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Gesellschaft in Aufruhr
Der Streit um Indiens Einbürgerungsgesetz

Die Proteste gegen das neue Einbürgerungsgesetz der indischen Regierung sind erst mal verstummt – wegen des Coronavirus. Aber es gibt immer noch viele Gegner des Vorhabens, vor allem Muslime. Die Spannungen zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen im Land wachsen.

Von Bernd Musch-Borowska |
Ein Demonstrant hat sein Gesicht vermummt und bemalt
Indien ist gespalten - die Konfliktlinien offenbaren sich deutlich beim neuen Einbürgerungsgesetz der hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP (picture alliance / Photoshot / Javed Dar)
Seit in ganz Indien eine landesweite Ausgangssperre gilt, um die Ausbreitung des Coronavirus auf dem indischen Subkontinent zu bremsen, sind auch die Proteste gegen das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz verstummt. In Delhi räumte die Polizei die Straßenblockaden der Gegner des Gesetzes. Seit Anfang des Jahres hatten vor allem muslimische Frauen einen ganzen Stadtteil lahmgelegt. Die Demonstrantinnen von Shaheen Bagh waren schon so etwas wie das Aushängeschild des Widerstands gegen die Benachteiligung von Muslimen durch das neue Einbürgerungsrecht.
Selbst in Assam, dem nordöstlichen Bundesstaat, wo der Protest gegen den "Citizenship Amendmend Act" begann, ist es jetzt ruhig. Das Coronavirus hat dazu geführt, dass die Straßen auch in der Provinz wie leergefegt sind. Auch auf den Baustellen im ganzen Land wurde die Arbeit eingestellt. Vor dem "Lockdown", wie die landesweite Ausgangssperre in Indien genannt wird, ging Parubi Begum jeden Tag zu der großen Baustelle neben ihrem Dorf, wo sie als Arbeiterin den Lebensunterhalt für ihre Familie verdient.
Millionen Namen fehlen im Staatsbürgerregister
Parubi Begum ist eine junge Frau aus Golpara, im nordindischen Bundesstaat Assam. Hinter der hohen Mauer, die das riesige Gelände gegen Blicke von außen abschirmt, stehen mehrere Gebäude im Rohbau. Schon bald sollen hier bis zu 3.000 Menschen untergebracht werden: Männer, Frauen und Kinder, die keinen Nachweis erbringen konnten, dass sie oder ihre Vorfahren schon vor 1971 in Assam gelebt haben. 3.000 sind wohl erst der Anfang: Als Ende vergangenen Jahres das neue Staatsbürgerschaftsregister des Bundesstaates veröffentlicht wurde, standen die Namen von zwei Millionen Menschen nicht auf der Liste.
Parlamentsabgeordnete von The All India Trinamool Congress (TMC) protestieren in Neu-Delhi mit Plakaten gegen den Ausschluss von Millionen von Menschen von der Volkszählung für das Bürgerregister im indischen Bundesstaat Assam
Plötzlich illegal
Der indische Bundesstaat Assam hat ein Bürgerregister erstellt. Mehrere Millionen Einwohner fehlen auf dieser Liste - mehrheitlich Muslime. Ihnen könnte jetzt die indische Staatsbürgerschaft entzogen werden, was eine Abschiebung erleichtert.
Auch Parubis Name fehlte. Sie befürchtet deshalb, dass sie hier ihr eigenes Gefängnis baut. Wenn das staatliche Tribunal, das die Beschwerden gegen das Staatsbürgerschaftsregister überprüfen soll, ihre Dokumente nicht anerkennt, dann landet wohl auch sie in diesem "Detention Center", wie die Haftanstalten für die Illegalen in Assam genannt werden.
"Ich habe wirklich Angst, dass ich irgendwann für den Rest meines Lebens in diesem Detention Center lande. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich noch beweisen soll, dass ich von hier stamme. Ich habe denen meine Steuerkarte vorgelegt, meine Meldebestätigung, meine Registrierung als Wählerin, was soll ich denn noch machen?"
Baustelle eines "Detention Center" für illegale Einwanderer in Goalpara im indischen Bundesstaat Assam
Manche hier fürchten, sie bauen an ihrem eigenen Gefängnis - Baustelle eines "Detention Center" für illegale Einwanderer in Goalpara (imago / David Talukdar)
Sie sei längst nicht die einzige in ihrem Dorf, die um ihre Staatsbürgerschaft kämpfen müsse, klagt die Mitte-30-jährige Frau. Es gebe mindestens noch fünf oder sechs andere in der gleichen Situation. Aber sie sei die einzige in ihrer Familie. Ihr Vater sei anerkannt worden, ihr Ehemann auch, sogar ihre Kinder. Nur ihr eigener Name habe nicht auf der Liste gestanden.
"Was ist das denn für ein System, wenn der Name der Kinder auf der Liste steht und der Name der Mutter nicht? Das kann doch nicht wahr sein."
"Tribunale, um möglichst viele zu Illegalen zu erklären"
Solche Fälle seien nicht selten, klagt der Menschenrechtsanwalt Masood Zaman. Oft gebe es nur einen Buchstabendreher in den Namensverzeichnissen, und schon würden die Behördenmitarbeiter die vorgelegten Bescheinigungen nicht anerkennen. Mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Betroffenen.
"Die Tribunale wurden eingerichtet mit dem Ziel, möglichst viele Leute zu Illegalen zu erklären. In den meisten Fällen wurden die Betroffenen nicht mal angehört. Da wurde einfach nach Papierlage entschieden."
Manchmal sei in einer Geburtsurkunde der Name des Vaters falsch geschrieben oder in einem Wählerverzeichnis einer von mehreren Vornamen weggelassen worden. Bei muslimischen Namen hätten die indischen Behörden mitunter nicht berücksichtigt, dass viele Muslime nach ihrer Pilgerreise nach Mekka den Namenszusatz Hadschi verwenden. Auch er selbst könne noch Probleme bekommen, meint Massoud Zaman. Dabei sei er gegenüber den meisten armen und ungebildeten Menschen in der Region klar im Vorteil.
"Ich stamme aus der Oberschicht hier in Assam. Mein Vater ist ein pensionierter Chefingenieur und hat früher bei einer Landesbehörde gearbeitet, und ich bin Rechtsanwalt. Aber selbst wenn ich jetzt meine Staatsangehörigkeit beweisen müsste, wäre das nicht so einfach. Denn es wurden schon Leute wegen kleiner Unstimmigkeiten beim Namen aus der Liste gestrichen. Ich heiße Massoud Zaman. Im Wählerverzeichnis bin ich aber mit Massoud Akhtar Zaman aufgeführt. Mein Vater heißt Abdul Zatar, doch in einigen Dokumenten wird er, seit er in Mekka war, Abdul Hadschi Zatar genannt. Das Tribunal könnte das als Beweis dafür heranziehen, dass ich kein Inder bin."
Probleme treffen auffällig viele Muslime, sagt die Opposition
Hunderttausende leben seit Monaten mit der Angst vor einer Abschiebung oder Internierung. Dabei kommt Abschiebung eigentlich nicht in Betracht. Das Nachbarland Bangladesch sieht es nicht ein, Menschen aus Assam aufzunehmen, nur weil Indien behauptet, deren indische Staatsangehörigkeit sei nicht zu beweisen. Doch die Regierung in Neu-Delhi, unter Führung der hindunationalistischen Partei BJP, betrachtet all jene Leute, deren Abstammung nicht eindeutig geklärt werden kann, generell als illegale Einwanderer aus Bangladesch.
Probleme mit dem Staatsbürgerschaftsnachweis hätten vor allem Angehörige der indigenen Bevölkerung von Assam und auffällig viele Muslime, klagt Aminul Islam, von der "All India United Democratic Front", der größten Oppositionspartei in Assam. Die gesamte Politik der Regierungspartei BJP sei gegen die Muslime in Indien gerichtet, schimpft der energische Oppositionspolitiker.
"Länger als 800 Jahre haben Muslime Indien regiert, und dann kam die Kolonialzeit, da regierten die Briten. Die Hindus wollen sich heute rächen, an den Muslimen und an den Christen."
Schon in den 70er-Jahren gab es bei den Hindus in Assam die Sorge vor einem Anstieg des muslimischen Bevölkerungsanteils. Heute leben im nordöstlichen Zipfel Indiens – nach Kaschmir – die meisten Muslime. Abdul Mannan, ein emeritierter Professor für Statistik an der Universität von Guwahati, der Hauptstadt von Assam, hat die Einwohnerverzeichnisse der letzten Jahrzehnte ausgewertet und die Ergebnisse in seinem Buch mit dem Titel "Infiltration", zu Deutsch "Unterwanderung", veröffentlicht.
"Die muslimische Bevölkerung ist überdurchschnittlich gewachsen. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber aus den offiziellen Unterlagen geht eindeutig hervor, dass dies nicht durch Zuwanderung von außen geschehen ist, sondern durch natürliche Vermehrung. Die Zensus-Unterlagen, die in all den Jahren von der Regierung veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Muslime deutlich mehr Kinder haben als andere Bevölkerungsgruppen."
Stimmung gegen "Einwanderer"
Bei den ursprünglichen Assamesen wächst der Unmut. Sie nehmen das Anwachsen der muslimischen oder nicht-assamesischen Bevölkerungsgruppen wahr und befürchten, zu einer Minderheit in der Region zu werden. Von der Regierung in Delhi fühlen sie sich verraten. Hatte Premierminister Narendra Modi doch im Wahlkampf versprochen, die "Bangladeschis", wie die Muslime hier pauschal bezeichnet werden, nach Hause zu schicken. Im Laufe der vergangenen Monate gab es in Guwahati immer wieder Straßenblockaden und andere Protestaktionen.
"Das ist unser Land. Wir werden durch das Gesetz zu einer Minderheit in unserem eigenen Land. Die einheimische Bevölkerung in Assam macht jetzt schon nur noch 31 Prozent aus. Bald gehört hier alles den Einwanderern."
"Die Einwohner von Tripura sind schon eine Minderheit im eigenen Land, bei den vielen Bangladeschis dort. Das gleiche wird in Assam passieren. Das werden wir niemals akzeptieren, unter keinen Umständen."
In allen Landesteilen, hier in Neu-Delhi, gab es Protest gegen das geplante Staatsbürgerschaftsgesetz
In allen Landesteilen, hier in Neu-Delhi, gab es Protest gegen das geplante Staatsbürgerschaftsgesetz (picture alliance / Photoshot / Javed Dar)
Tripura ist ein kleiner Bundesstaat, direkt an der Grenze zu Bangladesch. Ebenso wie Mizoram, Manipur, Meghalaya und Nagaland gehörte diese Region einst zu Assam. In den 60er-, 70er- und 80er-Jahren wurden aus den strukturschwachen Regionen eigene Bundesstaaten. Die Muslime, die es überall gegeben habe, seien dann nach Assam gezogen, sagt Aminul Islam.
"Einst war das alles ein großes Assam. Doch dann wurden Meghalaya und die anderen Regionen mit der mehrheitlich indigenen Bevölkerung zu eigenen Bundesstaaten. Die Muslime, die dort lebten, hatten Angst, dass angesichts der vielen Privilegien für die indigene Bevölkerung ihre eigenen Rechte nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Und so sind sie nach Assam gekommen. Und gleichzeitig wurden die Assamesen immer weniger, weil die Angehörigen der zahlreichen ethnischen und indigenen Gruppen bei der Volksbefragung angegeben haben, dass sie keine Assamesen seien, sondern zu dieser oder jener Gruppe gehörten, mit ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Kultur."
"Eine Bedrohung für unsere Identität"
Dennoch hält sich bei der Mehrheitsbevölkerung in Assam die weit verbreitete Auffassung, die Muslime seien illegal ins Land gekommen und müssten dementsprechend von dort verschwinden. Deshalb regte sich auch in Assam besonders starker Widerstand gegen das neue Staatsbürgerschaftsgesetz, das die indische Regierungspartei BJP Ende Dezember mit ihrer Mehrheit durchs Parlament gebracht hatte.
Nach dem "Citizenship Amendment Act" sollen Hindus, die in den islamischen Nachbarländern Pakistan, Bangladesch und Afghanistan aus religiösen Gründen verfolgt werden, die indische Staatsbürgerschaft erhalten. Die Assamesen sehen darin einen Bruch mit dem Assam-Accord und befürchten weitere Einwanderungswellen von Hindus aus Bangladesch.
Es sei völlig egal, ob es sich dabei um Muslime oder Hindus handele, so Samujal Bhattacharya, von der "All Assam Students Union", einer Studentenvereinigung, die seit Jahrzehnten gegen die Zuwanderung nach Assam kämpft. "Hindus oder Muslime, das ist hier nicht die Frage. Ein illegaler Einwanderer ist ein illegaler Einwanderer, ob das nun ein Muslim ist oder ein Hindu. Indien gehört den Indern und Assam hier im Nordosten ist ein Teil von Indien. Diese illegalen Bangladeschis sind eine Bedrohung für unsere Identität und unsere Kultur hier im Nordosten."
Bereits im vergangenen Jahr hatten die Gefangenenlager in Assam die Vereinten Nationen auf den Plan gerufen. Der UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi appellierte an die indische Regierung, das Staatsbürgerschaftsrecht noch einmal zu überarbeiten.
"Wir haben unsere Sorge über die Situation der Menschen in Assam zum Ausdruck gebracht, die ihre Staatsangehörigkeit beweisen müssen. Dieser Prozess könnte zur Folge haben, dass ein Teil dieser Menschen am Ende staatenlos wird. Die indische Regierung hat uns aber versichert, dass es ein ordentliches Verfahren gebe, mit dem die Betroffenen, deren Dokumente zunächst abgelehnt wurden, Widerspruch einlegen können. "
Kritik aus ganz Indien und von den UN
Das neue indische Staatsbürgerschaftsrecht hat nicht nur die Assamesen aufgewühlt. In ganz Indien gab es Proteste gegen die Pläne der Regierung, Hindus aus den Nachbarländern bevorzugt einzubürgern. Nach dem Gesetz, das bereits von beiden Häusern des Parlaments verabschiedet wurde, aber noch vom Obersten Gerichtshof überprüft werden muss, sollen Flüchtlinge, die in den islamischen Nachbarländern Pakistan, Bangladesch und Afghanistan aus religiösen Gründen verfolgt werden, die indische Staatsbürgerschaft erhalten. Muslime sind von dem Gesetz explizit ausgenommen, weil ihnen dort ja, so die Argumentation der indischen Regierung, keine Verfolgung aus religiösen Gründen drohe.
Der "Citizenship Amendment Act" verletzte das Gleichheitsprinzip, klagen Kritiker, und verstoße gegen die Verfassung der Republik Indien. Denn dadurch werde die Staatsbürgerschaft auf der Grundlage der Religionszugehörigkeit vergeben und so der säkulare Charakter der Republik Indien aufgelöst. Auch die Vereinten Nationen äußerten Kritik. Das neue indische Staatsbürgerschaftsgesetz sei vom Ansatz her diskriminierend, so der Sprecher der UN-Menschenrechtsorganisation OHCHR, Jeremy Laurence:
"Die Gesetzesänderung sieht die Staatsbürgerschaft für religiöse Minderheiten vor und nennt dabei ausdrücklich Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jains, Parsen und Christen, die in Pakistan, Bangladesch und Afghanistan verfolgt werden. Muslime bekommen ausdrücklich nicht diesen Schutz. Damit wird die Gleichheit vor dem Gesetz verletzt, die in der indischen Verfassung garantiert ist. Und gleichzeitig verstößt das gegen internationale Konventionen für Menschen- und Bürgerrechte sowie die Eliminierung von Rassendiskriminierung, die Indien alle unterzeichnet hat.
US-Präsident Trump schüttelt dem indischen Premierminister Modi die Hand. Ihnen ihnen die Flaggen der beiden Länder. 
US-Präsident Donald Trump auf Staatsbesuch beim indischen Premier Narendra Modi (AP/ Alex Brandon)
Die Proteste gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz eskalierten Mitte Februar, während des Staatsbesuchs von US-Präsident Donald Trump in Delhi. Corona hatte damals den indischen Subkontinent noch nicht erreicht. Hindunationalistische Schlägertrupps hatten die gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz protestierenden Muslime angegriffen. Zuvor hatte ein führender Politiker der hindunationalistischen Regierungspartei BJP die Polizei aufgefordert, die Straßenblockaden der Demonstranten aufzulösen, sonst würde – so wörtlich – das Volk die Sache in die Hand nehmen.
Fassade einer Moschee nach den Ausschreitungen im Februar 2020
Fassade einer Moschee nach den Ausschreitungen im Februar 2020 (picture alliance / IMAGESLIVE / ZUMA Wire / Muzamil Mattoo)
Ausgebrannte Moscheen, zerstörte und geplünderte Geschäfte und Wohnhäuser, mehr als 40 Tote und über 200 Verletzte, das war die Bilanz der schweren Ausschreitungen in der indischen Hauptstadt. Die Angreifer seien mit unglaublicher Brutalität vorgegangen, sagten Ärzte, die in den Krankenhäusern die Verletzten behandelten. Doktor M.A. Anwar, der behandelnde Arzt im Al-Hind-Krankenhaus, das in der Nähe des angegriffenen muslimischen Wohngebietes liegt, erklärt:
"Ich habe das Gefühl, die Menschlichkeit ist heute gestorben. Wenn Menschen auf solche brutale Weise getötet werden, dann hat die Gesellschaft ihre geistige Balance verloren. Ich hätte nie gedacht, dass selbst Rettungswagen daran gehindert werden könnten, zu den Verletzten durchzukommen. Sogar im Krieg wird das doch ermöglicht."
Alte nationalistische Tradition erstarkt
Der Streit um das Staatsbürgerschaftsgesetz hat die Spaltung der indischen Gesellschaft offenbart. Der Konflikt zwischen Hindus und Muslimen, der von den Hardlinern in der hindunationalistischen Regierungspartei BJP seit Jahren immer wieder angeheizt wird, entlud sich bei diesem Thema.
Sangeeta Sharma, eine junge Frau, die unter der Fahne der BJP für die Politik der Regierung agitierte, machte die Muslime für die Gewalt verantwortlich.
"Demonstrieren und die Straßen blockieren – Hindus machen so was nicht. Warum werden immer wir Hindus kritisiert? Das ist unser Land. Ich finde, sie sollten endlich das Wort säkular aus unserer Verfassung streichen. Das hat da nichts zu suchen."
Der Streit um den säkularen Charakter der Republik Indien reicht zurück bis vor die Zeit der Unabhängigkeit vor mehr als 70 Jahren. Bereits in den 1920er-Jahren hat der indische Politiker Vinayak Damodar Savarkar die sogenannte Hindutwa entwickelt, eine hindunationalistische Ideologie, auf die sich heute die Regierungspartei BJP des indischen Premierministers Narendra Modi stützt. Danach werden nur diejenigen als vollwertige Inder angesehen, die Indien als ihr heiliges Vaterland betrachten – father land & holy land.
Muslime und auch Christen können demnach keine Inder sein. Sie werden von den Anhängern der Hindutwa als Fremde angesehen, Nachfahren fremder Eroberer, wie die Moguln, die in Indien vom 16. bis 19. Jahrhundert regierten, und die Briten, deren Kolonialherrschaft anschließend bis zur Unabhängigkeit Indiens und Pakistans im Jahr 1947 dauerte.
In Indien tobt ein Kulturkampf
Führende Politiker der BJP werfen dem ersten Premierminister des unabhängigen Indien, Nawarharlal Nehru, bis heute vor, die Chance für einen reinen Hindu-Staat vergeben zu haben, als er sich, zusammen mit Mahatma Gandhi, bei der Unabhängigkeit für ein pluralistisches Indien einsetzte, in dem alle ethnischen und religiösen Minderheiten auf dem indischen Subkontinent ihren Platz haben sollten.
Seit die BJP an der Macht ist, versuchen die Hardliner der Partei diesen historischen Fehler, wie sie es nennen, zu korrigieren. Die vielen Menschen in Assam, die von einer möglichen Internierung in einem der entstehenden Gefangenenlager bedroht sind, sind so etwas wie Kollateralschäden des Kulturkampfes, der in Indien tobt.