"Wenn Paare zusammenziehen, da ist nicht mehr von vornherein klar: 'Das ist jetzt dein Bereich - die Küche - und mein Bereich - das Wohnzimmer, wo ich die Füße hochlege.' Kaum jemand vertritt noch explizit Geschlechterrollen, wie wir das mal kannten. Auf einer allgemeinen normativen Ebene hat sich die Idee der Gleichheit weitgehend durchgesetzt."
"Das spiegelt sich ja auch in der Erwerbsbeteiligung von Frauen, fast alle Frauen sind erwerbstätig. Und es ist auch so, dass es kaum noch rein männlich dominierte Berufsfelder gibt. Das Gleiche gilt für eine zunehmende Eroberung von Führungspositionen, auch da haben sich Ungleichheitsstrukturen aufgebrochen."
Das klassische Familienmodell - Mann als Ernährer der Familie und Frau als Hausfrau - ist in Deutschland ein Auslaufmodell. Darüber sind sich die beiden Soziologen Prof. Kai Olaf Maiwald von der Uni Osnabrück und Dr. Sarah Speck vom Frankfurter Institut für Sozialforschung einig. Heute überwiegen Gleichheitsvorstellungen. Und das Leitbild von vielen jungen Paaren ist eine egalitäre Aufteilung von Berufs- Haus- und Familienarbeit. Die Realität sieht allerdings häufig anders aus.
"Wenn man sich die Praxis von heterosexuellen Paaren anguckt und dann auf Arbeitsteilung guckt, insbesondere auch auf die Verteilung von Haus-und Familienarbeit, dann sieht man, dass da doch vieles beim Alten bleibt."
Frauen übernehmen 1,6 mal mehr Hausarbeit
In diversen Projekten und Studien haben Kai Olaf Maiwald und Sarah Speck Ungleichheitsstrukturen in heterosexuellen Paarbeziehungen aufgespürt. Ein besonderes Augenmerk legten die beiden auf die häusliche Arbeitsteilung. Denn auch wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen sukzessive zunimmt - Hausarbeit bleibt eine weibliche Domäne.
Selbst wenn Männer und Frauen Vollzeit beschäftigt sind, übernehmen Frauen noch 1,6 mal mehr Hausarbeit als Männer. Und wenn ein Paar zur Familie wird, so Kai Olaf Maiwald, dann traditionalisieren sich die Geschlechterrollen dauerhaft: "Die Ungleichheit der Arbeitsteilung nimmt deutlich zu nach der Geburt des ersten Kindes. Nach der Geburt des Kindes gibt es eine Retraditionalisierung und die ist auch bleibend."
Gemeinhin erklärt man diese "Retraditionalisierung" damit, dass Frauen in der Regel weniger Geld verdienen als Männer und Männer deshalb stärker mit ihrer Karriere befasst sind. Eine Erklärung, die, so Kai Olaf Maiwald, zu kurz greift. Denn oftmals werde von den Paaren gar nicht darüber verhandelt, wie Berufs- und Hausarbeit und die Sorgeleistungen für das Kind verteilt werden, sondern die Frau übernehme quasi selbstverständlich die Rolle der Berufsaussteigerin.
Zudem heben zwar viele Frauen die Wichtigkeit hervor, Beruf und Familie zu vereinbaren. Doch Fakt ist, dass zwei von drei Frauen, wenn das erste Kind da ist, in einen Teilzeitjob wechseln. Und in dieser Rolle der Hinzuverdienerin verharren die meisten dann dauerhaft. "Bei der Erwerbsarbeit geht es ja nicht nur um das Geld. Wir haben eine Zunahme in den letzten Jahren der subjektiven Bedeutung der Erwerbsarbeit, das wird mit Sinn aufgeladen, Selbstverwirklichung. Eigentlich ein weiterer Grund, warum das Aussteigen aus dem Job ausgehandelt werden müsste.
Geschlechtergleichheit nur im Kopf
Das, was noch normativ festgelegt ist, ist, dass sich Mütter nach der Geburt um die Kinder kümmern müssen, also sie stehen in Begründungslast, wenn sie das Kind zwei Wochen nach der Geburt abgeben. Aber das sagt nicht, wie lange. Und das Rätsel ist, warum ist das so wenig präsent in Paarbeziehungen: Wie lange soll das so sein, wie geht es dann weiter, was machen wir dann?"
Diagnose also: Normativ ist die Geschlechtergleichheit fest in den Köpfen verankert, doch in der Praxis besteht eine "Persistenz geschlechtstypischer Ungleichheitsstrukturen". Anders gesagt: Klassische Geschlechterrollen halten sich hartnäckig! Das zeigen auch Forschungsergebnisse zum Online-Dating, erläutert Sarah Speck:
"Es zeigen sich klassische Attraktivitätsmuster, Frauen suchen tendenziell einen männlichen Partner, der höher gebildet ist, und größer - mindestens einen Kopf - und drei Jahre älter. Das heißt, da zeigt sich sehr stark, wie beharrlich die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit sind, welche Vorstellungen von Überlegenheit, Beschützertum kulturell noch eingeschrieben sind."
Wie wirksam traditionelle Geschlechternormen in modernen Paarbeziehungen noch sind, stellte Sarah Speck auch bei einer Studie fest, die sie gemeinsam mit der Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch durchführte. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten Paare, in denen Frauen die Hauptverdienerinnen sind. Einerseits führe das durchaus dazu, dass Frauen entschieden mitsprechen, wofür Geld ausgegeben wird.
"Das haben wir bei allen Paaren gefunden, so etwa bei traditionellen Paaren: 'Ich verdiene das Geld und deswegen darf ich das auch selbstverständlich bestimmen.' Unterschwellig zeigt sich dann doch ein Machtzugewinn bei Frauen. Und das ist auch bei hochgebildeten Frauen so."
Hausmann gilt als "unmännlich" und "unsexy"
Andererseits aber, gibt Sarah Speck zu bedenken: "Der Machtzugewinn bestimmt nicht über die häusliche Arbeitsteilung, es wird nicht eingesetzt als: 'Und deswegen wirst du jetzt Hausmann!'" Ein Rollentausch findet also nur begrenzt statt. Sowohl in traditionellen Milieus als auch - bis auf einige Ausnahmen - in hochgebildeten Milieus gilt der Hausmann als "unmännlich" und "unsexy".
"Da ist es so, dass die Frauen oft, um einen Statusverlust des Mannes zu verhindern, daran interessiert sind, dass ihr männlicher Partner außerhäusig seiner künstlerischen, kreativen Arbeit nachgeht, sei sie noch so schlecht entlohnt. Sie sind eher bereit, einen großen Teil der Haus- und Familienarbeit trotz ihres Ernährerinnenstatus zu übernehmen, um sozusagen das Bild einer gleichberechtigten Beziehung aufrecht zu erhalten."
Offensichtlich sind Vorstellungen von dem, was männliche und was weibliche Attribute sind, nicht einfach durch rationale oder ökonomisch begründete Überlegungen wegzuargumentieren. Oder, wie Sarah Speck einmal schrieb:
"Die heterosexuelle Ordnung ist … auch in Emotionen und Begehrensstrukturen verankert". Paare, die aus dem traditionellen Schema ausbrechen, führen keineswegs ein harmonisches, emanzipiertes Beziehungsleben.
"Die heterosexuelle Ordnung ist … auch in Emotionen und Begehrensstrukturen verankert". Paare, die aus dem traditionellen Schema ausbrechen, führen keineswegs ein harmonisches, emanzipiertes Beziehungsleben.
"Das sind hochkonfliktive Partnerschaften. Es geht um Statuskonkurrenz, es geht um prekäre Männlichkeit, aber auch für die Partnerinnen ist die Frage: 'Ist mein Mann attraktiv? Entspricht er meinen Vorstellungen von Männlichkeit?' Es sind hochbedrohte Partnerschaften."
Geschlechtstypisches wird als "individuelles Merkmal" verschleiert
In den Hoch-Zeiten des Feminismus, so Sarah Speck, wurden Rollenklischees kritisch analysiert und im Namen einer Gleich-Berechtigung von Männern und Frauen bekämpft. Heute allerdings würden solche Geschlechterdifferenzen nicht mehr als Ungleichheiten beschrieben, sondern individualisiert. Das heißt:
"Was dann passiert, ist, dass die ungleiche Arbeitsteilung nicht mehr dem Geschlecht zugeordnet wird, sondern individualisiert wird, als Ausdruck einer individuellen Charaktereigenschaft gedeutet wird. Dadurch, dass man sagt: 'Naja, wir haben unterschiedliche Sauberkeitsstandards.' Geschlecht scheint oft keine Kategorie mehr zu sein, über die man Strukturen wahrnimmt, sondern sie werden individuellem Verhalten angerechnet."
"Paradoxien der Gleichheit in Eltern-Kind-Beziehungen" heißt das aktuelle von der VW-Stiftung geförderte Forschungsprojekt am Frankfurter Institut für Sozialforschung. In ihm untersuchen Kai Olaf Maiwald und Sarah Speck, was die Ursachen für eine solche von ihnen beobachtete "Individualisierung" von Geschlechterdifferenzen ist.
Und ihre These ist, dass gerade unter der Norm der Gleichheit von Männern und Frauen Geschlechtstypisches als "individuelles Merkmal" verschleiert wird. Kai Olaf Maiwald erläutert die These: "Die Überlegung war, es könnte eine paradoxale Entwicklung geben, dass gerade die starke Orientierung an Gleichheit dazu führt, dass sich Geschlechterunterschiede verstärken."
Alte Rollenbilder nur gut getarnt
Anders gesagt: Da Männer und Frauen ja mittlerweile gleich sind, erscheinen Unterschiede lediglich noch als individuelle Marotten, die es zu akzeptieren gilt. "Also meine Tochter ist nicht Fan von pink, weil sie Mädchen ist, sondern das war so. Wir sind gleich, es gibt da gar keine Unterschiede. Wir haben hier unter der Maßgabe der Herrschaft der Gleichheit einen Rückgang der Wahrnehmung von Ungleichheitsstrukturen."
Ähnliches analysiert auch Sarah Speck: "Es gibt stark geschlechtstypische Muster auch bei den Kindern, dass tatsächlich kleine Mädchen jeden Tag mit dem Prinzessinnenkleid in den Kindergarten laufen, aber Eltern, die, weil sie gleichheitsorientiert sind, das nicht als geschlechtsspezifisch wahrnehmen wollen, sondern als Ausdruck des Soseins ihres Kindes und deshalb auch nicht auf den Gedanken kommen: 'Ich möchte nicht, dass du jeden Tag mit dem Prinzessinnenkleid in den Kindergarten läufst.'"
Ähnliches analysiert auch Sarah Speck: "Es gibt stark geschlechtstypische Muster auch bei den Kindern, dass tatsächlich kleine Mädchen jeden Tag mit dem Prinzessinnenkleid in den Kindergarten laufen, aber Eltern, die, weil sie gleichheitsorientiert sind, das nicht als geschlechtsspezifisch wahrnehmen wollen, sondern als Ausdruck des Soseins ihres Kindes und deshalb auch nicht auf den Gedanken kommen: 'Ich möchte nicht, dass du jeden Tag mit dem Prinzessinnenkleid in den Kindergarten läufst.'"
Frage also: Verbergen sich hinter Zuschreibungen wie "Kurt kann besser Bohr- als Waschmaschine" oder "Ich bin halt pingeliger als Franz-Otto" oder "Marie hat sich schon mit drei gern ein Krönchen aufgesetzt" gut getarnt die alten Rollenbilder? Und zementieren sie damit klammheimlich die alten Herrschaftsverhältnisse? Andererseits: wie repressiv können solche Rollenbilder noch sein in einer Zeit, wo Frauen Männer in vielen Leistungsbereichen schon überholt haben? Und auch noch weiter überholen werden, wie auch Sarah Speck erwartet:
"Es bricht auch etwas auf, allein schon deshalb, weil wir wahnsinnig gut qualifizierte Frauen haben. Da tut sich etwas, wenn auch langsam und auch konflikthaft. Da wird sich auch noch Weiteres tun."