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Geschichte hautnah
Auf Entdeckungstour an der Berliner Mauer

Beeindruckend und doch unvorstellbar. Es fällt schwer, den DDR-Alltag in der Zeit des Kalten Krieges nachzuempfinden. 25 Jahre nach dem Mauerfall kennen vor allem Schüler die DDR nur noch aus den Erzählungen der Großeltern. Für sie ist ein Besuch der Gedenkstätte Berliner Mauer wie eine Reise in eine andere Welt.

Von Verena Kemna |
    Trümmer der Geschichte - Teile der Betonmauer, Stacheldraht, Gitterzaun und Betonreste der Berliner Mauer liegen im Ortsteil Steinstücken bei Potsdam auf einem Gelände, aufgenommen im August 1990.
    Im Schulunterricht spielt die DDR-Zeit oft nur eine untergeordnete Rolle. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild)
    Die Bernauer Straße in Berlin-Mitte ist längst ein Symbol der geteilten Stadt. Touristen machen hier Mittagspause im Ost-West-Café oder im Mauercafé, haben von dort einen direkten Blick auf die ehemalige Westseite der Berliner Mauer und auf die letzten im Original erhaltenen Grenzanlagen in der Hauptstadt. Das Ausstellungsgelände unter freiem Himmel führt über eine eineinhalb Kilometer lange Freifläche. Täglich sind Besuchergruppen aus aller Welt unterwegs.
    Auch Erik, 14 Jahre alt, ist mit seinen Großeltern auf Spurensuche. Auf den Hauswänden hinter der Freifläche sind historische Aufnahmen zu sehen. Darunter auch das berühmte Foto des Volkspolizisten, der über den Stacheldraht springt, aufgenommen am 15. August 1961 in der Bernauer Straße.
    "Also ich fand das irgendwie beeindruckend, wenn man hier so sieht, dass da noch die Mauer gestanden hat und weil ja auch Häuser ganz dicht an der Mauer standen und von einem Tag auf den anderen steht da auf einmal eine Mauer und man kommt nicht mehr rüber und man ist dann im Ostteil und hat vielleicht auch Freunde im Westteil und kann die dann nicht mehr besuchen."
    DDR-Geschichte hautnah
    Ohne die Berichte der Zeitzeugen an den vielen Hörstationen wären die Ereignisse an der Bernauer Straße zur Zeit des Mauerbaus für den Schüler noch unvorstellbarer. In den Häusern auf Ost-Berliner Seite werden die Fensteröffnungen zugemauert, die Bilder der Menschen, die sich aus den Fenstern stürzen, gehen um die Welt. Rosemarie Platz hat ihren Sprung überlebt.
    "Da bin ich ans Fenster gerast, habe meinen Schirm und meine Tasche rausgeschmissen, bin auf das Fensterbrett geklettert, habe die Augen zugemacht und bin runter gesprungen."
    In der Schule hat Erik la Bonté aus Bonn noch nichts über die DDR gehört. Nach den Sommerferien kommt er in die neunte Klasse. Er ist interessiert und möchte mehr wissen.
    "Ja, wissen, wie die damals gelebt haben, schon. Ich weiß das von meinen Großeltern. Meine Oma war in der Zeit gerade in Urlaub und hat dann gehört, dass eine Mauer gebaut worden ist und die konnten das dann damals auch gar nicht fassen. Und dann standen sich ja beim Checkpoint Charlie auch die Panzer gegenüber und er meinte, wenn die sich bekämpft hätten, dann wäre er mitten drin gewesen."
    "Also, das ist irgendwie Wahnsinn, was die Leute damals erlebt haben"
    Wo einst die Mauer stand, stecken meterhohe Eisenstäbe in regelmäßigen Abständen in der Rasenfläche. In den Boden eingelassene Bronzeplatten markieren die Fluchttunnel, die ab 1962 zwischen Ost- und Westberlin gegraben wurden. Lotte Wagner und Alissa Sternitzke, 19 und 20 Jahre alt, laufen den ehemaligen Postenweg entlang, vorbei an der noch erhaltenen Grenzanlage.
    Dann stehen sie vor einem verbogenen Kirchenkreuz, das auf dem Kiesweg liegt. Es ist ein Relikt der Versöhnungskirche, die direkt auf dem Todesstreifen stand. 1985 wurde die verwaiste Kirche nach einem Beschluss der DDR-Regierung gesprengt. Heute markiert die Kapelle der Versöhnung, ein niedriger Rundbau aus Lehm und Holz, den historischen Ort. Alissa Sternitzke aus Nürnberg ist beeindruckt.
    "Also ich finde es interessant, noch mal die Mauerstücke zu sehen von der einen Seite zur anderen, weil man sich das doch schwierig vorstellen kann, wie das alles abgelaufen ist. Also, das ist irgendwie Wahnsinn, was die Leute damals erlebt haben, das kann man sich gar nicht so wirklich vorstellen."
    Beeindruckend und doch unvorstellbar. Es fällt schwer, den DDR-Alltag in der Zeit des Kalten Krieges nachzuempfinden. Lotte Wagner, 19 Jahre alt, aus Bad-Neustadt an der Saale war schon öfter auf dem Ausstellungsgelände der Gedenkstätte Berliner Mauer unterwegs. Eine Seminararbeit während der Schulzeit ist ihre ganz persönliche historische Wegmarke.
    "Ich habe mit einem aus Ostdeutschland gesprochen, der versucht hat, zu flüchten und das war schon ziemlich interessant. Also dieser Todesstreifen, das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass normale Menschen dazu fähig sind, Leute zu erschießen, also, unter was für einem Druck die gestanden haben, dass die dann auch teilweise wirklich geschossen haben. Das fand ich ziemlich krass, da hatte ich Gänsehaut, als ich mit dem das Interview hatte, das war schon heftig."
    Im Gebüsch entdecken die beiden mit Graffiti besprühte Mauerreste, die versteckt neben dem Postenweg stehen.
    "Also ich finde es ist halt schwer, sich vorzustellen, wenn man die Mauer mit dem Graffiti sieht und jeder macht Bilder damit, so erinnerungsmäßig, was schön ist. Die Geschichte dahinter kennen schon die meisten, aber so wirklich Gedanken, macht sich glaube ich, keiner. Also ich finde es einfach schwer, sich vorzustellen, wenn man nicht dabei war."
    Ludwig Lindner, 24 Jahre alt, ist mit den Mauerresten groß geworden. Er durchstreift das Gelände der Gedenkstätte mit vier Ferienkindern im Schlepptau. Ludwig Lindner wohnt gleich um die Ecke.
    "Für mich war das normal, ich bin jeden Tag über die Mauer gelaufen, sozusagen. Früher waren hier auch nicht so viele Leute. Ich kann mich erinnern als ich Kind war, Anfang der neunziger, da war das Ganze Areal hier leer, da stand weder das neue Deutsche Bahn Haus, noch die dahinter und hier lagen Gleise und alles war offen, also, es hat sich schon stark verändert."
    Kleine Geschichtsfans auf Entdeckungstour
    Emil, sechs Jahre alt, kennt schon sämtliche Bauwerke im Freiluftmuseum. Sein Favorit ist der original erhaltene Wachturm.
    "Ich fand eher spannend, warum dieser Turm gebaut wurde, ich weiß auch, warum, damit die Leute nicht über die Mauer rüber konnten."
    Der Sechsjährige hat seinen Zugang zu den historischen Mahnmalen aus der Zeit des Kalten Krieges gefunden. Emil weiß, was die Mauerreste auf dem ehemaligen Grenzstreifen bedeuten.
    "Das finde ich toll, weil, da kann man sich noch erinnern, wie schlimm das war und die Mauer, die hat man noch ein bisschen gelassen, da kann man sich auch daran erinnern, das finde ich gut. "
    Tipp:
    Mehr zur Chronik der Mauer erfahren Sie auf www.dradio.de.