Grit Preuße greift sich zwei flauschige Küken aus einem Gehege. Die Frage: Welches ist männlich, welches weiblich:
"Sie sind jetzt noch ein bisschen zu klein, aber man erkennt trotzdem schon deutlich ein bisschen die wirklich langsamere Befiederung bei den Männchen gegenüber den Weibchen."
Hühner bekommen also schneller echte Federn an Schwanz und Flügeln als ihre Brüder. Hahn oder Henne, diese Frage spielt im Alltag von Großbrütereien, die Legehennen-Nachwuchs züchten, eine zentrale Rolle, sagt die Chemikerin an der TU Dresden. Auch in den Brütereien wird die Frage von Hand geklärt, allerdings schon einen Tag nach dem Schlupf. Preuße:
"Dort werden auch die Schwungfedern herangezogen. Das ist ein sehr hochspezialisierter Beruf und dazu braucht man viel Erfahrung, glaube ich."
3000 Küken pro Stunde schaffen diese Experten. Trefferquote: 98 Prozent. Weibliche Küken werden großgezogen zu Legehennen, die männlichen werden getötet. Rund 40 Millionen Legehennen pro Jahr werden in Deutschland gebraucht. Das ergibt rein rechnerisch 40 Millionen männlicher Küken, die kurz nach dem Schlupf schon zu Ausschuss werden. Das soll sich ändern.
Öffnung des Eis per Laser
Ideal wäre, das Geschlecht schon im Ei zu bestimmen, möglichst direkt nach der Befruchtung. Die Frage ist nur wie. Edmund Koch leitet die Dresdener Arbeitsgruppe. Sein Lösungsvorschlag: Spektrometrie:
"Das erste, wir müssen in die Eier reingucken, wir können leider nicht durch die Schale das Geschlecht bestimmen, ist dass wir ein kleines Loch machen müssen. Das machen wir mit einem Laser."
Im Labormassstab werden hier nur vier Eier nebeneinandergesetzt. In Brütereien sollen später 150 Eier in einer Palette parallel durchlaufen.
Gesteuert über eine Lichtschranke werden die Eier in die richtige Position gebracht, so dass ein Laser die Eischale kreisförmig perforieren kann. Koch:
"Jetzt holen wir die wieder aus dem Bereich des Lasers, raus. Die hier sind nicht warm geworden, das ist ganz wichtig."
Grit Preuße: "Dann können wir diesen Deckel an dieser Perforation abheben und haben dann hier diese Öffnung in diesem Ei. Was wir dann sehen, ist hier eine kleine, zarte, schlagende Herzstruktur, und die ersten Blutgefäße um die Herzstruktur ringsrum."
Die Eier sind drei bis dreieinhalb Tage lang bebrütet worden. Aus dem ersten Zellhaufen, der Keimscheibe, ist schon ein kleiner Embryo geworden. Lebendig zwar, aber noch nicht sehr weit entwickelt, wie Grit Preusse erklärt:
"Was es in diesem Entwicklungsstadium noch nicht gibt, ist ein Schmerzempfinden. Das setzt in einem Hühnerembryo erst nach dem siebenten Bebrütungstag ein."
Berührungslose Geschlechtsbestimmung durch Raman-Spektrometer
Ursprünglich wollten die Forscher sofort nach der Befruchtung das Geschlecht im Ei bestimmen, direkt an der Keimscheibe. Doch der Versuch ging schief. Das Geschlecht zu klären, klappte zwar, aber nur aus fünf bis zehn Prozent der untersuchten Eier schlüpften anschließend noch gesunde Küken. Ende 2014 entschied Edmund Koch deshalb, auf die jetzige Methode umzustellen:
"Das geschieht im Moment mit Raman-Spektroskopie , wo man berührungslos die chemische Zusammensetzung von Zellen analysieren kann. Aus der kann man feststellen ob es sich um ein weibliches oder ein männliches Wesen handelt. Der Unterschied ist sehr klein, deswegen muss man sehr genau hingucken."
Ein Raman-Spektrometer misst, wie stark Licht in der Wellenlänge verschoben wird, wenn es auf ein Gewebe oder eine Substanz eingestrahlt und reflektiert wird.
Normalerweise nutzt Edmund Koch die Methode, um während einer Operation schnell und zuverlässig zwischen gesundem Gewebe und Krebszellen zu unterscheiden.
Spätestens Ende 2017 soll ein Prototyp fertig sein
Die Geschlechtsbestimmung am Ei dauert ganze 20 Sekunden. Das Ergebnis ist ein Lichtspektrum, in dem sich gut versteckt Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Zellen finden lassen. Was genau chemisch den Unterschied macht, weiß auch Edmund Koch nicht. Doch dank der richtigen Algorithmen liegt die Treffsicherheit inzwischen bei um die 95 Prozent. Für die Messung muss das geeignete Blutgefäß allerdings immer noch von Hand ausgesucht und im Fokus des Lasers gehalten werden, erklärt Christian Schnabel:
"Manuell funktioniert das immer einwandfrei, weil das menschliche Auge in Kombination mit dem menschlichen Gehirn eben viel mehr leisten kann als jetzt so ein Computer das könnte. Aber wir sind auf einem guten Weg, das wirklich zu automatisieren."
Am Ende, wenn die winzigen Unterschiede im Lichtspektrum verraten haben, ob der Embryo im Ei männlich oder weiblich ist, muss nur noch das Loch im Ei wieder verschlossen werden, führt Koch aus:
"Das ist die allereinfachste Sache. Man glaubt es kaum. Wir geben ein Pflaster drauf und alles ist gut."
Aus neun von zehn so vorsortierten Eiern schlüpfen gesunde Legehennen, das ist nicht ganz aber schon fast so gut wie ganz ohne Eingriff. Auch da sei noch Luft nach oben, sagt Edmund Koch. Spätestens Ende 2017 soll ein Prototyp fertig sein, vollautomatisiert: vorne Eier rein, hinten sortiert wieder raus.