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Geschichte russischer Staatspropaganda
Putins Lügen: In sowjetischer Tradition

Mit gezielten Falschmeldungen, „alternativen Fakten“ und eigenen Narrativen – so berichten aktuell vom Kreml gesteuerte Medien über den Krieg gegen die Ukraine. Dass die russische Führung so Propaganda verbreitet, ist allerdings nicht neu. Ein Blick zurück.

Text: Michael Borgers | Brigitte Baetz im Kollegengespräch mit Annika Schneider |
Ein großformatiges Plakat mit Lenin-Konterfei und der Darstellung von Arbeiter und Bäuerin mit Hammer und Sichel
Ein großformatiges Plakat mit Lenin-Konterfei und der Darstellung von Arbeiter und Bäuerin mit Hammer und Sichel - Propaganda im vordigitalen Zeitalter (picture-alliance / dpa)
Lange haben die „Protokolle der Weisen von Zion“ als der Beginn russischer Staatspropaganda gegolten. Vor bald 120 Jahren wurde diese Schrift veröffentlicht, die Erzählung einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Dass es sich dabei um eine Fälschung handelt, wurde früh angenommen und schon bald auch nachgewiesen. Dennoch hält sich diese antisemitische Lüge und wird bis heute von Rechtsextremen geteilt.
Von wem genau die „Protokolle“ stammen ist weiterhin unklar. Lange Zeit ging die Geschichtswissenschaft davon aus, dass Geheimdienste des damals herrschenden Zaren, Nikolaus II., an ihrer Entstehung beteiligt gewesen waren. Inzwischen allerdings spreche vieles gegen diese These, sagt Michael Hagemeister.

Die Propaganda beginnt mit der Sowjetunion

Der Bochumer Historiker forscht schon lange zu den „Protokollen“. Fest stehe, so Hagemeister gegenüber dem Deutschlandfunk, dass diese 1903 erstmalig auf Russisch in einer „obskuren Sankt Petersburger Zeitung“ erschienen seien. Doch ihr Einfluss in der Folge sei erst einmal gering gewesen.

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Erst nach der Oktoberrevolution sei das Pamphlet eingeschlagen „wie eine Bombe“ und habe seine bis heute andauernde Wirkung entfaltet, vor allem im Ausland, aber auch während des russischen Bürgerkriegs. In der Sowjetunion seien die „Protokolle“ dann offiziell verboten gewesen, betont Hagemeister.
Um Russlands Staatspropaganda heutzutage verstehen und erklären zu können, empfiehlt nicht nur Hagemeister deshalb grundsätzlich eher einen Blick auf diese Epoche.

Beispiele Hitler-Stalin-Pakt und „Massaker von Katyn“

Dem Historiker und Slawisten fallen aus den fast sieben Jahrzehnten sowjetischer Geschichte zwei herausragende Beispiele ein: So sei die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt 1939 – über die Aufteilung Osteuropas – noch bis 1989 „schlicht geleugnet“ worden. „Das ist eine der großen Propagandalügen der Sowjetunion“, so Hagemeister.
Und das gelte auch für den Massenmord an polnischen Offizieren im russischen Katyn. Dass die Hinrichtungen auf Befehl Stalins geschehen seien, habe die Sowjetpropaganda stets abgestritten. Erst 1990 räumte der damalige Präsident Michail Gorbatschow eine Verantwortung der Sowjetunion ein.
Hitler-Stalin-Pakt und „Massaker von Katyn“ – für Hagemeister sind das zwei „besonders krasse Beispiele für staatlich gesteuerte Geschichtsfälschung.“

„Desinformation“ – eine russische Erfindung

„Die Sowjetunion hatte eine lange Propagandatradition“, hielt auch der niederländische Sicherheitsexperte Marcel H. van Hapern 2016 in einem Aufsatz über russische Propaganda und Desinformation für die Bundeszentrale für Politische Bildung fest. Bereits in den 1920er Jahren hätten die ersten Bolschewisten innerhalb des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei eine „Abteilung für Agitation und Propaganda“ (Agitprop) eingerichtet, schrieb er dort.

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„Sie war so erfolgreich, dass sie NS-Propagandaminister Joseph Goebbels als Vorbild diente“, so van Hapern. Sogar das Wort „Desinformation“ (desinformazija) sei eine russische Erfindung. „Erstmals tauchte es 1963 auf, als der KGB eine entsprechende Sondereinheit gründete. Wladimir Putin kann also die sowjetischen Vorgängerstrukturen nutzen und nachbilden.“

Medienjournalistin Baetz: Ziel ist Zerrüttung des öffentlichen Diskurses

Bis heute geben viele Russen Gorbatschow die Schuld am Zerfall der Sowjetunion vor 30 Jahren. Ein Reich, über das nun westliche Beobachter sagen, dass Putin ihm nachtrauere. Fest steht: In Sachen Propagandaarbeit hat Russland unter seiner Führung angeknüpft an die erprobte sowjetische Tradition – und sie dann ins digitale Zeitalter geführt.
Allerdings gehe es heute weniger um das Streuen von Falschinformationen als um die dauerhafte Unterminierung des westlichen Diskurses, erklärt Medienjournalistin Brigitte Baetz im Deutschlandfunk-Kollegengespräch. "Es geht nicht darum, einer Wahrheit eine andere entgegenzusetzen, sondern um die Zerrüttung des öffentlichen Diskurses bei uns", so Baetz.
Wenn jetzt beispielsweise behauptet werde, dass es sich bei der ukrainischen Regierung um "Faschisten" handle, habe das zwar keine tatschliche Grundlage. Hintergrund sei lediglich die Idee, "dass man das denken könnte".

Historiker Benz: „Putin beherrscht dieses Metier besonders virtuos“

„Die Situation ist ja ganz eindeutig: Man versucht die Gegenseite mit allen Möglichkeiten zu verwirren“, fasst Wolfgang Benz, Historiker und ehemaliger Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, seine Beobachtungen der russischen Propaganda unter Putin zusammen. Die Maßnahmen hierfür reichten von Cyberangriffen bis hin zu Falschmeldungen. „Das ist natürlich keine russische Spezialität“, betont Benz. „Aber Putin beherrscht dieses Metier, vielleicht auch aufgrund seiner Vorgeschichte, besonders virtuos. Und er nutzt es skrupellos.“
„Es ist unglaublich, wie da gelogen wird“, sagt auch Michael Hagemeister. Täglich verfolge er russische Programme über den Ukraine-Krieg. Wenn dort davon die Rede sei, man wolle „Europa vom Nationalsozialismus befreien“, sei das „an Infamie nicht zu überbieten“.