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Geschiedene Frauen in Ostdeutschland
"Wir führen keinen Rachefeldzug"

300.000 geschiedene Frauen im Osten Deutschlands leben an oder unter der Armutsgrenze - weil ihnen nach der Scheidung zu DDR-Zeiten kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zusteht. Ein eigens gegründeter Verein geht gegen diese Benachteiligung vor - bislang ohne Erfolg. Jetzt hoffen die Frauen auf den neuen Koalitionsvertrag.

Von Christoph Richter |
    Von oben sind mehrere Menschen auf einer Einkaufsstraße zu sehen, darunter zwei modisch gekleidete, junge Frauen mit Einkaufstüten in der Hand - aufgenommen am 26.05.2017 in Berlin im Stadtteil Steglitz.
    Einkaufsstraße in Berlin. (dpa / Wolfram Steinberg)
    Sie haben zu DDR-Zeiten als Lehrerin, Sekretärin oder Verkäuferin gearbeitet: Meist ein ganzes Leben, mehr als 40 Jahre lang. Dennoch bekommen viele von ihnen nur eine Mini-Rente von etwa 400 Euro. Das Problem: Sie wurden zu DDR-Zeiten geschieden. Und anders als bei westdeutschen Frauen steht ihnen nach der Scheidung zu DDR Zeiten kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zu, Kindererziehungszeiten werden nicht anerkannt. Im Einigungsvertrag wurde West-Recht einfach über Ost-Recht gestellt, sagen Rentenexperten. Weshalb viele dieser Frauen heute in Altersarmut leben.
    "Und die Männer – deren Familienleistung wir ja mitgetragen haben - sind mit voller Rente in die Einheit gegangen."
    "Die Männer können ja nichts dafür"
    Hanna Kirchner ist eine elegante 79-jährige Frau. Sie sitzt in ihrer kleinen Magdeburger Wohnung in Elb-Nähe. Wer sie besucht, dem bietet sie eine Tasse Tee und belgisches Konfekt an.
    "Wir führen keinen Rachefeldzug. Die Männer können ja nichts dafür, dass sie nach der Einheit so begünstigt wurden. Wir führen einen Gerechtigkeitskampf, für uns. Wir wollten von den Männern gar nicht mehr abhängig sein."
    An der Ostberliner Humboldt-Universität hat Hanna Kirchner Germanistik studiert, anschließend hat sie als Werbefachfrau, Kindergärtnerin und Lehrerin gearbeitet. Für diese Lebensleitung bekommt sie gerade mal 900 Euro Rente. Zum Leben bleiben ihr zwischen 300 und 400 Euro, erzählt sie. Theater, Kino oder gar Reisen seien überhaupt nicht drin. Dinge, die für Frauen mit der gleichen Biografie in den alten Bundesländern völlig selbstverständlich sind, so Kirchner weiter.
    "Wir haben Kinder erzogen, die heute die Steuerzahler sind. Und da denken wir schon, dass wir ein Anrecht hätten, davon etwas zu bekommen."
    Hoffen auf die GroKo und den Koalitionsvertrag
    19 Jahre schon kämpft Hanna Kirchner mit ihren Freundinnen im Verein DDR geschiedener Frauen gegen diese Ungerechtigkeit. Man hat Petitionen geschrieben, Musterprozesse bis zum Bundesverfassungsgericht geführt, ist nach Straßburg vor den Europäischen Menschengerichtshof gezogen, bis jetzt alles ohne Erfolg.
    Jetzt hoffen sie auf die GroKo und den Koalitionsvertrag. Denn dort ist erstmals ein Passus aufgenommen worden, der das Unrecht ausgleichen will. Im kryptischen Parteiendeutsch heißt es da auf Seite 93: "Wir wollen schrittweise einen höheren Anteil bei den Erstattungen an die Rentenversicherung für die Ansprüche aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR übernehmen." Zu Deutsch: Ein Härtefallfonds ist im Gespräch.
    Zu erkennen sei ein Umdenken bei CDU und SPD, die sich bisher vehement gegen Hilfen für die geschiedenen DDR-Frauen ausgesprochen haben, so die Berliner Menschenrechtlerin Marion Böker. Auch wenn ihr die Formulierung im Koalitionsvertrag nicht ganz gefällt, denn die Frauen wollen keine Almosen, sondern individuelles Recht, so Böker weiter. Seit Jahren unterstützt sie die zu DDR-Zeiten geschiedenen Frauen, im Kampf um Gerechtigkeit.
    "Man muss auch mal sehen was das heißt. Das sind Frauen, die haben lebenslang 40, 42 Stunden wöchentlich gearbeitet. Und ich habe wegen der Kinder ein bisschen reduziert und man hat mir gesagt, ich hätte keine Nachteile in der Rente. Plötzlich kommt ein anderes Land. Und ich steh da, als hätte ich nie gearbeitet, wäre nur Hausfrau gewesen."
    Zeitfenster bis März 2019
    Bereits 2012 hat der Verein DDR geschiedener Frauen, eine Diskriminierungs-Beschwerde bei der UN-Menschenrechtskommission in Genf eingereicht. Doch dort hieß es, die Verstöße seien nicht schwerwiegend, nicht gravierend, weshalb die Beschwerde abgelehnt wurde. Aber die Frauen haben nicht locker gelassen, weshalb der Frauenrechtsausschuss der Vereinten Nationen die Bundesregierung vergangenes Jahr aufgefordert hat, einen Ausgleichsfonds für die in der DDR geschiedenen Frauen einzurichten. Geschehen muss das bis März 2019.
    Doch ob die Botschaft wirklich angekommen ist, die Frauen haben so ihre Zweifel. Und fürchten, dass auch die neue Bundesregierung Auswege sucht, um für die - während der Einheit willkürlich gestrichenen - Rentenansprüche nicht aufkommen zu müssen, so Böker weiter. Ihren Berechnungen zufolge würde der Ausgleich dem Steuerzahler insgesamt etwa 35 Milliarden Euro kosten.
    "Wenn man jetzt andere Maßnahmen sieht, dann ist das möglich und würde nicht ins Gewicht fallen."
    Aufgeben kommt nicht in Frage
    Denn das Rentennachschläge möglich sind, zeige der Fall der NVA-Verletztenrente, um die jahrelang gestritten wurde. Seit November 2015 wird sie gezahlt und nicht mehr mit der Grundsicherung verrechnet. Für Frauenrechtlerin Marion Böker, der Beweis dafür, dass Renten-Nachzahlungen drin sind, wenn man denn wolle.
    Hanna Kirchner nickt mit dem Kopf. Aufgeben? Das komme überhaupt nicht in Frage sagt die Magdeburgerin mit blitzenden Augen. Und hofft jetzt auf die neue Große Koalition.
    "Unser Motto ist ja, wer kämpft kann noch gewinnen, wer nicht mehr kämpft, hat schon verloren."