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Geschieden oder mit Migrationshintergrund
Priesternachwuchs wird bunter

Sie waren Filialleiter oder Banker, kommen aus dem Ausland, haben Kinder oder waren verheiratet - und sie wollen katholische Priester werden. Seit einigen Jahren wird die katholische Priesterschaft in Deutschland heterogener. Der Nachwuchs wird aber auch immer älter.

Von Michael Hollenbach | 21.08.2018
    Priesteramtskandidaten ziehen zur Priesterweihe in den Dom von Köln ein
    Im vergangenen Jahr wurden bundesweit 76 Männer zu Priestern geweiht worden; in diesem Jahr sind es nur 61. (imago / Thilo Schmülgen)
    Peter Grunwaldt ist 56 Jahre alt. Seit gut drei Monaten ist er nun katholischer Pfarrer. Er hat seine erste Stelle angetreten in Syke bei Bremen. In seinem ersten Leben war er Bankmanager:
    "Mit dem Beruf war ich sehr glücklich. Die Arbeit hat mir große Freude gemacht." Doch er hat so etwas wie eine Berufung zum Priesterberuf gespürt - allerding nicht in dem Sinn, "dass mir nachts eine Stimme was gesagt hat", erzählt der frühere Protestant, der vor 14 Jahren zum katholischen Glauben konvertierte. Ihm sei es irgendwann wichtig gewesen, ganz und gar ein Mann der Kirche zu sein: "Mein Leben ganz Gott zu weihen, zu widmen. Das Gefühl, zu einer Lebensform berufen zu sein."
    Sein Schlüsselerlebnis hatte er, als er ehrenamtlich Menschen im Altenheim beim Sterben begleitete: "Dann kam eine Dame auf mich zu: 'Peter, jetzt habe ich keine Angst mehr zu sterben, ich weiß, dass Sie da sind.' Das hat mich tief berührt. Da kann ich Menschen etwas geben, womit ich selbst nicht gerechnet hätte."
    "Priesterschaft heterogener"
    Der ehemalige Ausbildungsleiter von Peter Grünwaldt ist der Osnabrücker Regens Tilo Wilhelm. Er beobachtet seit Jahren, dass die Priesterschaft heterogener wird, der Altersdurchschnitt der Berufseinsteiger steigt:
    "Zum einen hängt das damit zusammen, dass die traditionellen kirchlichen Milieus weniger werden und dass es weniger gibt, die damit groß geworden sind, und dann glaube ich, dass viele Lebensentscheidungen später fallen, als das früher war."
    Das gelte beispielsweise für die Hochzeit; das gelte aber auch für eine Entscheidung wie das zölibatäre Leben eines Priesters. Christoph Jacobs, Professor für Pastoralpsychologie in Paderborn, nennt noch weitere Gründe:
    "Es hat sich die Glaubenssituation der Gesellschaft verändert: Wer heute sich zum christlichen Glauben bekennt und ihn praktiziert, wird immer mehr zum Exoten. Heute wird es angesichts einer nicht mehr standardmäßigen christlichen Situation in der Gesellschaft immer mehr zur Mutprobe."
    Die Zeiten, in denen katholische Priester noch als 'Hochwürden' angeredet wurden, hätten sich fast ins Gegenteil verkehrt, meint Jacobs:
    "Der Priester ist heute eher eine der weniger geachteten Personen einer Gesellschaft. Er steht eher am unteren Ende der Kette. Und diejenigen, die sich dafür entscheiden, Priester zu werden, tun es nicht aus der Erwartung heraus, dass sie mal eine besondere Position in der Gesellschaft haben, das wissen die heute genau. Da ist vieles zerbrochen und es ist für viele die Frage: wovon lebe ich denn dann, was meinen Selbstwert stützt? Bekomme ich die Anerkennung: und das ist für viele eines der größten Probleme."
    Nach der Ehe kam das Priesteramt
    Viele der so genannten spätberufenen Priester würden eher eine ganzheitliche Lebensform suchen, sagt der Pastoraltheologe:
    "Das Priestersein hat den Reiz, dass man nicht einen Job macht, sondern man hat einen Lebensentwurf, der 24 Stunden am Tag umfasst. Man ist nie außer Dienst, und das ist etwas, was viele, die im normalen gesellschaftlichen Betrieb unterwegs gewesen sind, am Priester-Sein schätzen."
    So wie Martin Sternhagen. Der 39-jährige hat Germanistik und Geschichte studiert, und war später als Feldpostoffizier tätig. Jetzt studiert er im dritten Semester katholische Theologie in Frankfurt und will Priester werden:
    "Es wäre schön zu sagen, dass es da ein Berufungserlebnis gegeben hätte, aber es war tatsächlich so: Die Partnerschaft ist gescheitert, leider, und dann steht man allein da."
    Nach der gescheiterten Beziehung wollte er sich mit Mitte 30 neu orientieren. Martin Sternhagen war nicht verheiratet; kein Problem fürs Zölibat. Bei Thomas Wirp war das etwas schwieriger. Der dreifache Vater war verheiratet, hat sich dann scheiden lassen. Eigentlich ein Unding für einen Priesteramtskandidaten, aber die Ehe wurde vor einem Kirchengericht annulliert. Der Osnabrücker Regens Tilo Wilhelm:
    "Annullierte Ehe ist der Unterschied zu einer Ehescheidung, dass man sagt: die Ehe ist schon bei der Schließung nicht gültig gewesen, weil sie unter falschen Voraussetzungen geschlossen wurde, so dass rechtlich gesehen das keine geschiedene Ehe ist, sondern die Ehe gar nicht bestanden hat."
    Und so konnte Thomas Wirp zum Priester geweiht werden – seine Tochter hielt im Weihegottesdienst die Lesung.
    Elterliches Gespür
    Die erwachsenen Kinder von Thomas Wirp hatten keine Probleme damit, dass ihr Vater zum katholischen Priester geweiht wurde. Andersherum ist es oft schwieriger. Die Eltern von Martin Sternhagen waren überhaupt nicht begeistert:
    "Es ist für kein Elternpaar leicht, wenn der Sohn sagt, er will Priester werden. Da fehlt vielfach das Verständnis. Bei meinen Eltern waren es Vorbehalte in Richtung amtskirchlicher Strukturen, und eines Kirchenbildes, das die Kirche nicht so sympathisch erscheinen lässt. Da haben die Missbrauchsskandale sehr nachgewirkt."
    Der Hildesheimer Regens Martin Marahrens, also der Ausbildungsleiter von Martin Sternhagen, kennt die Vorbehalte vieler Eltern:
    "Weil es zum Beispiel keine Enkelkinder mehr gibt, darunter leiden viel Eltern. Aber es hat auch damit zu tun, dass es ein Gespür bei Eltern gibt, dass der Dienst als Priester nicht mehr mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden ist, wie das früher der Fall gewesen ist."
    Mut zur Veränderung
    Nicht nur immer mehr ältere Semester entscheiden sich zum Priesterberuf, sondern auch Katholiken mit Migrationshintergrund – wie Robert Knezevic. Er kam mit 16 Jahren mit seiner Mutter aus Bosnien-Herzogowina. Mit 37 Jahren ist er im Erzbistum Köln zum Diakon geweiht worden. Sein kurzärmeliges Hemd gibt den Blick frei auf die vielen Tattoos. Ein ungewöhnlicher Anblick bei einem Priester:
    "Das zeugt aber auch von meiner christlichen Existenz. Ich habe ein Kreuz, Rosen stehen für die Gottes Mutter, Efeu steht für die Unsterblichkeit, an meinem Oberarm habe ich die Auferstehungsszene, wie Jesus die Ketten des Todes sprengt, am Bein habe ich noch das Ave Maria mit Noten."
    Natürlich werde er in den Gemeinden oft auf die Tattoos angesprochen. Er erkläre dann immer, das hänge mit seiner katholisch-kroatischen Tradition zusammen. Auch Godwin Anyanwu wird oft angesprochen: auf seine Hautfarbe. Der 31-jährige stammt aus Nigeria und studiert seit zwei Jahren katholische Theologie. Er möchte im Erzbistum Hamburg Priester werden: "Ich bin richtiger Hamburger."
    Er würde gern etwas von der katholischen Kultur Nigerias nach Deutschland importieren: "Die Gottesdienste sollten lebendiger gemacht werden, lockerer und lebendiger." Die Kirchen in Nigeria seien immer voll: "In meiner Gemeinde gibt es am Sonntag vier Messen, und da kommen viele Leute: singen, tanzen, klatschen. Irgendwie müssen wir das auch in Deutschland machen."
    Priester aus anderen Kontinenten und Priester, die Erfahrungen aus anderen Berufen mitbringen, könnten die Kirchen-Gemeinden der Zukunft verändern. Godwin Anyanwu wird voraussichtlich mit Mitte 30 zum Priester geweiht; Peter Grünwaldt, der sich erst mit 50 entschieden hat, Priester zu werden, beobachtet:
    "In der Wahrnehmung, die mir von Gläubigen gespiegelt wird, signalisieren mir viele, dass es gut ist, wenn da einer ist, der das praktische Leben kennt; der weiß, wie es im Unternehmen zugeht, der diese Welt kennt."
    Priester mit Lebenserfahrung
    Das kann der 37-jährige Robert Kezevic nur bestätigen. Er hat in seinem "ersten Leben" in der metallverarbeitenden Industrie gearbeitet, er war Filialleiter eines Textilgeschäftes und in einer Reinigungsfirma tätig.
    "Es hilft. Ich weiß, wie es ist, drei Monate lang nur Nachtschichten zu machen, ich weiß, wie es ist, in einer unglücklichen Beziehung zu sein, ich weiß, wie es sich anfühlt, nicht die Rechnung für sein Auto zahlen zu können. Man hat viel mehr Verständnis durch die Lebenserfahrung."
    Und das gelte auch für die Entscheidung zum Zölibat.
    "Es gab eine Zeit, wo ich viele Partys gemacht habe, wie alle anderen jungen Menschen gelebt habe. Das heißt, dass ich in Diskos gegangen bin, Feiern gegangen bin, sonntags dann nicht in die Kirche gegangen bin. Ich habe ein Vorleben, ich weiß, worauf ich verzichte, und auf der anderen Seite weiß ich, was ich jetzt mehr bekomme."
    Die Priesterschaft in Deutschland wird insgesamt bunter, heterogener. Allerdings auf einem niedrigen Niveau: Im vergangenen Jahr sind bundesweit gerade einmal 76 Männer zu Priestern geweiht worden; in diesem Jahr sind es sogar nur 61.