Ann-Kathrin führt ihre Kleingruppe tiefer in die Baracke hinein. Muffig riecht es in dem fensterlosen Raum, wo einst die DDR-Grenzer die Pässe der Reisenden kontrollierten. Dokumente, die den Argwohn der Obrigkeit weckten, transportierte damals ein eigens konstruiertes Förderband zur Dienststelle der Stasi. Die Geheimpolizei entschied, wer reindurfte und wer nicht, referiert Ann-Kathrin vom Gymnasium Julianum im niedersächsischen Helmstedt.
"Wir sind die letzte Generation, die wirklich noch Zeitzeugen hat, denen Leute erzählen können: Soundso war das damals – ich war dabei! Das hat die nächste Generation schon nicht mehr."
Müht sich Ann-Kathrin, ein Gespräch unter den noch recht unbeteiligt dreinblickenden Zehntklässlern anzuschieben. Als Lotsin der Gedenkstätte hat sich die Siebzehnjährige besonders gut auf den Projekttag vorbereitet.
"Heute war genau dieses Urlaubswetter, so wie wir eigentlich immer eingereist sind, mein Mann und unsere Familie, mit den drei Kindern, weil wir Ferien hatten, und wollten dann zu den Großeltern fahren. Und als wir dann dies hier betraten, so war es genau wie immer! Und dann diese Beklemmung: 'Hoffentlich sind unsere Pässe in Ordnung!'"
Regina Albrecht, war 1971 in einen umgebauten Benzintank gekrochen, um der DDR zu entfliehen. Auch der Liebe wegen, erzählt sie von ihren Beweggründen. Ihrem Freund aus West-Berlin hatte die damals 18-jährige Briefe geschrieben, die Stasi las mit. Es folgten: Verhaftung und Verhör.
"Und ich fand das so unmöglich: Vor meinen Eltern verstecke ich meine Liebesbriefe. Vor mir liegt jetzt vor dem Vernehmer eine große Akte mit meinen Liebesbriefen, die schmökern da alle rum – und ich weiß Garnichts davon! Und da habe ich gedacht: 'Wie soll denn das dann weitergehen, mit diesem Staat?'"
Die Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt lauschen ergriffen. In dem ehemaligen Grenzkontrollposten erinnert nur noch wenig an das System vor 25 Jahren: Lichtmasten, ein Kommandoturm, die überdachte Baracke, an der gerade gebaut wird. Arbeiter mühen sich mit der Bewahrung des Erinnerungsortes, ein Stück Wellblech baumelt am Kran.
"Für 99 Prozent der Ostdeutschen war das überhaupt gar nicht möglich, rüberzukommen. Das war hier völlig unerreichbares Gelände, so weit entfernt wie der Mond! Und deswegen ist das für uns auch wichtig, diesen Ort auch zu erhalten. Wir hören im Hintergrund die Baugeräusche. Das ist natürlich auch hier nicht für die Ewigkeit gebaut gewesen – was eigentlich ein schönes Signal ist, ein schönes Zeichen!"
Deutsch-deutsche Erfahrungen begreifbar machen: Stephan Dorgerloh, Kultusminister aus Sachsen-Anhalt (SPD) sagt, in den letzten Tagen der DDR habe er den aufrechten Gang gelernt. Und Frauke Heiligenstadt, die Ressortkollegin aus Niedersachsen (SPD), betont, wie wichtig es sei,...
"... Geschichte nicht nur aus Geschichtsbüchern zu lernen, sondern selbst zu erforschen!"
"Dadurch, dass es eben im Schulbuch steht und mit sehr vielen Fakten verbunden ist, ist es wirklich wie jedes andere geschichtliche Ereignis eben. Und da man es eben selbst nicht miterlebt hat, lernt man es halt auswendig."
Sagt Henrik Schöneich aus Braunschweig nüchtern. Die Geschichte der deutschen Teilung ist für die Jugendlichen nur schwer greifbar, egal ob sie aus dem Westen oder aus dem Osten stammen. Arg zugespitztes und verkürztes Faktenwissen trägt nach Ansicht von Dustin Busse von der Europaschule Gommern in Sachsen-Anhalt nicht unbedingt zum gegenseitigen Verständnis bei.
"Weil meistens wird ja nur das Negative dargestellt. Und da guckt man dann eben doch einmal tiefgründiger in die ganze Sache rein. Beispielsweise, wenn es um die Sicherheit im Inland geht, oder um die Rechtsprechung teilweise, ich finde früher ist das einfach gerechter gewesen!"
Gerechtigkeit hat sich die Zeitzeugin Regina Albrecht selbst geschaffen. Oft und gern tritt sie vor Schulklassen auf, um von sich und ihrer Grenzwanderung durch die beiden Deutschlands zu erzählen.