbekannter Finne hat als Leihgabe ein kleines Köfferchen zur Verfügung gestellt. Es stammt aus der Zeit des sogenannten Winterkrieges zwischen Finnland und der Sowjetunion 1939/40 und enthält ein Kindertasse, ein Stoffeule, ein Heftchen und einen Hut. Das ist alles. Damals schickte man finnische Kinder über die Ostsee ins sichere Exil nach Dänemark und Schweden. Manche blieben dort für den Rest ihres Lebens.
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