Geschichte Syriens
Eine Region im Visier fremder Mächte

Dschihadistische Rebellen haben die Diktatur in Syrien beendet. Mehr als 50 Jahre hat die Familie Assad die Bevölkerung unterdrückt – gestützt von Russland und Iran. Es war nicht das erste Mal, dass ausländischer Kräfte sich in der Region einmischen.

    Ein kaputtes Porträt des verstorbenen syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad liegt auf dem Boden, zusammen mit weiterem Hausrat, während Menschen in der Privatresidenz des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad in Damaskus nach Wertsachen suchen.
    Präsidenten Baschar al-Assad ist gestürzt und geflohen. Seine Privatresidenz in Damaskus wurde geplündert und zerstört. Wer übernimmt nun die Macht im Land? (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Hussein Malla)
    Die Herrschaft von Baschar al-Assad über Syrien ist Geschichte. Eine Rebellen-Allianz unter Führung der Islamistengruppe Hajat Tahrir Al-Scham (HTS) hat das Regime gestürzt. Assad, dessen Familie mehr als 50 Jahre lang die Menschen im Land mit großer Brutalität unterdrückte, ist nach Russland geflohen. Auf den Straßen von Damaskus feierten Syrerinnen und Syrer das Ende der Diktatur.
    Seit 2011 herrschte Bürgerkrieg in Syrien. Doch die Geschichte der Machtkämpfe im Land reicht viel weiter zurück. Seit Jahrtausenden war die Region Schauplatz regionaler und internationaler Konflikte. Auch der Aufstieg der Assads und ihr Sturz stehen in einem größeren historischen und internationalen Kontext.

    Inhalt

    Geostrategische Lag: Syrien als Schlüsselland

    Aufgrund der geographischen Lage war die Region des heutigen Syriens von jeher politisch, wirtschaftlich und strategisch von großer Bedeutung: Es ist der Korridor, der Afrika, Asien und Europa verbindet. Bereits in der Antike verlief der wirtschaftliche und kulturelle Austausch zwischen den Kontinenten über das heutige syrische Staatsgebiet. 
    „Syrien ist ein Schlüsselland, rein geostrategisch betrachtet“, sagt die Historikerin und Islamwissenschaftlerin Ulrike Freitag. Viele Staaten verfolgen in der Region eigene Interessen und versuchen daher, Einfluss im Land zu gewinnen. Dazu gehören Großmächte wie Russland, das das Regime Assads unterstützt hat, und die USA, die dort gegen islamistische Terroristen vorgehen.
    Die Türkei kämpft in Syrien wie auf seinem eigenen Staatsgebiet gegen die Kurden, um deren Autonomiebestrebungen zu ersticken. Der Iran nutzte das Land, um die im Libanon agierende radikalislamische Hisbollah-Miliz mit Waffen und Material zu versorgen. Auch die Golfstaaten und die EU verfolgen in Syrien eigene Interessen. 

    Historische Bedeutung: Heimat der ältesten Kulturen der Welt

    Die Region des heutige Syrien ist schon sehr lange besiedelt. Sie ist Teil des sogenannten Fruchtbaren Halbmonds: Das Gebiet zwischen Israel und dem Persischen Golf gilt als einer der Ursprungsorte menschlicher Zivilisation. Hier haben Menschen unter anderem erstmals Ackerbau und Viehzucht betrieben. Im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris gab es schon vor rund 10.000 Jahren Landwirtschaft. Einige der ältesten Zivilisationen der Menschheitsgeschichte haben auf dem Gebiet des heutigen Syrien gesiedelt – etwa die Sumerer, Ägypter und Babylonier. 
    Ob der Name Syrien vom Volk der Assyrer abgeleitet ist, gilt als umstritten. Fest steht: Das Assyrische Reich umfasste auch Teile des heutigen Syriens. Ihren Machthöhepunkt erlebten die Assyrer im 8. Jahrhundert vor Christus. Knapp 500 Jahre später eroberten die Griechen unter Alexander dem Großen das Land. Ab 64 vor Christus wurde es dann Teil des Römischen Reichs und ging nach dessen Teilung ins Byzantinische Reich über.
    Im frühen Mittelalter eroberten muslimische Truppen die Region. Sie machten Damaskus zur Hauptstadt des Umayyaden-Kalifats und zum Machtzentrum des jungen islamischen Imperiums. Ab 1516 gehörte Syrien dann zum Osmanischen Reich – bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

    Spielball der Großmächte: Syrien als französisches Mandatsgebiet

    Das Osmanische Reich zerfällt und England und Frankreich teilen ihre kolonialen Interessengebiete im Nahen Osten unter sich auf – im Sykes-Picot-Abkommen. Die Grenzen werden dabei quasi mit dem Lineal gezogen, erklärt die Historikerin Freitag. Syrien fällt unter französisches Mandat.
    Die französische Kolonialpolitik beruht auf dem Grundsatz „teile und herrsche“: Die Bevölkerung wird gezielt gespalten, damit sie sich nicht gemeinsam gegen die Fremdherrschaft auflehnt. Die Franzosen fördern Minderheiten wie Christen, Drusen und muslimische Alawiten, die neben der sunnitischen Mehrheit in Syrien leben. Die Folge ist eine Zerstückelung des Landes in Gebiete mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Zudem werden lokale Truppen aufgebaut, die zum Großteil aus der drusischen und alawitischen Bevölkerung rekrutiert wurden, erläutert Freitag. „Man hat damit letztlich auch Wurzeln gelegt, die sich in den heutigen Konflikten ein Stück weit niederschlagen“, so die Historikerin.
    Doch es regt sich Protest gegen die europäische Herrschaft. Die syrischen Eliten wollen nicht länger fremdbestimmt leben, sie streben nach einem eigenen Staat. Die Politik des „teile und herrsche“ geht nicht auf, trotz aller Unterschiedlichkeit kooperieren die Bevölkerungsgruppen und beginnen gemeinsam einen Unabhängigkeitskampf gegen die französischen Besatzer.
    1927 kann Frankreich einen Aufstand noch brutal niederschlagen, doch die Auseinandersetzungen um die syrische Unabhängigkeit halten an. 20 Jahre später ändert sich die Lage: Die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien sind durch den Zweiten Weltkrieg stark geschwächt, die frisch gegründete UNO übt Druck auf Frankreich aus. 1946 verlassen die französischen Truppen das Land, die Arabische Republik Syrien wird gegründet.
    Was bleibt von der französischen Herrschaft in Syrien? Die Bildung einer politischen Führungsgruppe, sowie eine Elite an Großgrundbesitzern, sagt Freitag. „Das heißt also auch sehr ungleiche soziale Verhältnisse, sehr große Differenzen zwischen Stadt und Land.“

    Die Herrschaft der Assads: Vom Sozialismus zur Diktatur

    Es folgt eine Phase der Instabilität und des Ringens um Syriens Ausrichtung. Mehrfach kommt es zu Militärputschen. Der letzte von ihnen bringt 1963 die Baath-Partei an die Macht. Ihre Ideologie ist panarabisch orientiert, säkular ausgerichtet und sozialistisch. 
    Parteiinterne Konflikte und Machtkämpfe prägen die 1960er Jahre in Syrien, bis 1970 Hafiz al-Assad an die Macht kommt – und damit die Familie Assad. Er verlässt den ehemals sozialistischen Kurs der Partei.
    Was folgt, beschreibt Historikerin Freitag als Gleichschaltung der Politik und Symbiose zwischen Partei und Militär. Wichtige Positionen werden entweder durch Familienmitglieder oder enge Vertraute besetzt. Die alawitische Assad-Familie schließt aber auch strategische Allianzen, um andere Bevölkerungsgruppen innerhalb Syriens zufriedenzustellen – etwa mit der christlichen und sunnitischen Wirtschaftselite. 
    Eine tragende Rolle spielt auch der Sicherheitsapparat. „Es ist ein extrem autokratisches, von Geheimdiensten kontrolliertes Land“, sagt Freitag. Das Regime geht extrem brutal gegen vermeintliche oder tatsächliche Gegner vor und ist bekannt für seine Foltergefängnisse. „Das Assad-Regime hat den Staat in Syrien komplett in den Dienst des eigenen Machterhalts gestellt“, sagt die Journalistin Kristin Helberg.
    An der Macht halten kann sich die Diktatur aber nicht zuletzt auch dank ihrer internationalen Unterstützer. Das gilt auch schon für Hafiz al-Assad in der Zeit des Kalten Krieges. Freitag: „Russland hat ganz entscheidend Syrien unterstützt, weil Jordanien und später auch Ägypten sich ins westliche Lager bewegt haben.“

    Der Bürgerkrieg und das Ende des Assad-Regimes

    Das System funktioniert lange. Hafiz al-Assad bleibt bis zu seinem Tod im Jahr 2000 an der Macht, dann übernimmt sein Sohn Baschar. Zunächst gelingt es ihm, das Land ruhig und stabil zu halten. Doch im arabischen Frühling 2011 manifestiert sich die Unzufriedenheit der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen mit dem Regime zunächst in Protesten auf der Straße.
    Aus vereinzelten Protesten wird ein „Flickenteppich des zivilen Widerstands“, wie es Journalistin Helberg nennt. Weil das Regime in gewohnter Manier brutal gegen die Demonstrierenden vorgeht, radikalisiert sich der Protest und mündet schließlich in einem blutigen Bürgerkrieg.
    Assad gerät unter Druck, verliert die Kontrolle über große Teile des Staatsgebiets. Durch die militärische Unterstützung von Russland und Iran hält er sich aber zunächst an der Macht und kann auch weite Teile des Landes wieder zurückerobern. Bis die Unterstützer, geschwächt durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Konflikt mit Israel, ihre Hilfe weitgehend einstellen.
    Am Ende steht eine rasante Offensive einer Rebellen-Allianz, die in weniger als zwei Wochen bis Damaskus vorrückt, das Regime stürzt und die Familie Assad zur Flucht ins russische Exil zwingt.
    (kau)