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Gesellschaft der Intensivmediziner
Janssens: 9.000 Pflegekräfte haben ihren Beruf aufgegeben

Das Personal auf den Intensivstationen werde wegen des Anstiegs der Infektionszahlen vermutlich erneut überlastet werden, sagte Uwe Janssens von der Intensivmedizingesellschaft DIVI. Dass die vulnerabelsten Gruppen geimpft sind, helfe zwar, doch wegen der Mutante erkrankten auch jüngere Menschen schwer.

Uwe Janssens im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Ein Mitarbeiter richtet bei einer an Covid-19 erkrankten Patientin in einem Zimmer des besonders geschützten Teils der Intensivstation des Universitätsklinikums Greifswald die Beatmungsmaske.
Die Widerstandsfähigkeit des Personals auf den Intensivstationen dürfe jetzt nicht unendlich auf die Probe gestellt werden, sagte Uwe Janssens im Interview (picture alliance/dpa/Jens Büttner)
13.435 neue Corona-Infektionen hat das Robert-Koch-Institut am Mittwoch, 17. März, gemeldet. Die Zahlen steigen wieder und das werde mit zeitlicher Verzögerung auch die Belastung der Intensivstationen erhöhen, sagte Uwe Janssens, Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI, im Deutschlandfunk. Es sei gut, dass die vulnerabelsten Gruppen in den Altenheim inzwischen geimpft seien. Doch die Corona-Mutation B.1.1.7 führe leider zu schwereren Krankheitsverläufen auch bei jüngeren Menschen. Wie sich diese gegenläufigen Effekte auf die Belastung der Intensivstationen auswirken werden, sei nicht klar, sagte Janssens.

Belastung des Personals zu hoch

Die Belastung des Personals auf den Intensivstationen sei ohnehin aber auch jetzt schon zu hoch, sagte Janssens. Die DIVI habe vor der vergangenen Beschlussrunde deutlich kommuniziert, dass sie sich die Fortsetzung des Lockdowns bis Ende März gewünscht hätte. Der aktuelle Anstieg der Fallzahlen sei erwartbar gewesen. Er blicke mit Sorgenfalten auf diese Entwicklung, sagte Janssens: "Die Widerstandsfähigkeit, der Menschen, die auf Intensivstationen arbeiten, darf jetzt nicht unendlich auf die Probe gestellt werden." 9.000 Pflegekräfte hätten dem Gesundheitssystem bereits den Rücken gekehrt.
Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Intensivmedizin sich nicht nur um Covid-Patienten kümmern müsse, Hinweise auf die Zahlen freier Betten griffen daher auch zu kurz: "Wir haben akute Notfälle zu versorgen. Da benötigen wir tatsächlich freie Betten", sagte Janssens.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Tobias Armbrüster: Herr Janssens, mit welchem Blick schauen Sie morgens immer auf die aktuellen Zahlen des RKI?
Uwe Janssens: Ja, mit Sorgenfalten. Das ist doch vollkommen klar. Ihr Hauptstadtkorrespondent hat das auch schon gesagt. Wir haben jetzt wieder steigende Zahlen. Aber eins muss man ganz ehrlich sagen: Das ist jetzt nicht unerwartet. Das ist natürlich der britischen Mutante B.1.1.7 geschuldet, die ja deutlich infektiöser ist, aber leider Gottes auch – und das ist noch viel besorgniserregender – schlimmere Krankheitsverläufe verursacht. Das dürfen wir nicht aus dem Blickwinkel verlieren. Steigende Zahlen; Politikerinnen und Politiker müssen jetzt Entscheidungen treffen. Wir Ärztinnen und Ärzte haben uns schon vor ein paar Wochen dazu geäußert und gewarnt, dass das so kommen würde.
Uwe Janssens von der Intensivmedizingesellschaft DGIIN
Uwe Janssens von der Intensivmedizingesellschaft DGIIN (picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Michael Sohn)
Armbrüster: Welche Art von Entscheidung wünschen Sie sich da als Mediziner, als Notfallmediziner, als Intensivmediziner?
Janssens: Wir haben ganz klar darauf hingewiesen vor drei Wochen von der DIVI vor der letzten Beschlussrunde, dass wir eigentlich uns gewünscht hätten, diesen Lockdown bis Ende März weiter so fortzuführen. Das ist nun nicht so gekommen. Jetzt müssen die Entscheidungen quasi neu getroffen werden, und das hat Ihr Korrespondent ja auch schon klar gesagt, in welche Richtung das laufen wird. Das kann man sich ja jetzt schon an allen zehn Fingern abzählen. Man wird angesichts einer Inzidenz über 100, was man ja als Messlatte angelegt hat, entscheiden müssen, dass man wieder zurückrudern muss, und das weckt natürlich in so einer Lage, immer hin und her, bei allen Betroffenen zusätzliche Unsicherheiten und auch vor allen Dingen – das muss man ganz klar sagen – Unzufriedenheit, die wir ja auch immer wieder auch in der Medizin von der Bevölkerung zurückgespiegelt bekommen.
Das kann ich Ihnen ganz klar sagen. Wir stehen stark in der Kritik, dass wir mahnen und damit letztendlich auch wieder Lockdown-Maßnahmen Vorschub leisten. Aber auf der anderen Seite: Was erwartet man von uns? Sollen wir sagen, es soll so weiterlaufen? Nachher beklagen wir uns dann über sehr hohe Belegungszahlen auf den Intensivstationen nach Ostern. Ich glaube, dann würden wir auch in die Kritik geraten.

"Es wird immer so getan, als hätten wir so viele freie Betten"

Armbrüster: Herr Janssens, genau darüber müssen wir sprechen. Diese ganze Corona-Politik hat ja immer vor allem dieses eine Ziel, die Überlastung der Krankenhäuser, vor allem die Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden, möglichst frühzeitig zu vermeiden. Kann man das sagen, wie es auf den Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern gerade aussieht?
Janssens: Sie kennen die Zahlen. Wir sind auf dem ungefähr gleichen Niveau wie vor einem Jahr, knapp unter 3.000 Covid-19-Patienten.
Armbrüster: Nur um das kurz zu sagen: Es sind relativ niedrige Zahlen? Auf den Intensivstationen ist immer noch eine Menge Platz, eine Menge Luft nach oben?
Janssens: Es wird immer so getan, als hätten wir so viele freie Betten. Natürlich haben wir freie Betten. Wir haben auch schon im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass wir freie Betten haben. Die benötigen wir aber auch, um unserer Aufgabe als Intensivmedizinerinnen und Intensivmediziner gerecht zu werden. Wir haben akute Notfälle zu versorgen. Da benötigen wir tatsächlich freie Betten. Deshalb läuft dieses Argument, Sie haben doch freie Betten und deshalb ist das nicht so problematisch, aus meiner Sicht ins Leere. Wir benötigen auf großen Units freie Betten, damit akute Herzinfarkte, akute Sepsis-Fälle etc. zügig behandelt werden können, denn da können wir uns nicht den Luxus erlauben. Wir können nicht eine Station vollliegen lassen und dann hoffen, dass wir die Patienten verlegt bekommen, wenn wir denn Neuaufnahmen bekommen. Das wird immer aus dem Blickwinkel verloren und wir haben tatsächlich nicht mehr freie Betten jetzt, sondern wir sind ja mit den deutschen Intensivstationen beschäftigt, auch akute oder große Operationen mitzubetreuen, nachzubetreuen, die ja auch aufgeschoben worden sind.
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Das heißt, es werden im Moment keine Däumchen gedreht auf deutschen Intensivstationen. Wir sind nach wie vor auf einem gleich hohen Belastungsniveau. Wenn das jetzt noch steigen würde – und das ist ja immer nur in die Zukunft geblickt –, wenn das jetzt wieder steigt auf Zahlen anteilig 5600, 5700, wie wir das in der Spitze im Januar ja gehabt haben, dann ist das natürlich ein zusätzlicher Druck, und darauf weisen wir seit Wochen hin. Die Pflegekräfte und auch die Ärztinnen und Ärzte auf den Intensivstationen sind schon jetzt in einem Dauermodus der Belastungen und diese Betreuung von Corona-Patienten, Covid-19-Patienten ist eine und bleibt eine große Herausforderung, psychisch wie physisch, und das dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren.
Sie haben gehört, im letzten Jahr 9000 Pflegekräfte, nicht nur in Intensivstationen und Krankenhäusern, haben dem Gesundheitssystem den Rücken gekehrt, und genau das ist das, was wir im Moment nicht brauchen können. Die Resilienz, die Widerstandsfähigkeit der Leute, die dort arbeiten, darf jetzt nicht unendlich auf die Probe gestellt werden.

Janssens: Britische Mutante führt zu schwereren Verläufen

Armbrüster: Was sind denn Ihre Erwartungen, wenn das so weitergeht mit den Zahlen, wie sie sich jetzt aktuell entwickeln? Ab wann könnte es wirklich eng werden?
Janssens: Wir hinken ja auf den deutschen Intensivstationen tatsächlich immer den Entwicklungszahlen hinterher. Wir wissen noch nicht ganz genau, wie sich tatsächlich im Augenblick die Impferfolge auswirken, die ja noch eher überschaubar sind. Die vulnerablen Populationen in den Altenheimen sind geimpft, das ist sehr gut, und da werden wir auch sehen, dass das seine Wirkung zeigt. Das haben die Schotten auch schon zeigen können und auch wissenschaftlich nachweisen können. Wenn wir auf Zahlen kommen, wie das Herr Wieler jetzt angekündigt hat, nach Ostern wieder 30.000 plus, dann werden wir mit einer Verzögerung von zwei Wochen sehen, dass wir dann wieder erhebliche Belastungen bekommen. Das ist so, weil dieser Krankheitsverlauf tatsächlich mit einem gewissen Prozentsatz, drei bis fünf Prozent dieser Patienten müssen nachher leider Gottes auf einer Intensivstation behandelt werden. Dann ist das ein Zahlenspiel und dann kann man sich das genau ausrechnen.
Wir können aber ganz sicher nicht in die Glaskugel gucken. Berücksichtigen Sie bitte auch, dass die britische Mutante – das wissen wir mittlerweile – definitiv schwerere Krankheitsverläufe hervorruft. Die Tatsache, dass jetzt die Älteren tatsächlich zum Teil geschützt sind – viele von denen sind ja noch nicht geimpft, weil jetzt AstraZeneca wegfällt –, das bedeutet ja noch lange nicht, dass jetzt nicht in den unteren Altersgruppen zwischen 50 und 70 aufgrund des schweren Krankheitsverlaufs, den wir zu erwarten haben bei der britischen Mutante, dann doch Patienten auch in diesem Alterssegment schwer erkranken.
Armbrüster: Herr Janssens, dann bitte zum Schluss noch eine kurze Antwort. Was sagen Sie vor dem Hintergrund all dieser Zahlen und Informationen zu der Entscheidung von Jens Spahn, Astrazeneca erst mal aus dem Impfprogramm rauszunehmen?
Janssens: Herr Spahn kann doch gar nicht anders entscheiden. Wenn die Expertinnen und Experten vom Paul-Ehrlich-Institut ihm so eine Botschaft auf den Tisch legen, was soll denn der arme Bundesgesundheitsminister dazu sagen? Von seinen Expertinnen und Experten kriegt er gesagt, Herr Spahn, wir haben ein Problem, und dann kann er nicht anders, und das kann ich auch irgendwie verstehen. Die Frage ist tatsächlich, wie transparent sind wir bisher mit diesen Meldungen umgegangen, wie ordnen wir das im europäischen Raum ein.
Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
Impfstoff ausgesetzt - Karl Lauterbach: "Ich würde mich mit Astrazeneca impfen lassen"
Es sei sehr wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang zwischen dem Impfstoff von Astrazeneca und schwerwiegenden Hirnvenen-Thrombosen bestehe, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Dlf. Lauterbach hätte die Nutzung des Impfstoffs trotzdem nicht pausiert, der Nutzen übersteige weiterhin die Risiken.
Ich blicke ganz gespannt auf die EMA, aber eins kann ich Ihnen sagen: Der AstraZeneca-Impfstoff hat bei der Bevölkerung leider Gottes einen extremen Schaden jetzt erlitten. Unabhängig davon, ob damit weiter geimpft werden wird, bin ich sehr zweifelnd, ob viele Leute sich überhaupt noch damit impfen lassen. Das ist auch ein riesen Problem und an dem Image-Problem müssen wir arbeiten. Das ist schon im Grunde genommen Anfang des Jahres ruiniert worden durch verschiedene Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.