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Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Theater
"Practice what you preach!"

Geschlechterfragen beschäftigen seit #MeToo auch den Theaterbetrieb heftig. Was ist seit damals passiert? Für Nicola Bramkamp, die künstlerische Leiterin von "Save the World", sind sie ein Teil jener Zukunftsfragen, die Künstlerinnen und Künstler kreativ lösen müssen - auf und hinter der Bühne.

Nicola Bramkamp im Gespräch mit Karin Fischer | 07.03.2021
Ein Porträt von Nicola Bramkamp, künstlerische Leiterin von SAVETHEWORLD,
In ihrer Funktion als Schauspielchefin in Bonn hat Nicola Bramkamp planbare Proben und Kinderbetreuung etabliert (Foto: Thilo Beu)
Zwei wichtige Errungenschaften gab es beim Thema Geschlechtergerechtigkeit in den Künsten in den letzten Jahren, so Nicola Bramkamp: Jedes Theater, jede Bühne habe es unabweisbar auf der Agenda, vor allem, nachdem der Mangel von Frauen in Führungspositionen und der eklatante Gender Pay Gap im Theater auch statistisch nachgewiesen wurde. Strukturell betrachtet sei darüber hinaus die Vertrauensstelle Themis eine "ganz tolle Veränderung" gewesen. Das Hilfe-Telefon bietet den Opfern von Machtmissbrauch oder sexueller Gewalt einen Raum, es wurde von Staatsministerin Monika Grütters nach der #MeToo-Bewegung schnell unterstützt und eingerichtet.
Andererseits sind immer noch weniger als 30 Prozent der Führungspositionen im Theater in weiblicher Hand. Nicola Bramkamp glaubt, "dass der Ton auf den Probebühnen sich ein bisschen gewandelt hat, dass auch viele junge Menschen, die Opfer von sexualisierter Gewalt und von Machtmissbrauch werden, den Mut haben aufzustehen. Aber ich glaube, eine Branche, die das so lange Jahre gemacht hat, wo Übergriffigkeit zum guten Ton gehörte, wird sich nicht so schnell verändern. Es gibt immer noch viele, die darunter leiden. Und da ist es einfach wichtig, dass man Solidarität übt, sich untereinander auch den Rücken stärkt, dass man nicht wegguckt, wenn auf der Probe eine Kollegin gemobbt wird."

Mehr Übergriffe durch Corona

Erschreckend sei, dass die Anrufe bei der Vertrauensstelle Themis gerade in der Corona-Zeit massiv zugenommen hätten: "Der Humus für Machtmissbrauch ist jetzt größer, weil die Not auch groß ist: man braucht dringend Jobs, man will unbedingt spielen, die Sichtbarkeit ist kleiner, und das heißt, es gibt mehr Möglichkeiten, in mächtigen Positionen das auch auszunutzen. Corona ist wie ein Brennglas, das auf alle Probleme, auch auf die Transformationsprozesse am Theater ordentlich unangenehm den Scheinwerfer richtet."
Die Teilnehmerinnen der Konferenz "Burning Issues", die für Gleichberechtigung am Theater kämpfen. Im Hintergrund halten sie den Schriftzug "Burning Issues" hoch
Geschlechtergerechtigkeit am Theater - "Krasse neoliberale Strukturen"
Die Konferenz "Burning Issues" in Bonn zu Arbeitsbedingungen für Frauen am Theater. Notwendige Veränderungen: Die Gehälter müssten sich endlich angleichen, Frauen aber auch mit mehr Selbstbewusstsein auftreten.
Der Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit wird das Thema der Zukunft für alle Kulturinstitutionen: "Wir haben nur noch 14 Jahre, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Und da darf man die Kultur nicht ausnehmen." Nach dem Motto "practice what you preach" müsse das, was wir als moralische Anstalt auf der Bühne vertreten natürlich auch hinter den Kulissen praktiziert werden, konkret: "Wir müssen Klimabilanzen erstellen. Wir müssen gucken, dass unsere Bühnenbilder nicht opulent und verschwenderisch sind. Der Festivalzirkus muss sich die Frage stellen: was ist eigentlich angemessen?"

Großbritannien als Vorbild für Nachhaltigkeit in Kulturinstitutionen

Als positives Vorbild führt die künstlerische Leiterin von "Save the World" Großbritannien an, wo der Art Council festgeschrieben hat, dass die Vergabe öffentliche Gelder sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zu orientieren hat. Damit würde das Umweltbewusstsein in den Institutionen geschärft, die auch Transparenz herstellen, Zahlen liefern und Daten etwa zum Materialverbrauch, zu den CO2-Emmissionen oder zu Gender-Aspekten veröffentlichen müssten: "In England hat das zum Beispiel dazu geführt, dass der Energie-Verbrauch im Kultursektor gegenüber 1990 um 23 Prozent gesenkt werden konnte!"
Der große Treiber bei der Klimabilanz an deutschen Bühnen stellen Heizungs- und Belüftungsanlagen dar. Neben den technisch-organisatorischen Abläufen müsse auch die Kunst ihren Beitrag leisten: "Muss es denn in jedem Bühnenbild das günstige Plastikmaterial sein? Müssen wir die Dinge alle wegschmeißen? Kann man nicht auch eine Kreislaufwirtschaft installieren und Teile wiederverwenden? Da gibt es ganz tolle Initiativen, die hamburgische Materialverwaltung zum Beispiel, die einen Fundus aufbaut, wo man Sachen ausleihen und Materialien weiter verwenden kann. Ich glaube, da braucht es tatsächlich ein kreatives Umdenken."
Bramkamp möchte vor allem auch die Künstlerinnen und Künstler begeistern, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen: "Es ist dramaturgisch nicht einfach, eine dystopische Katastrophe zu erzählen. Aber wir können ja am Theater über alles erzählen." Ob über persönliche Geschichten, Identifikation oder Provokation: "Ich glaube, es gibt wirklich eine Milliarde Möglichkeiten, dieses Thema auf die Bühne zu bringen!"
Nicola Bramkamp ist künstlerische Leiterin von Save The World. Globale Zukunftsfragen werden hier mit Akteur*innen aus Kunst, Kultur, Politik und Wissenschaft debattiert und künstlerisch in Szene gesetzt, um innovative Formate der Wissensvermittlung zu schaffen. Mit der vierten Ausgabe dieses Formats gestaltete Nicola Bramkamp die offizielle Eröffnung der 23. Weltklimakonferenz in Bonn. Von 2013 bis 2018 war sie Schauspieldirektorin des Theaters in Bonn.