An der Grenze zu Mexiko reißen amerikanische Beamte Familien auseinander, die illegal in die USA einreisen wollen - die Bilder der weinenden Kinder gehen um die Welt. Am Berliner Breitscheidplatz sterben Menschen bei einem Terroranschlag - und es dauert Monate bis die Bundeskanzlerin den Angehörigen kondoliert. Und in Essen bricht ein Mann in einer Bankfiliale zusammen: Anstatt zu helfen, steigen die anderen Kunden über ihn hinweg, als wäre er ein lästiges Hindernis, das ihnen den Weg zum Geldautomaten versperrt. Das sind Beispiele, die die Journalistin und Autorin Melanie Mühl in ihrem jüngsten Buch "Mitfühlen -über eine wichtige Fähigkeit in unruhigen Zeiten" als Belege für ihre These aufführt.
Zwar gebe es auch genügend Beispiele für Empathie und Mitgefühl, sagte Mühl im Dlf-Interview. Gleichzeitig sei es wichtig, die Dinge zu benennen, die schief laufen und sich zu überlegen, was man tun kann, damit es besser wird. Die zunehmende Verrohung der Gesellschaft sei um so erstaunlicher, als es uns eigentlich wirtschaftlich gut gehe. Andererseits gebe es diese diffusen Ängste vor dem sozialen Abstieg, vor der Globalisierung, vor dem Zukurzkommen, die die Menschen alarmistisch machten, was dazu führe, dass sie sich ersten einmal auf sich selbst konzentrieren und alles Fremde als große Bedrohung wahrnehmen würden.
Politiker wie Trump verstärken die Entwicklung
Politiker wie beispielsweise US-Präsident Donald Trump verstärkten die Verrohungs-Entwicklung, indem sie Vorleben, dass man jegliche Grenzen des Anstands und der Moral überschreiten kann. Hinzu komme ein hysterisch aufgeheizter Ton in den sozialen Medien. All das sickere in unseren Alltag, verschiebe die Grenzen das Sagbaren kontinuierlich und beeinflusse unser Verhalten.
Um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, seien nicht nur positive Beispiele und Menschen wichtig, sondern auch eine Veränderung des Handels jedes Einzelnen. Es gelte den Blick zu schärfen und sich zunächst einmal zurückzulehnen, vielleicht auch zu meditieren, bevor man vorschnelle Urteile treffe, schlägt Mühl vor.
"Bei Mitgefühl trifft Herz auf Verstand"
Mitgefühl, bedeute mehr als Empathie, denn es beinhalte neben dem Mitfühlen auch das Handeln. "Bei Mitgefühl trifft Herz auf Verstand, und ich glaube, dass es von diesen beiden Komponenten eigentlich nie genug geben kann und das dies natürlich eine gesamtgesellschaftliche Auswirkung hat", sagte Mühl.
Mitgefühl sei zwar kein Allheilmittel gegen die Probleme unser Gesellschaft und der Welt, das zu glauben wäre "naiv, gefährlich und geradezu dumm". Aber es könne helfen, den Riss in der Gesellschaft ein wenig zu kitten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.