Wir schlendern durch das verlassene Dorf Dana mit seinen kleinen aus Natursteinen gebauten Ein-Zimmer-Häusern, da laufen uns schon die ersten, gut genährt aussehenden Ziegen über den Weg. Ali, der 28 Jahre alte Beduine, der uns als Guide durch das Reservat führt, klopft einem schwarz-weißen Bock an den Hals und sagt liebevoll, aber pragmatisch: Du hast Glück gehabt, du bist noch nicht im Kochtopf gelandet.
Dann wandern wir weiter. Vorbei an den Häuserruinen schlängelt sich die ehemalige Dorfstraße bergab bis wir durch einige Olivenbäume hindurch einen spektakulären Blick auf einen Canyon bekommen. Wadi Dana liegt vor uns in seiner atemberaubenden Schönheit. Wir bleiben erst mal stehen und genießen den Blick: Eine schroffe Steinlandschaft zieht sich terrassenartig ins Tal, übersät von Bäumen und Büschen, die aus der Ferne wie verstreute grüne Bommel wirken. Und das alles in einer grenzenlosen Stille, in der man nur hin und wieder einige Vögel zwitschern hört. Am Horizont sehen wird das Ende des Tals, dort wohnt Alis Familie, die wir besuchen wollen.
"Die Beduinenfamilien versuchen ihre Kultur und ihre Werte zu bewahren. Die Eltern geben das an die nachfolgenden Generationen weiter. Das müssen sie tun, damit ihre Lebensgewohnheiten nicht nach und nach verschwinden. Ich wünsche mir für meine Kinder, aber auch für alle Beduinenkinder eine gute Ausbildung, aber ich möchte auch, dass sie unsere Kultur kennenlernen und fortsetzen."
Kultur und Werte bewahren
Und darüber werden wir einiges beim Abstieg in das Wadi Dana erfahren. Wir wandern dabei durch unterschiedliche Klimazonen. Oben im verlassenen Dorf auf über 1.000 Höhenmetern ist es noch mediterran. Je weiter wir nach unten ins Tal kommen, umso steiniger und trockener wird unser Weg.
Ali macht uns unterwegs auf Höhlen aufmerksam, die wie schwarz angemalte Gucklöcher aus den Felsen hervorstechen. Dort haben die Beduinen Feuer gemacht, um das Ungeziefer aus den Höhlen zu vertreiben. Sie werden bis heute immer noch von den Hirten benutzt, um dort zu übernachten, erzählt er. Auch andere Beduinen leben zeitweise hier oben.
"Im Sommer, wenn die Kinder schulfrei haben, kommen einige Familien hier nach oben in die Berge, weil sie hier Land haben und Getreide anbauen. Das wird dann geerntet und deshalb bleiben sie drei Monate. Wenn die Schule wieder anfängt im September gehen sie zurück ins Tal nach Feynan und leben dort mit den anderen enger zusammen."
Auf dem Weg ins Tal kommen wir auch immer wieder an unterschiedlichen Kräutern vorbei, die von Beduinen als Hausmittel gegen Krankheiten genutzt werden. Ali erzählt, dass seine Großmutter 120 Jahre geworden ist und auf die heimischen Kräuter geschworen hat. Da ist sicher ein wenig Beduinengarn dabei, haben wir den Eindruck, denn Beduinen lieben es spektakuläre Geschichten zu erzählen.
Wir laufen durch ein Meer von Meereszwiebeln – das sind über ein bis zwei Meter hoch wachsende Pflanzen mit einem weißen Blütenstängel. Je mehr von ihnen im Spätsommer in die Höhe sprießen, umso besser wird der Winter, erklärt Ali die Beduinen Wettervorhersage. Und der Winter wird für sie gut, wenn es ausreichend regnet.
Unter einem Pistazienbaum machen wir Pause. Die Esel, die uns schreiend begrüßen verspeisen genüsslich die kleinen roten Früchte des Baums, die auf den Boden gefallen sind. Die schmecken ihnen auch besser als die Äpfel, die wir ihnen aus unserem Proviantbeutel anbieten.
Zwei Beduinen warten dort im Schatten auf uns. Es sind Freunde von Ali und sie wollen uns zeigen, wie schnell sie in der Wüste Brot backen können. Wir setzen uns auf die Steine, die um ihr kleines Feuer herum liegen und beobachten sie. Die jungen Männer haben Mehl, Wasser und Salz dabei und mischen daraus einen geschmeidigen Teig – ein großer Plastiksack dient dabei als Knetunterlage. Dann wird das verbrannte Holz aus der Feuerstelle zur Seite geschafft und der Teig als flacher Fladen auf die heiße Erde gelegt und mit glühender Asche bedeckt. Nach 10 – 15 Minuten ist das Brot knusprig gelb gebacken. Unser Beduinenkoch klopft die Asche ab und wir dürfen das warme Brot kosten. Mhm da werden Erinnerungen an Jugendzeiten wach, als wir am Lagerfeuer in der Ferienfreizeit Stockbrot gebacken haben. Es schmeckt ähnlich rustikal und lecker und stärkt uns wunderbar auf unserem holprigen Weg ins Tal.
Plötzlich hören wir Glockengeläut. Ziegen kommen durch das Tal den Berg hochgelaufen. Und dann werden wir Zeugen einer Szene, die auf uns wie aus einem Bilderbuch wirkt: Die Ziegen werden von einem Beduinen gehütet, der auf einem Esel reitet. Er trägt einen dunklen langen Bart und ein helles Käppchen bedeckt die schwarz-braunen Haare. An seiner locker sitzenden hellen Baumwollhose hängt an der Hüfte ein Dolch.
Der Hirte schaut Ali an und bittet ihn um Wasser. Dann steigt er von seinem Esel ab. Die beiden vertiefen sich schnell in ein Gespräch über ihre Familien und dann schaut der Hirte zu uns und fragt, woher wir kommen. Als er hört, dass wir Deutsche sind, grinst er glücklich über sein braun gebranntes Gesicht. Er erzählt Ali, dass er es toll findet, was Frau Merkel mit den syrischen Flüchtlingen in Deutschland macht und hält uns anerkennend den Daumen hoch, steigt wieder auf seinen Esel, reitet weiter und folgt seinen Ziegen.
"Wir nennen den Esel Beduinenferrari. Jeder Beduine hat einen Esel, um Essen und Wasser zu transportieren und natürlich auch, um zu reiten. Wenn er jeden Tag 10 km hoch und 10 runter läuft ist das sehr anstrengend, also reitet er auf dem Esel.
Und Beduinen sind sehr soziale und kontaktfreudige Menschen. Wenn wir uns unterwegs treffen so wie jetzt reden wir natürlich miteinander – nur wenige benutzen Handys. Wir sind hier alle zusammen aufgewachsen und kennen uns sehr gut schon von Kindheit an."
Gastfreundschaft als oberstes Gebot
Rund 400 Beduinen leben im Dana Tal. Auf unserem Weg zu Alis Familie sehen wir immer wieder Decken- und Kleidungsbündel in einigen Bäumen hängen. Das sind Beduinenkleiderständer, könnte man sagen. Wenn die Familien im Sommer in den Bergen bleiben, nutzen sie diese Decken, Planen und Kleider. Im Herbst machen sie sich dann wieder auf ins Tal zum Überwintern in kleinen Häusern oder Zelten. Dort haben sie auch ihre Moschee, in der sie sich zum Gebet treffen und für die Kinder gibt es eine Schule.
"Ich habe eine Tochter. Sie ist drei Jahre alt. Manchmal nimmt sie ihre Mutter mit zur Arbeit und manchmal nehme ich sie auf kleine Wanderungen mit. Und ich wünsche mir, dass sie von den Touristen gut Englisch lernt. Das ist eine gute Chance für sie."
Beduinen müssen flexibel sein und Besuchern einen Einblick in ihre Kultur schenken, meint Ali. Nur so könnten sie das Überleben ihrer Gemeinschaft sichern. Außerdem ist Gastfreundschaft ihr oberstes Gebot. Er selbst hat in Al Karak, einer Stadt in der Nähe des Dana-Reservats Touristik studiert und auch dort gewohnt. Jetzt ist er aber überglücklich, dass er wieder mit seiner Familie in Zelten leben kann. Er will Tradition mit der Moderne verbinden und Gästen die Lebensgewohnheiten und die Rituale der Beduinen erklären.
Alis Familie begrüßt uns herzlich nach unserer mehrstündigen Wanderung. Seine Mutter sitzt unter einer Zeltplane am Boden auf einem Teppich und winkt uns aus der Ferne zu. Sein Vater begrüßt uns mit einem leichten Handschlag und bittet uns ins offen stehende Beduinenwohnzimmer zu gehen: Ausgelegte Teppiche mit Sitzkissen und einem dunklen Zeltdach. Er selbst setzt sich an eine Feuerstelle, wo er alles vorbereitet hat, um für uns frischen Kaffee zu rösten und zu kochen.
Es ist selbstverständlich, dass er als Familienoberhaupt die Zeremonie übernimmt. Er sitzt schweigend und wie verwurzelt im Schneidersitz vor der Feuerstelle. Die Sonne und das Leben haben tiefe Furchen in seinem honigbraunen Gesicht hinterlassen.
Er wirkt tief entspannt, wenn er die grünlichschimmernden Bohnen so lange in der Pfanne über dem Feuer wendet, bis sie allmählich dunkler werden. Der Kaffee kommt aus dem Jemen. Man erkennt die gute Qualität daran, dass er beim Rösten ein bisschen ölig wird, erklärt Ali. Je dunkler er geröstet wird, umso stärker wird der Kaffee. Alis Vater wirkt wie auf geheimnisvolle Weise mit dem Feuer, der Pfanne und den Kaffeebohnen verbunden. Behutsam schwenkt er sie hin und her. Nur ab und zu werden Worte gewechselt mit seinem Sohn oder mit dem Schwiegersohn, der gerade gekommen ist und die Zeremonie beobachtet.
Nachdem die Bohnen braun geröstet wurden, werden sie in einen großen Mörser geschüttet und darin zerstoßen.
Das Klingeln ist eine Einladung für jeden, der gerade vorbei kommt, einen Kaffee mitzutrinken.
Dann gibt Alis Vater die zerkleinerten Bohnen in eine Wasserkanne und kocht die Wasser-Kaffee-Mischung auf dem offenen Feuer. Aus einem hellen Baumwollbeutel nimmt er einige Kapseln grünen Kardamom und lässt die Samen in den Mörser rieseln. Auch sie müssen klein gestoßen werden, bevor sie in den Kaffee gestreut werden können. Noch einmal aufkochen und dann ist der arabische Kaffee servierfertig.
Und dafür gelten feste Regeln, erklärt Ali.
"Der Zeremonienmeister muss die erste Tasse selber trinken, um zu beweisen, dass der Kaffee genießbar ist. Die kleine Tasse umfasst nicht mehr als einen größeren Schluck. Schließlich ist es etwas Besonderes und Kostbares in der Wüste Kaffee zu trinken."
Dann steht der Gastgeber auf und muss von der rechten Seite aus anfangen zu bewirten. Die Kaffeekanne muss in der linken Hand sein und die Tasse in der rechten, erklärt Ali und die Gäste müssen die Tasse mit ihrer rechten Hand entgegennehmen.
Die erste Tasse sollte jeder trinken, um dem Gastgeber nicht vor den Kopf zu stoßen. Und dann:
"Sage auf keinen Fall Dankeschön. Lass die Tasse in deiner Hand hin und her schwanken und sag Daima. Das heißt, ich möchte, dass Du auch noch anderen den Kaffee servieren kannst. Und ich wünsche, dass Gott Deine Gastfreundschaft bewahrt."
"Die zweite Tasse Kaffee wird für das Schwert serviert. Unsere Traditionen sind tausende von Jahren alt. Das Schwert war und ist ein Schutz auf der Reise für sich selbst gegen wilde Tiere, gegen Diebe und zum Jagen unterwegs, damit man etwas zu essen hat. Die Tasse für das Schwert bedeutet also, dass Du auf deiner Reise beschützt bist."
"Heute ist die zweite Tasse für das Handy, weil keiner mehr ein Schwert dabei hat."
Die dritte Tasse ist schließlich einfach für eine gute Stimmung und zur Entspannung. Und wer die vierte Tasse annimmt, macht sich unbeliebt, denn er wird damit zu einem unhöflichen Gast.
Soweit lassen wir es natürlich nicht kommen, sondern brechen langsam auf.
Im Jeep geht es jetzt weiter ins Wadi Rum. Wir wollen uns auf die Spuren von Lawrence von Arabien begeben. Unterwegs kommen wir an der Eisenbahnlinie vorbei, wo die Beduinen angeführt vom britischen Offizier Thomas Edward Lawrence 1917 erfolgreich gegen die Türken kämpften.
Zitat: "Weitläufig, einsam, göttlich"
So beschrieb der Brite die monolithische Felsenlandschaft auf orangefarbenen Sandwüstenboden mit den höchsten Bergen Jordaniens an der Grenze zu Saudi-Arabien sind sie über 1.800 m hoch.
Herzlich willkommen im Tal des Mondes, begrüßt uns ein Beduine.
Wir sind vom Anblick der Formationen aus Granit- und Sandstein sofort in den Bann gezogen. Die orange- rosa Farbschattierungen der Steine und des Sandes wirken auf die meisten schnell verzaubernd und entspannend.
Wir lassen uns von Dromedaren durch den heißen Sand schaukeln – und fühlen nun genau, warum sie auch Wüstenschiffe genannt werden. In einer selbstverständlichen Geduld und Ruhe setzen die Tiere einen Fuß vor den anderen in den Sand, elegant und trittsicher. So dürfen wir in eine unendlich wirkende Leere eintauchen. Hier und da knabbern unsere Wüstengefährten kurz an Büschen, an denen sie vorbei spazieren. Mit ihnen scheint die Zeit still zu stehen und unsere Gedanken können schweifen: Lawrence von Arabien – ja hier muss auch er unterwegs gewesen sein, um seine Leidenschaft für das archaische Beduinenleben neben seinem militärischen Auftrag auszuleben. Auch für uns fühlt sich das europäische zu Hause Lichtjahre entfernt an.
Mahmud und sein Freund Ahmed begrüßen uns in ihren schneeweißen Gewändern auf Arabisch Abaya mit einem Willkommenslied, das normalerweise auf Hochzeiten gesungen wird. Die beiden begleiten uns zum Camp, wo wir mit einem traditionellen Beduinenessen bewirtet werden sollen.
Auf dem Weg dorthin zeigt uns Mahmud ganz nebenbei, wie aus einem einfachen grünen Busch Seife werden kann. Er hockt sich in seiner langen Abaya auf die Erde und zerreibt die kleinen grünen Blätter eines ganz unscheinbar wirkenden Gewächses zwischen zwei Steinen. So entsteht eine milchige seifenähnliche Flüssigkeit. Wir nutzen die Gelegenheit und waschen uns die Hände, bevor wir uns anschauen dürfen, wie unser Essen aus dem Wüstenboden gehoben wird.
Das traditionelle Beduinengericht, das in der Erde gart, heißt Zarb. Dafür wird ein Metallgestell mit mehreren Ebenen von ganz unten mit Holzkohle beheizt und auf den verschiedenen Ablagen werden Fleisch, Gemüse und Reis verteilt. Das Gestell wird dann in ein tiefes Loch gelassen, das in die Wüste gegraben wurde und mit einer Decke und Sand abgedeckt. Dort bleibt es für mehrere Stunden.
Wir schauen neugierig zu und lassen uns von unserem Guide Aiman erklären, wie der Koch nun seine Speisen wieder aus dem Erdloch holt.
"Zuerst muss er diesen Sand wegnehmen und dann gibt es eine eiserne Decke, die muss man auch wegnehmen und dann holt man das Fleisch, das ja so mit Alufolie gemacht wurde, dann ist das gar.
Vor zweieinhalb Stunden hat man das hier in den Boden rein getan, damit das Fleisch gar wird. Er macht das jetzt auf, hier sieht man das Ganze ist abgedeckt und es kommt Hilfe zu ihm natürlich, weil es ist sehr heiß, müssen sie jetzt mit Tüchern anpacken. Jetzt sieht man gleich die Alufolie wird weggenommen. So jetzt sieht man, dieses Fleisch, ja. Tomaten, Kartoffeln, Möhren und Auberginen und dann Fleisch. Reis kommt noch dazu unten, das wird auch durch dieses gegart und durch diese Garung von Fleisch kommt anscheinend das Fett von dem Fleisch zu dem Reis, was ihm einen guten Geschmack gibt und auch von den Kartoffeln und Auberginen und den Möhren. Das wird dann mit den gesamten Gewürzen mit dem Geschmack in den Reis rein gebracht."
Inzwischen ist es dunkel geworden. Unter Sternenhimmel wird uns das dampfende Essen serviert. Nur eine kleine Gaslaterne lässt uns erkennen, was wir gerade auf unsere Gabeln spießen. Das Fleisch ist zart wie Butter und fällt fast von der Gabel, Gemüse und Reis schmecken angenehm würzig vom Saft des Lamms. Schweigend genießen alle die köstliche Beduinenmahlzeit.
Nach dem Essen können wir uns einfach auf unseren Plätzen bequem zurücklehnen, die Gaslaterne wird ausgemacht und jetzt kommen wir in den vollen Sternengenuss. Angenehm gesättigt versinken wir alle in die Sternenbilder der Milchstraße über uns. So deutlich und klar sieht man sie nur selten, wenn man nicht gerade in der Wüste wohnt. Ein besonderes Gefühl stellt sich langsam bei uns ein. Das Gefühl ganz aufgehoben in der Welt zu sein.