Archiv

Geschlechterspezifische Erinnerungen
Mäuse speichern Informationen unterschiedlich

Von Anneke Meyer |
    Frauen sind im Labor nicht gerne gesehen. Ob Mensch oder Maus, wenn es um die Auswahl von Versuchskaninchen geht, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lieber mit Männchen. Grund dafür ist der weibliche Zyklus. Die ständige Veränderung des Hormonspiegels ist ein unkontrollierbarer Einfluss, den Forscher lieber von vornherein ausschließen.
    "So haben wir das auch angefangen, und haben wir uns dann eben diese CaM-Kinasen angeschaut und deren Funktion für Lernen und Gedächtnis."
    Die CaM-Kinasen, für die Peter Giese und sein Team vom Kings College in London sich interessieren, sind eine Gruppe von Proteinen. Sie sorgen dafür, dass neu Gelerntes auch im Langzeitgedächtnis gespeichert werden kann. Mithilfe von genetisch manipulierten Mäusen, denen eine bestimmte Kinase fehlte, wollten die Gedächtnisforscher eigentlich die zugrunde liegenden Mechanismen untersuchen. Aus rein pragmatischen Gründen testeten sie dabei auch Weibchen.
    "Da haben wir dann erstaunlicherweise beobachtet, dass die Männchen beeinträchtigt waren, aber eben nicht die Weibchen."
    Je nachdem, welche Kinase ihnen fehlte, konnten die Männchen sich nicht mehr an bestimmte Situationen oder Orte erinnern. Die Weibchen, so die Schlussfolgerung, benutzen für diese Art von Gedächtnis einen alternativen molekularen Signalweg.
    Andere Mutationen beeinflussten das Erinnerungsvermögen beider Geschlechter auf gleiche Weise. Genaue Verhaltenstests förderten aber Unterschiede in ihrem emotionalen Verhalten zutage:
    "Wir haben dann gefunden, dass die männlichen Mutanten kein Spaß am Schokolade konsumieren haben, wohingegen die Weibchen das doch haben. Und wenn man das ausweitet, bedeutet dass, selbst wenn es im Lernen und Gedächtnis vielleicht keine sex-differences gibt, dann gibt es in anderem Verhalten, das aber auch psychiatrisch relevant ist, vielleicht doch eine sex-spezifische Funktion von diesen Molekülen."
    Geschlechtsspezifische Mechanismen dieser Art könnten erklären, warum so viele Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedlich verlaufen. Gerade deshalb sollte ihnen in der medizinischen Forschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, meint Richard Brown von der Dalhousie University in Kanada.
    "Geschlechtsunterschiede spielen spätestens dann eine Rolle, wenn es darum geht, Medikamente zu entwickeln. Hat dasselbe Mittel die gleiche Wirkung auf Männchen und Weibchen? Das ist sehr wichtig, sobald Ergebnisse von der Maus auf den Menschen übertragen werden sollen."
    Der Psychologe untersucht die Ursachen einer Krankheit, bei der oft übersehen wird, dass es Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt: Alzheimer.
    Das schleichende Vergessen ereilt in den USA jede sechste Frau über 65, aber nur jeden elften Mann. Betroffene Frauen sind oft in sich gekehrt oder verzweifelt. Männer hingegen werden meist aggressiv.
    Inspiriert durch die Ergebnisse aus Peter Gieses Labor beschloss Richard Brown, alle seine Daten noch einmal gezielt auf Geschlechterunterschiede zu analysieren. Über 200 Experimente alleine mit einer der vier genetisch veränderten Mauslinien, die in seinem Labor als Alzheimer Modell verwendet werden.
    "Wir haben nicht so viele geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden, wie wir erwartet hatten, aber eines war doch sehr aufregend: die Männchen starben immer sehr viel früher. Der Grund dafür ist wahrscheinlich ein Problem mit dem Immunsystem."
    Auch Patientenstudien rücken den Zusammenhang zwischen Hirn und Immunsystem immer mehr in den Fokus der Alzheimerforschung. Die von Richard Brown untersuchten Mäuse könnten dabei helfen, die Wechselbeziehung geschlechtsspezifisch unter die Lupe zu nehmen.
    Peter Giese hält diesen Ansatz für einen Schritt in die richtige Richtung, auch wenn andere Forscher ihn kritisch sehen.
    "Ich kenne Kollegen, die haben mir gesagt, dass es politisch nicht korrekt sei, dass man an solchen sex-differences arbeitet. Das muss doch alles gleich sein und man darf da nicht diskriminieren. Naja, aber wenn die Biologie eben anders ist, dann muss man das eben kennenlernen und entsprechend auch handeln, wenn es um die Medizin geht."