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Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens in Ulm

Auf dem Ulmer Weinhof steht die neue Synagoge: ein 17 Meter hoher Kubus, streng, abstrakt und sachlich. Eine jüdische Gemeinde lässt sich in der Stadt erstmals 1241 nachweisen. Von den Gefährdungen jüdischen Lebens vom Mittelalter bis heute erzählt jetzt eine Ausstellung im Ulmer Museum.

Von Christian Gampert | 30.11.2012
    Da steht sie: die neue Synagoge, entworfen von der Kölner Architektin Susanne Groß. Ein 17 Meter hoher Kubus, eine strenge, sachliche, abstrakte Bauplastik auf dem Ulmer Weinhof, umgeben von mittelalterlichen Bürgerhäusern. Der Bau, fremd und doch in seiner skulpturalen Räumlichkeit auf diesen Ort bezogen, ist ganz in zartem Ocker gehalten, eine Reminiszenz an den Jerusalemer Sandstein der Klagemauer; der Gebetsraum ist - natürlich - zur heiligen Stadt hin ausgerichtet, und diese südöstliche Kante des Gebäudes definiert seine Funktion: sie ist geprägt von einer perforierten Fensterfläche, die ein Muster aus lauter Davidsternen bildet.

    Ganz in der Nähe, im Gasthaus "Zum Schwanen", hatte die jüdische Gemeinde ab 1845 ein Gebetszimmer. Und wenige Schritte entfernt stand die 1873 eingeweihte alte Synagoge im maurischen Stil, die während der Reichspogromnacht von den Nazis abgebrannt wurde. Die Gemeinde, die Ende des 19. Jahrhunderts fast 700 Personen gezählt hatte, löste sich auf, und die Schicksale waren die bekannten: Flucht oder Deportation und Auslöschung. Nach 1945 wurden Tausende jüdische "Displaced Persons" in Ulm untergebracht, die bald in die USA oder Israel emigrierten. Ein wirkliches Gemeindeleben entwickelte sich erst nach 1989 mit der jüdischen Auswanderung aus dem Ostblock; die rund 450 heutigen Gemeindeglieder kommen meist aus Russland, der Rabbiner aus Israel.

    Das Ulmer Museum erinnert mit einer Ausstellung an jüdisches Leben in dieser Stadt: eine Gemeinde lässt sich urkundlich erstmals 1241 nachweisen, als die Ulmer Juden dem König Reichssteuer zahlten. Sie waren geduldete Geldleiher oder Handwerker, durften aber den Zünften nicht beitreten. Das wesentliche Exponat erzählt – in seiner janusköpfigen Ambivalenz – gleich von der Gefährdung jüdischen Lebens im Mittelalter. Museumsdirektorin Gabriele Holthuis:

    "Wir haben ja schon sehr lange im Ulmer Museum ein Grundsteinlegungs-Relief aus dem Jahr 1377 vom Ulmer Münster in Verwahrung, und auf der Rückseite sehen Sie noch sehr schön einen gut erhaltenen jüdischen Grabstein. Das heißt, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war dieser Stein ein jüdischer Grabstein, und nur dreißig Jahre nach dem Versterben des Toten wurde dieser Stein anders und anderweitig bearbeitet und beansprucht."

    Das heißt also: die Christen schändeten jüdische Friedhöfe, sie bemächtigten sich der Grabsteine und nutzten sie um. Solche Steine gehören zur Basis des 1377 begonnenen Ulmer Münsters. Gleichwohl existierte der sogenannte Ulmer "Judenhof" im Schatten der christlichen Kathedrale; Tanzhaus und Frauensynagoge wurden allerdings während des Pest-Pogroms von 1349 zerstört, 1499 waren die Juden vorläufig aus Ulm vertrieben.

    Die Ausstellung zeigt nun früheste Zeugnisse jüdischen Lebens aus dem Stadtarchiv; die Tradition illuminierter Handschriften, die von Juden in Auftrag gegeben wurden, ist vorerst nur in Kopien zu sehen, unter anderem aus der Mailänder Ambrosiana. Mit der Liberalisierung des 19. Jahrhunderts gab es wieder eine jüdische Gemeinde mit berühmten Rabbinern, und die Ausstellung erinnert an einflussreiche Ulmer Juden der frühen Moderne: den von den Nazis vertriebenen Museumsdirektor Julius Baum, die Künstler Ludwig Moos und Leo Kahn, später an den Sammler und Zeitungsmann Kurt Fried. Und Albert Einstein, natürlich. Interviews mit den heutigen Gemeindemitgliedern, die meist aus Russland kommen, zeigen säkulare Einbindung, aber auch innere Distanz zu den Deutschen. Der eher medienscheue Rabbiner Shneur Trebnik führt durch die neue Synagoge und meint:

    "Wir haben natürlich mit Frau Professor Groß gemeinsam Hand in Hand gearbeitet, und wir hoffen, das ist der richtige Entwurf und die richtige Entscheidung für uns."

    Das Haus ist nämlich eher ein Gemeindezentrum: Kindergarten, Versammlungsräume und Verwaltung nehmen ebenso viel Platz ein wie der Gebetsraum. Sogar eine Mikwe, ein Ritualbad, ist hier untergebracht. Und historische Kultgeräte aus der Tel Aviver Groß Collection erläutern die jüdische Religion, von der Torarolle bis zum Chanukka-Leuchter.

    Ja, man möchte sich am Ulmer Leben durchaus beteiligen, sagt der Rabbiner Shneur Trebnik. 0,2 Prozent der Bevölkerung macht die Gemeinde heute aus. Aber die neue Synagoge steht jetzt an exponierter Stelle!