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Geschlechterpräferenzen
Mehr Chancengleichheit führt zu unterschiedlicheren Vorlieben

Je mehr Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern herrscht, umso stärker unterscheiden sich die Präferenzen beider Geschlechter - das ist das Ergebnis einer Studie. Eine Erklärung hierfür sieht Studienautor Armin Falk in dem ökonomischen Entwicklungsstand der jeweiligen Länder, die mehr Diversität ermöglichten.

Armin Falk im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Ein grün leuchtendes Toiletten-Hinweisschild hängt auf dem Messegelände in Frankfurt am Main unter der Decke
    Die unterschiedlichen Vorlieben von Mann und Frau: Sie werden größer mit höherer Chancengleichheit und höherem ökonomischen Entwicklungsstand des Landes. (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Ralf Krauter: Mit zunehmender Gleichstellung wachsen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
    Armin Falk: Das kann man so sagen im Bezug auf die von uns gemessenen sozioökonomischen Präferenzen. Es sind nicht irgendwelche Präferenzen, wie zum Beispiel, mag ich lieber einen Apfel oder eine Birne oder ein rotes oder grünes Auto, sondern es sind in dem Sinne fundamentale Präferenzen, weil sie mit jeder Entscheidung, die Sie da treffen, verbunden sind. Das kann ich, wenn Sie möchten, kurz erläutern.
    Krauter: Machen Sie, gerne, ja.
    Falk: Es ist beispielsweise so, dass, egal was wir tun, jede unserer Handlungen mit Unsicherheit verbunden ist. Und weil es diese fundamentale Unsicherheit gibt, spielen Risikopräferenzen eine Rolle, also unsere Vorliebe dafür, eher riskantere Entscheidungen zu treffen oder eher risikofreiere, sicherere Entscheidung. Das ist etwas, was wir in jeder Entscheidung immer automatisch machen und beispielsweise ganz offensichtlich in finanziellen Entscheidungen, aber auch bei der Berufswahl. Gleichermaßen gilt, dass jede Entscheidung, die wir treffen, Implikationen hat für die Zukunft. Und deshalb spielen Zeitpräferenzen eine wichtige Rolle, also die Frage, ob ich bereit bin, heute auf etwas zu verzichten, um morgen mehr zu haben. Und schließlich sind wir als soziale Wesen permanent in sozialer Interaktion mit anderen Menschen. Und das bedeutet, dass soziale Präferenzen eine wichtige Rolle spielen. Und da haben wir eben die folgenden gemessen: zum einen Vertrauen. Dann haben wir positive oder negative Reziprozität. Da geht es um die Frage, ob ich freundliches Verhalten belohne und unfreundliches Verhalten bestrafe. Und schließlich Altruismus, auch eine wichtige soziale Präferenz, die zum Beispiel erklärt, ob ich in der Freiwilligenarbeit tätig bin, ob ich vielleicht ein offenes Herz habe für Flüchtlinge und mich im Allgemeinen prosozial verhalte. Insofern sind das Präferenzen, die weitreichende Implikationen haben für jede Form eigentlich von Verhalten und damit aber auch für eine ganze Fülle von ökonomischen und sozialen Ergebnissen.
    Krauter: Was ist das Ergebnis, das rausgekommen ist? Wie unterscheiden sich diese eben genannten Präferenzen bei Männern und bei Frauen, vor allem in Abhängigkeit davon, wie gut es um die Gleichstellung von beiden Geschlechtern in einem bestimmten Land bestellt ist?
    Länder-Samples mit etwa 80.000 Personen
    Falk: Wir haben also tatsächlich in 76 Ländern diese Präferenzen gemessen mit Maßen, die wir vorher experimentell validiert haben. Wir können also relativ sicher sein, dass sie eine hohe prognostische Fähigkeit auch aufweisen. Und dann waren es eben 76 repräsentative Länder-Samples mit etwa 80.000 Personen. Und für diese 80.000 Personen haben wir in einem ersten Schritt gezeigt, dass es tatsächlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Zum Beispiel sind für das globale Sample gesprochen – wenn Sie so wollen, ist das der repräsentative Mann und die repräsentative Frau auf dieser Welt – Männer etwas stärker bereit, Risiken einzugehen, als Frauen. Sie sind etwas geduldiger als Frauen. Frauen wiederum sind altruistischer, stärker positiv reziprok und vertrauen auch mehr. Und diese Durchschnittsunterschiede in den Präferenzen, die sind wiederum sehr unterschiedlich zwischen den Ländern. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen meinetwegen in der Risikobereitschaft ist zwar so, dass es im Schnitt auf der ganzen Welt so ist, dass Männer etwas risikobereiter sind als Frauen. Aber es gibt Länder, in denen das sehr stark ausgeprägt ist, es gibt Länder, in denen das überhaupt nicht signifikant verschieden ist voneinander. Und es gibt sogar Länder, in denen Frauen risikobereiter sind als Männer. Und das gilt für alle Präferenzen, wenn man das nach Geschlecht aufsplittet. Und dann hat sich eben die Frage gestellt, wovon hängen denn diese Unterschiede zwischen den Ländern eigentlich ab? Und da haben wir zwei Hypothesen getestet, und wir finden, dass die Unterschiede in den Präferenzen zwischen Männern und Frauen größer sind in Ländern, die reicher sind, also einen höheren ökonomischen Entwicklungsstand haben, und gleichzeitig auch in solchen Ländern, die durch stärkere Gender Equality, also eine durch eine starke Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft gekennzeichnet sind.
    Krauter: Hat Sie das Ergebnis überrascht? Weil intuitiv würde man ja doch erwarten, dass, wenn Männer und Frauen sozusagen weitgehend ähnliche Bedingungen vorfinden, dass die dann auch zu ähnlichen Lebensentwürfen tendieren würden. Aber Ihre Studie kommt da genau zum gegenteiligen Befund.
    "Materielle Einschränkung ist auch eine Einschränkung für die Ausprägung individueller Vielfalt"
    Falk: Das stimmt, die kommt genau zum gegenteiligen Befund, und das ist insofern überraschend, weil man vielleicht intuitiv vermuten könnte, wenn Verhältnisse gleichberechtigter werden, dann werden auch die Persönlichkeitseigenschaften ähnlicher. Es macht aber durchaus Sinn, sich noch mal zu fragen, was eigentlich bedeutender ist – dass es Geschlechtergleichberechtigung gibt, Gender Equality, oder dass es mehr Ressourcen gibt, also dass ein Land oder eine Region reicher ist. Damit sind nämlich insbesondere auch Möglichkeit verbunden, einer individuellen Vorliebe wie beispielsweise einer Präferenz oder einer Wertvorstellung überhaupt Ausdruck zu verleihen. Wenn ich also zum Beispiel in einer Gesellschaft lebe, die ganz arm ist, dann fehlen mir schlichtweg die Ressourcen, um eine individuelle Wunschvorstellung überhaupt zu realisieren. Wenn ich mich sehr weiblich oder sehr männlich kleiden möchte, oder wenn ich Hobbys oder bestimmte Lebensweisen auch tatsächlich ausleben möchte, dann brauche ich dafür ökonomische Voraussetzungen. Ich brauche die Zeit, ich brauche das Geld, um das überhaupt auszuleben. Das heißt, materielle Einschränkung ist auch eine Einschränkung für die Ausprägung individueller Vielfalt. Und insofern ist es nicht überraschend, dass reichere Länder eben auch mehr Vielfalt, was Präferenzen angeht, kennzeichnet. Und für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, die ja in der Regel eine Geschichte ist, dass Frauen mehr Rechte bekommen, sind es insbesondere politische, soziale oder auch psychologische Ressourcen, die relevant sind, damit eine Frau sich stärker auch entsprechend ihrer eigenen Vorstellungen entwickeln und entfalten kann. Dafür brauche ich Akzeptanz in der Gesellschaft, dafür muss es möglich sein, unterschiedliche Lebensentwürfe tatsächlich auch zu realisieren. Insofern macht es dann auf den zweiten Blick wieder Sinn, dass in Gesellschaften, die zum einen die materiellen Ressourcen zur Verfügung stellen und zum anderen die kulturellen Voraussetzungen schaffen, dass die dann tatsächlich gekennzeichnet sind durch eine größere Diversität und damit mit größeren Unterschieden zwischen Männern und Frauen, was Präferenzen angeht.
    Krauter: Wir halten also fest: Wenn Frauen die Möglichkeiten und Freiheiten zur Entscheidung haben, präferieren sie offenbar tendenziell andere Dinge als Männer. Welche Folgerungen lassen sich denn aus Ihrer Studie ziehen?
    Falk: Wenn man sich beispielsweise die Präferenz gegenüber der Zeit, also Geduld kann man das auch nennen, anschauen, da finden wir, dass es einen ganz starken Zusammenhang gibt dazwischen, wie geduldig ein Mensch, eine Region oder ein Land ist, und dem jeweiligen Einkommen dieser Person, der Region oder dieses Landes. Das heißt, man kann fast universell sagen, dass es im Prinzip gut ist, etwas mehr Geduld zu haben, weil es eben mit Einkommen verbunden ist. Der Grund dafür ist ganz einfach: Geduldige Menschen investieren mehr in Human- und physisches Kapital, also zum Beispiel Bildung. Wir finden, dass in Ländern, die reicher sind, die geduldiger sind, erheblich viel mehr in Bildung investiert wird. Und infolgedessen sind sie dann nachher auch reicher. Und da kann man sich dann schon die Frage stellen, wenn die Ausstattung eines Landes, was Geduldspräferenzen angeht, eher so ist, dass man eher ungeduldig ist, dann könnte man sagen, würde es sich lohnen, über Strategien nachzudenken, wie man das Verhalten zumindest geduldiger machen kann. Man kann denken zum Beispiel an die Subventionierung von Altersvorsorge. Oder nehmen Sie die Schulpflicht. Das ist ja eine Antwort von Gesellschaften darauf, dass Kinder natürlich ungeduldig sind und natürlich niemals 13 oder 12 Jahre in die Schule gehen würden. Deswegen hat man ja genau gesagt, weil eure Geduld das gar nicht hergibt, zwingen wir euch jetzt in die Schule. Und das ist wahrscheinlich auch gut für die Kinder und auch die Gesellschaft nachher. Das heißt, man ist hier nicht ausgeliefert, nur weil vielleicht die Präferenzen in einem bestimmten Sinne nicht ideal sind. Aber ohne dass man die Präferenzen ändert, kann man natürlich das Verhalten von außen über Institutionen und Anreize und so weiter auf eine Art bestimmen, die dann zu günstigeren Ergebnissen führt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.