Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Renate Künast, sagte im Deutschlandfunk, es sei ein Unding, wenn die deutsche Autoindustrie nun von ärgerlichen Unterschieden zwischen Labor- und Straßenwerten spreche. Vielmehr führe diese die Kunden mit Tricks bewusst an der Nase herum. Die Grünen-Politikerin betonte, die Verbraucher müssten sich auf die Angaben verlassen können. Schließlich beeinflussten diese auch die Kaufentscheidung.
Künast betonte, im aktuellen Fall habe nicht einer allein versagt. Es handle sich um eine jahrelange Kumpanei von Politik und Automobilindustrie. Sie forderte daher die Einrichtung einer europäischen Behörde und schärfere Regelungen. Nötig sei die Rückkehr zu Straßenmessungen und eine vollständige Offenlegung der Motoren-Software.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Dass die Autohersteller es beim Ausstoß von Schadstoffen nicht ganz so genau nehmen, das ist spätestens seit dem VW-Abgasskandal bekannt. Aber noch nie war der Unterschied zwischen den Herstellerangaben und der Realität so groß wie jetzt. Das haben wieder einmal Wissenschaftler des internationalen Forschungsverbundes ICCT herausgefunden, die auch den VW-Skandal aufdeckten. Sie belegen einen viel höheren CO2-Ausstoß in der Praxis als im Katalog und mit dem steigt auch der Spritverbrauch entsprechend um mehr als 40 Prozent. Keine Kleinigkeit also; die Kosten dafür in Europa - so haben es die Forscher berechnet -, sie belaufen sich auf fast eine halbe Milliarde Euro.
Darüber sprechen möchte ich mit Renate Künast von den Grünen. Sie ist im Bundestag Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Künast.
Renate Künast: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Die Tricks für die Angaben im Katalog, die sind allenfalls am Rande der Legalität, aber nicht illegal. Ist den Herstellern also nichts vorzuwerfen?
Künast: Ja, aber daran erkennt man mal, wem sonst was vorzuwerfen ist. Es ist so, dass Politik lange Jahre eine sehr unglücksvolle Kumpanei mit der Automobilindustrie gemacht hat. Erinnern wir uns mal an 2008, da gab es ja schon große Auseinandersetzungen, als endlich mal EU-weit verbindliche CO2-Regeln geschaffen wurden nach viel Lobby-Arbeit, und am Ende stellten wir fest, dass es zwar so aussah, als würden offiziell die Werte sinken, aber man hat sich mal wieder Tricks erarbeitet, die einfach dazu führen, dass der Staat und die Bürgerinnen und Bürger und die Kunden an der Nase herumgeführt werden. Man nehme nur das Beispiel, dass diese gute alte Endrohrprüfung nicht mehr durchgeführt wird, sondern man die Daten nimmt, die Motoren-Software anbietet, aber ohne, dass die Motoren-Software selber uns in ihrer Struktur vollständig offengelegt wird und man irgendwie feststellen könnte im digitalen Zeitalter, ob man da betuppt wird. Ein ungeheuerliches Stück von systematischer Lüge und hinter die Fichte führen.
Kaess: Sie sprechen das Jahr 2008 an, Frau Künast. Das ist auch nach der rot-grünen Regierungskoalition. Erst dann hat es verbindliche CO2-Werte gegeben. Warum haben Sie dann so lange zugeschaut?
Künast: Wir haben an vielen Stellen versucht, was wir brauchten. Ich hatte ja gesagt, das ist eine europäische Einigung. Wir brauchten ja Vorlagen, auch das muss vorher erkämpft werden, die auf europäischer Ebene mit dem Initiativrecht der Europäischen Kommission vorgelegt und verhandelt werden. Das kannst du national nicht alleine vom Tisch brechen.
Kaess: Aber man kann national Druck machen.
Künast: Ja natürlich, und das haben wir getan. Wer wenn nicht die Grünen haben darauf hingewiesen, schon viele Jahre, auch vor 2008, genauso wie Umweltverbände in diesem Land, dass die Werte, die angegeben werden offiziell in den Broschüren, nie mit dem wirklichen Leben und dem Fahren tatsächlich übereinstimmen. Und wir haben an dieser Stelle immer schon gesagt, es müssen andere Werte her, viel, viel niedrigere, und auch anders kontrolliert werden.
"Es ist Verbraucherbetrug, was da stattfindet"
Kaess: Wer hat denn jetzt im aktuellen Fall versagt, das Kraftfahrtbundesamt?
Künast: Es ist gar nicht einer alleine an der Stelle. Das Kraftfahrtbundesamt ist eine Behörde, die seit vielen, vielen Jahren Teil dieser Gesamtkumpanei ist. Nein! Denken Sie allein mal an 2008 zurück. Merkel Kanzlerin, der Umweltminister hieß Gabriel, und wir erinnern uns, dass er ständig nach Brüssel fuhr an der Stelle und für höhere Abgaswerte überhaupt kämpfte und für laschere Regelungen an der Stelle. Und das Kraftfahrtbundesamt war wirklich nur noch Teil von alledem.
Was wir wirklich brauchen ist, dass wir eine anders aufgestellte Behörde mit anderen Rechten haben. Wir brauchen auch eine europäische Behörde, die sich diesem Thema endlich annimmt. Warum?
Weil es Verbraucherbetrug ist, was da stattfindet, und weil es ja das Gegenteil von Klimaschutz ist. Wir haben uns jetzt endlich mal feste Sektorenziele genommen, was wir bis 2050 erreichen müssen, und da reicht es nicht aus, dass der Verband der Deutschen Automobilhersteller in Gestalt des unglückseligen Herrn Wissmann nur baldige Besserung in Aussicht stellt und es gäbe jetzt im Augenblick ärgerliche Unterschiede. Es ist nicht einfach nur ärgerlich; es ist seitens der Automobilindustrie Absicht an der Stelle. Heißt jetzt: Schärfere Regeln. Die Werte müssen sowieso weiter runter.
Auch eine Endrohrprüfung, neue Regeln dafür, wie getestet wird, nämlich im wirklichen Leben und nicht nur im Labor. Und die Motoren-Software muss komplett offengestellt werden. Heute geht der Autotest samt Test der Motoren-Software.
"Der Verbraucher muss sich auf die angegebenen Werte verlassen können"
Kaess: Frau Künast, Sie sprechen von Kumpanei und von Verbraucherbetrug. Der Automobilverband VDA, den Sie gerade angesprochen haben, der hat sich gestern auch gewehrt und hat gesagt, die Prospektangaben haben gar nicht Sinn und Zweck, die Realität abzubilden. Das seien nur Vergleichswerte. Haben wir Verbraucher da vielleicht einfach was falsch verstanden?
Künast: Ich glaube langsam, dass es Herrn Wissmann so gehen sollte wie seinem Vorgänger 2007. Der hat nämlich auch so viel Unsinn erzählt und war dann irgendwann über Nacht weg und wurde durch jemand anders abgelöst.
Ich meine, das ist doch absoluter Wahnsinn oder so. Könnten Sie sich vorstellen, wenn Sie Hühnereier kaufen erzählt Ihnen jemand eine Geschichte, dass die den ganzen Tag an der frischen Luft herumlaufen und Ähnliches und was sie so fressen, und wenn das nachher gar nicht stimmt sagt man Ihnen, das war auch gar nicht der Sinn, es war nur mal so dahergeplappert. Das ist doch Unsinn.
Es werden Werte angegeben und auf die muss sich der Verbraucher auch verlassen können, weil es mit Bestandteil seiner Berechnung ist, ob er sich ein bestimmtes Auto leisten kann. Dazu muss er die meinetwegen 400, 500 Euro mehr, die er im Jahr an Sprit ausgibt, irgendwie mit einrechnen, zumindest Otto Normalverbraucher und wenn man nicht so viel verdient, wie der VDA-Präsident offensichtlich verdient, um auf solche Ideen zu kommen. Aber auch dieses Argument ist ja eine Frechheit, jetzt mit uns juristisch zu filibustern. Selbst die Dinge, die angeblich nach Herrn Wissmann nicht verbindlich sind, sind ja auch gelogen. Davon will er ablenken. Jetzt fängt er an, mit uns über das ist ärgerlich zu reden oder das sollte rechtlich nicht so bindend sein.
"Was draufsteht, muss auch drin sein"
Kaess: Frau Künast, Fakt ist aber auch, dass der Trend zu großen, Sprit verbrauchenden Autos nach wie vor geht. Nimmt der Verbraucher auch zu einem gewissen Teil in Kauf, dass er einfach einen hohen Spritverbrauch hat?
Künast: Ja, ich wunder mich auch, wer so mit dem SUV mitten durch Innenstädte fährt, also mit einem Auto, das so aussieht, als müsste man gleich zu seinem eigenen Trecker oder Mähdrescher fahren. Auch da liegt natürlich ein Punkt drin, dass Werbung immer so gemacht wird, damit es größer und schöner ist und die Kunden darauf einsteigen.
Das ändert aber an einem nichts, ja: Das was an Recht gilt, muss so gefasst sein, dass nicht es eine Bedienung ist für Automobilhersteller und Lücken hat, bei denen man Tricks haben kann. Es muss so sein, dass die Information eine faire ist.
Jetzt können wir nicht dem Verbraucher sagen, Du hast so viele SUVs oder dicke Autos gekauft. Es ändert nichts, egal ob Sie ein Ei kaufen, eine Waschmaschine oder ein Auto. Was draufsteht muss auch drin sein. Was die Hersteller für Angaben machen, muss mit dem wirklichen Leben übereinstimmen.
Ganz unabhängig davon ist natürlich eines klar: Wir brauchen mehr öffentlichen Verkehr, gut funktionierenden öffentlichen Verkehr, und wir Verbraucher brauchen ein Bewusstsein dafür, dass der Mensch nicht mehr wert ist, wenn das Auto dicker und potenter aussieht, sondern einfach von A nach B fährt.
Kaess: Renate Künast von den Grünen. Sie ist im Bundestag Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
Künast: Ich danke auch, Frau Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.