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Geschieden zu DDR-Zeiten
Der Kampf der "Mütter ohne Wert"

Die soziale Einheit ist 26 Jahre nach der Wiedervereinigung in großen Teilen erreicht. Aber etwa 300.000 Frauen im Osten Deutschlands leben an oder unter der Armutsgrenze. Weil sie zu DDR-Zeiten geschieden wurden, steht ihnen kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zu. Das wurde im Einigungsvertrag schlicht vergessen.

Von Christoph Richter |
    Betriebsambulanz der Universität Jena, aufgenommen am 10.11.1969
    Viele Frauen haben in der DDR mehr als 40 Jahre gearbeitet, heute aber nur eine Minirente. Eine Gruppe wurde bei der Einigung vergessen. (picture-alliance / dpa / Universität Jena)
    "Diese Lebensläufe sind mir unter die Haut gegangen", erzählt Christina Seidel, Buchautorin. Die zu DDR-Zeiten geschiedenen Frauen nennt sie "Mütter ohne Wert".
    Sie haben als OP-Schwester, Lehrerin, Sekretärin oder Verkäuferin gearbeitet: meist ein ganzes Leben lang, mehr als 40 Jahre. Dennoch bekommen viele von ihnen nur eine Mini-Rente von etwa 400 Euro. Das Problem: Sie wurden zu DDR-Zeiten geschieden. Und anders als bei westdeutschen Frauen steht den ostdeutschen Frauen nach der Scheidung kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zu. Ein Aspekt, der im Einigungsvertrag schlicht vergessen wurde.
    "Und die Männer – deren Familienleistung wir ja zum Teil mitgetragen haben - sind mit voller Rente in die Einheit gegangen." Hanna Kirchner ist eine elegante 77-jährige Frau. Sie sitzt in ihrer kleinen Magdeburger Wohnung in der Nähe der Elbe. "Wir führen keinen Rachefeldzug. Die Männer können ja nichts dafür, dass sie nach der Einheit so begünstigt wurden. Wir führen einen Gerechtigkeitskampf, für uns."
    "Die wählen jetzt Rechtspopulisten"
    An der Ostberliner Humboldt-Universität hat Hanna Kirchner Germanistik studiert, anschließend hat sie als Werbefachfrau, Kindergärtnerin und Lehrerin gearbeitet. Für diese Lebensleistung bekommt sie gerade mal 900 Euro Rente. Zum Leben bleiben ihr zwischen 300 und 400 Euro, erzählt sie. So könne sie ihren Kindern kaum ein Geschenk machen. Theater, Kino oder gar Reisen seien überhaupt nicht drin. Dinge, die für Frauen mit der gleichen Biografie in den alten Bundesländern völlig selbstverständlich sind, so Kirchner weiter.
    Hanna Kirchner geht es aber nicht nur um den Versorgungsausgleich. Ihr geht es auch um die Anerkennung der sogenannten Familienarbeit, gemeint ist damit beispielsweise die Betreuungszeit kranker Familienangehöriger. Anders als in der Bundesrepublik wurde das in der DDR rentenrechtlich als volle Arbeitszeit anerkannt. Vorzüge, die nach dem Mauerfall plötzlich wegfielen, weshalb viele der alleinstehenden Frauen zu Sozialfällen wurden. "Und eine schlimme Konsequenz, das merken wir jetzt an den Anrufen der Betroffenen: Sie wollen zur Pegida gehen" oder die Rechtspopulisten wählen, ergänzt Hanna Kirchner.
    Über 15 Jahren kämpft sie mit ihren Freundinnen im Verein "DDR geschiedener Frauen". Man hat Petitionen geschrieben, Musterprozesse bis zum Bundesverfassungsgericht geführt, ist nach Straßburg vor den Europäischen Menschengerichtshof gezogen, alles ohne Erfolg. 2012 hat der Verein eine Diskriminierungs-Beschwerde bei der UN Menschenrechtskommission – dem sogenannten CEDAW-Ausschuss - in Genf eingereicht. Mit negativem Ausgang. Denn erst jüngst hat man dort entschieden, kein Untersuchungsverfahren gegen Deutschland zu eröffnen. Das schreibt zumindest die sozialdemokratische Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Elke Ferner, in einer Antwort an die Bundestagsfraktion der Linken.
    Weiter hoffen auf die UNO
    Die Berliner Menschenrechtlerin Marion Böker, die die Prozesse der geschiedenen Frauen seit Jahren begleitet, ist empört. Weil die Bundesrepublik offensichtlich eine Antwort von der UNO erhalten hat, während die Klage-Vertreter bis jetzt auf eine Antwort warten. "Wir haben da an die 700 Seiten hingeschickt. Die Frauen haben für die ganzen Expertisen auch viel Geld in die Hand genommen, um zu ihrem Recht zu kommen. Da dürfen wir einen Brief der Ausschussvorsitzenden wohl erwarten", aber, so Böker weiter, solange man keine schriftliche Begründung habe, glaube man weiter an den Erfolg, dass die UNO gegen die Bundesrepublik - wegen der Benachteiligung der in der DDR geschiedenen Frauen - ein Untersuchungsverfahren einleiten werde.
    Ein Ausgleich der Renten-Ungerechtigkeit sei riskant, weil unbezahlbare Kosten auf Länder und Bund zukommen, so CDU-Mitglied Michael Schneider. Er ist der Bevollmächtigte des Landes Sachsen Anhalt beim Bund. "Es nicht einfach, eine Lösung zu finden. Weil wir im Augenblick auch kein Gesetz sehen, dass das schlanker Hand regelt."
    Vorgeschobene Argumente nennt das Marion Böker. Finanzminister Wolfgang Schäuble müsse nur wollen. Bökers Berechnungen zufolge würde den Steuerzahler der Ausgleich insgesamt etwa 35 Milliarden Euro kosten. "Wenn man jetzt andere Pakete sieht, dann ist eine Maßnahme von vielen und würde nicht ins Gewicht fallen."
    Die Regierung wartet auf eine biologische Lösung
    Das Rentennachschläge möglich sind, zeigt der Fall der NVA-Verletztenrente, um die jahrelang gestritten wurde. Seit November 2015 wird sie nun gezahlt und nicht mehr mit der Grundsicherung verrechnet. Für Frauenrechtlerin Marion Böker, der Beweis dafür, dass Renten-Nachzahlungen möglich sind, wenn man nur wolle. "Ich glaube, latent bewertet man den Streit der Frauen, als einen Streit um die Wiederherstellung der DDR oder um DDR-Recht. Also eine Systemfrage, die es hier gar nicht gibt."
    Eine schnelle Lösung des Problems ist aber nicht absehbar. 2020/2021 soll das Rentenüberleitungsschlussgesetz verabschiedet werden. Spätestens dann soll das Thema der geschiedenen DDR-Frauen auf der politischen Agenda stehen. Doch ob sie das noch erlebe, Hanna Kirchner weiß es nicht und ruckelt ungeduldig auf dem Stuhl. "Die Regierung wartet solange, bis die biologische Lösung für alle gilt. Wir waren mal 800.000 Frauen" - jetzt sind es geschätzt noch 300.000 Frauen.
    Doch aufgeben werde man nicht, sagt Hanna Kirchner mit blitzenden Augen.
    2017 will man bei der UNO erneut vorsprechen. Dann wird die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Deutschland erneut unter die Lupe genommen.