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Geschichtliche Wiege Malaysias

Melaka im Südwesten Malaysias, bei uns auch besser bekannt als Malakka, gilt als die geschichtliche Wiege des Landes. Die Stadt war über Jahrhunderte ein wichtiger Handelsstandort: Wer hier das Sagen hatte, kontrollierte den Handel mit Asien. Inzwischen ist Melaka Unesco Weltkulturerbe.

Von Hans Günther Meurer |
    Malaysia ist weit weg. Um genau zu sein: zwölf Flugstunden. Das Fremde, das Ungewohnte wartet gleich nach der Ankunft: Schwer, mit diesem typischen schwül-süßen Duft, umgarnt die Tropenhitze die müden Muskeln und Knochen. Wer Malaysia besucht und in Kuala Lumpur landet, entdeckt eine moderne, westlich tickende Hauptstadt. Seit der Formel 1-Zirkus regelmäßig auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Station macht, weiß die Welt, dass es in Malaysia im Frühjahr gerne oft und kräftig regnet. Das sei typisch für die Westküste, sagen dann Insider, während einen drüben, an der Ostküste, nur rund 200 Kilometer Luftlinie entfernt, ein ganz anderes Wetter erwarte und die Sonne aus dem Äquatorhimmel strahle.

    Auch Melaka liegt im Westen des Landes, eine gute Autostunde auf einem mehrspurigen Highway von Kuala Lumpur Richtung Süden entfernt. Hier wurde Malaysia geboren – von Händlern, Seefahrern, Freibeutern aus aller Herren Länder. Über Jahrhunderte haben sie von hier aus den Gewürzhandel mit dem Abendland kontrolliert und so ihre Duftmarken gesetzt. Es ist ein Meltingpot der Kulturen geblieben, ein tolerantes Vielvölkergemisch, ein liebevolles architektonisches Durcheinander. Die Malaysier sind stolz auf ihr Melaka, und das nicht erst seit die Stadt 2007 in die Unesco-Liste als Weltkulturerbe aufgenommen worden ist. Melaka und sein historisches Erbe – das ist auch die Geschichte Malaysias.

    Auf den ersten Blick ist Melaka eine Stadt wie jede andere. Mit der Zeit ist sie immer weiter vom Meeresufer ins Landesinnere gewachsen, und wo früher Wohnhäuser und Lagerhallen direkt am Meer standen, wurde inzwischen Land aufgeschüttet und Platz geschaffen. Heute leben hier dreimal mehr Menschen als noch vor zehn Jahren, knapp 400.000. Auch Malaysia hat mit der Landflucht zu kämpfen.

    Der Dutch Square, der Holländische oder auch Rote Platz, liegt im Zentrum der Stadt. Alles, was der Unesco lieb und teuer ist, ist von hier aus zu Fuß zu erkunden, oder stilecht per Trishaw, im Fahrradtaxi. Ordentlich aufgereiht, eines neben dem anderen, warten sie und ihre Besitzer auf Gäste. 40 Ringit, rund zehn Euro, kostet eine einstündige Rundtour als Beifahrer auf der gepolsterten Fahrradbank. Erklärungen gibt’s gratis dazu, vorausgesetzt, der Fahrer spricht Englisch. Neben Malaiisch ist Englisch die offizielle Sprache im Land, aber viele ältere Malaien kamen je nach Herkunft und Schulbildung nicht in den Genuss, eine andere Sprache lernen zu können. Heute herrscht Schulpflicht, und jedes Kind lernt Englisch. Die Frage, was man denn so alles zu sehen bekomme für sein Geld, sorgt jedenfalls für reichlich sprachliche Verwirrung. Eilig wird Sam gerufen, der offensichtlich im Hintergrund die Fäden unter den Trishaw-Kollegen zieht:

    Eine bunte, gebleichte und mit Fotos übersäte Karte zeigt alle Sehenswürdigkeiten der Stadt. In einer Stunde bekomme man das alles zu sehen, sagt Sam – wenn Mensch und Material denn mitspielen, denke ich. Denn eine echte Trishaw ist vor allem eines: alt.

    Und das von Helmi Bin Hadschi Haschim ist uralt. Es stammt aus der Zeit der britischen Kolonialherren, und die entließen 1957 Malaysia in die Unabhängigkeit. Helmis Trishaw ist rundum geschmückt mit bunten Blüten, Barbiepuppen wippen auf dem Lenker im Takt des Straßenlärms. Eine mobile Plastikblumenbude, unübersehbar im wuseligen asiatischen Verkehrschaos aus Rädern, Mopeds und Autos.

    In den Städten Malaysias gelten Trishaws als unantastbar. Zwei Gäste finden Platz auf der Plastiklederbank im angeschweißten Sozius. Für Helmi ist das Trishawfahren überlebenswichtig.

    "In seiner Freizeit, sagt Helmi, wenn er nicht bei einer Sicherheitsfirma arbeitet, zeigt er Gästen seine Stadt – sein Frau und ihre drei Kinder wollen ernährt sein."

    Der Dutch Square hat seinen Namen vom Stadhuys, dem ehemaligen Rathaus. Es ist eine Hinterlassenschaft der Holländer aus dem 17. Jahrhundert, der Gouverneur wohnte hier prunkvoll und wenig bescheiden, und selbst ein solch rot gepinseltes Haus wirkt in dieser asiatischen Stadt nicht wie ein Fremdkörper. Bei Touristen aus unserem Nachbarland sorgt es für heimische Gefühle.

    "Ja sicher, das Stadhuys zum Beispiel und die Häuschen hier und die Namen von den Straßen sind auch holländisch – ist sehr schön zu sehen. –der gleiche Baustil."

    Heute ist im Stadthuys das Historische Museum untergebracht, eine Fundgrube der Stadtgeschichte. Fein säuberlich sind die Uniformen und Wahrzeichen der Herrscher über Stadt und Land aufgereiht. In sechs Jahrhunderten gaben sich Portugiesen, Holländer und Briten, und kurzzeitig auch die Japaner, die Klinke in die Hand. Naden ist Museumsguide und kennt die wechselvolle Geschichte seines Landes.

    "1511 kommen die Portugiesen, übernehmen die Herrschaft vom Sultan und damit auch die Kontrolle über den Gewürzhandel mit Europa. 1641 erobern die Holländer Malakka und bleiben bis 1824. Dann finden die Engländer Gefallen an dem strategisch wichtigen Umschlagplatz im Indischen Ozean. Die Japaner nutzen die Kriegswirren und besetzen das Land ab 1941 für zwei Jahre, bevor die Briten wiederkommen und bis 1957 bleiben. Dem Jahr der Unabhängigkeit. "

    Ein Video erklärt eindrucksvoll, warum Melaka zu einem Meltingpot der Kulturen wurde und Malaysia sich zu einem verhältnismäßig toleranten Vielvölkerstaat entwickelte. So entstand ein:

    " ... cultural mischmasch."

    Überall in Melaka wird gebaut. Hier ein neues Hotel, dort ein Wohnkomplex. Donovan ist der hauseigene Stadtführer des ehrwürdigen Hotel Majestic mit Grundmauern im britischen Kolonialstil; der five-o’clock-tea gehört hier noch zum Tagesablauf. Der Bauboom zeige doch, sagt er, dass die Stadt wachse und auf einem guten Weg sei. Und schließlich habe die Unesco 2007 ja nur rund eine Handvoll Bauwerke bzw. Straßen der Stadt unter ihren renommierten Schutz gestellt.

    "Dazu gehören der Melaka-Fluss, die holländische Kolonie mit ihren typischen lang gestreckten Wohn- und Lagerhäusern und der St. Paul’s Hill mit den Überresten aus der portugiesischen Epoche."

    Der Blick vom St. Paul’s Hill lässt erahnen, wie es hier wohl ausgesehen haben mag, als die Stadt noch einen seetüchtigen Hafen hatte. Heute legt hier kein Containerschiff mehr an. Die dicken Mauern der St. Pauls-Kapelle dienen Straßenmusikern als antikes Forum, zwischen den überdimensionalen Grabsteinen vieler fremder Besatzer aus den vergangenen Jahrhunderten. Die portugiesische Kapelle ist damit so etwas wie ein interkulturelles Bauwerk geworden, und das Fort, das hier einmal stand, hat sowieso einen unschätzbaren Superlativ.

    "Diese ehemalige Bastion A Formosa, erklärt Donovan, haben die Portugiesen hier Anfang des 16. Jahrhunderts gebaut. Übrig geblieben ist nur der Torbogen Porta de Santiago – das älteste und am besten erhaltene Monument europäischer Architektur in Asien."

    Malaysia ist ein islamischer Staat, und mehrmals am Tag ist das deutlich zu spüren und zu hören. (Muezzin kurz hoch) Knapp zwei Drittel aller Malaysier sind Muslime. Die Ostküste ist stärker islamisch geprägt als die Westküste mit Großstädten wie Kuala Lumpur, Penang und Melaka. Touristen werden mit offenen Armen empfangen, und wer Interesse an Menschen und Religionen zeigt, stößt auf Gegenliebe:

    "Come, come! Follow me ..."

    Die Gruppe junger Leute, die den interessierten Gast aufklären wollen, sind offensichtlich keine Muslime. Es ist Freitagabend, das Nachtleben, die Diskotheken der Stadt warten. Und der Nachtmarkt.

    An Wochenenden wird die gesamte Jonker Street zu einer bunten asiatischen Open-Air-Shoppingmeile. Wer etwas kaufen will, sollte Donovans Ratschlag befolgen:

    "Die Leute, die hier verkaufen, wollen verhandeln. Für sie ist es eine Form der Kommunikation – egal ob mit Einheimischen oder Fremden. Wenn die Atmosphäre gut ist, kann man den Preis schon mal bis zu 50, 60 Prozent runterhandeln."

    Der Selbstversuch handelt von einem Hemd, ziemlich asiatisch. Ursprünglicher Preis: 59 Ringit, also rund 15 Euro. Es geht hin und her und schließlich einigen wir uns auf 40 Ringit – also ordentliche 30 Prozent Rabatt.

    Die Jonker Street liegt im ehemaligen Holländischen Quartier direkt am Melaka River. Abends soll eine Bootstour auf dem Fluss am schönsten sein, sagte Donovan.

    "Welcome to the Malacca River Cruise”"

    Diese Tour gibt einen spannenden Einblick in die Geschichte Melakas, in der der Fluss immer eine wichtige Rolle spielte. Es geht vorbei an einer typisch malaiischen Holzhaus-Siedlung und an Lagerhäusern der Engländer. Die Brücke Kampung Jawa Foot erzählt die Geschichte der Japaner, die hier Einheimische geköpft haben, um die Malayen gefügig zu machen, und schließlich erreicht das Boot die langen Wohn- und Lagerhäuser aus der Zeit der holländischen Okkupation. Hier wurde alles gehortet, was damals im fernen Europa lieb und teuer war, vor allem Gewürze.

    Natürlich hat die Aufnahme dieser europäischen Architekturdenkmäler in einer Stadt im fernen Asien in das Unesco-Weltkulturerbe für einen Touristenboom gesorgt. Davon profitiert auch Sobra, ein Malaie, der heute als Stadtführer arbeitet und eine Zeit lang in Deutschland gearbeitet hat. Seinem Herzenswunsch für seine Heimatstadt mag man sich kaum verschließen:

    ""Melaka ist weltbekannt wegen der Unesco und hoffentlich die alten
    Gebäude müssen stehen bleiben."