Das Sinus-Institut in Berlin betreibt Markt- und Sozialforschung und hat eine besondere Gruppe definiert, die gesellschaftliche Veränderungen bisher mittrug. Diese Menschen sehen sich selbst als flexible Pragmatiker.
Wer sind die flexiblen Pragmatiker?
Das Sinus-Institut nennt die Gruppe auch adaptiv-pragmatische Mitte. Das sind „sehr funktional und nutzenorientierte junge Menschen“, erklärt Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des Sinus-Instituts. Zu ihnen zählt das Sinus-Institut 12 Prozent der Menschen in Deutschland. 55 Prozent davon sind zwischen 30 und 49 Jahre alt. Hier entscheiden sich wichtige Lebensphasen: Karriere, Familiengründung, das Sesshaft-Werden. Die sogenannte „Rushhour des Lebens“ oder, wie Silke Borgstedt es nennt, die „Crunchtime“.
Für die gesamte Mitte sei bislang charakteristisch gewesen, so Borgstedt, dass sie bei gesellschaftlichen Veränderungen immer von zentraler Bedeutung gewesen sei. „Denn die Mitte definiert aus dem eigenen Selbstverständnis heraus, was als normal gilt.“ Doch in Zeiten der ständigen Transformation werde es schwieriger zu identifizieren, was normal sei. Klar sei jedoch: Wenn die Wärmepumpe statt der Gasheizung, das E-Auto statt des Benziners oder der aus dem Ausland stammende Oberarzt Normalität werden sollen, gehe das kaum ohne die gesellschaftliche Mitte.
Was ist das Problem der flexiblen Pragmatiker?
Die aktuellen Veränderungen setzen auch den flexiblen Pragmatikern zu, sagt Borgstedt. Sie sind sehr modern und fortschrittsorientiert. Sie sind veränderungsbereit, müssten also für Themen wie Transformation gut erreichbar sein. Und sie finden laut Borgstedt viele versprochene Formen von Wandel auch toll. „Sei es Nachhaltigkeit in Verbindung mit E-Mobilität, eine moderne Familienform, partnerschaftliche Vereinbarkeit.“
Aber in ihrem Alltag sei aktuell vieles dysfunktional. „Die Infrastruktur spielt nicht mit“, erklärt Borgstedt. „Man hat doch irgendwie den Kredit fürs Haus abgelehnt bekommen, nächste Woche ist wieder Kita zu und einer muss zu Hause bleiben. Und so weiter.“
Veränderungsbereitschaft bröckelt
Im Prinzip, sagt Borgstedt, möchten diese Menschen geordnete Verhältnisse, sie strebten nach Harmonie und Sicherheit. Sie seien zwar bereit, den nötigen Wandel mitzugehen – aber wenn Versprechungen des Aufstiegs und Wohlstands nicht mehr eingehalten würden, bröckle diese Veränderungsbereitschaft. Sie merken: „Der versprochene modernisierte Lebensstil ist in der Realität sehr schwer herzustellen. Und das enttäuscht diese Gruppe. Oder überhaupt, dass diese Wohlstandsversprechen schwieriger einzulösen sind.“
So ist die Gruppe der Adaptiv-Pragmatischen mittlerweile zunehmend innovationsmüde und gestresst, wie jüngste Befragungen zeigen.
Immer weniger Sicherheiten
Klar, die Crunchtime war auch früher stressig. Aber wer sie gut meisterte, der hatte die Aussicht auf ein wenig Wohlstand, eine sorgenfreiere Zeit. Das sei nun anders, sagt Borgstedt. Bei den Flexibel-Pragmatischen „ist es so, dass die Anforderungen maximal sind und die Sicherheiten gering. Das ist eine Generation, in der die Renten unsicherer sind. Man muss viel mehr selber vorsorgen. Aber mit großen Unbekannten.“ Wie das Leben nach der langen Transformationsphase aussehe, das wisse kaum jemand.
Das heißt: Man wisse, da kommt etwas Richtung Klimaneutralität. Aber eben auch Digitalisierung und mögliche andere Herausforderungen. Am Ende, sagt Borgstedt, gebe es eine ganz neue Struktur von Gewinnern und Verlierern. Nur, die Menschen aus dieser Gruppe wüssten nicht, auf welcher Seite sie landen. „Vor allem weiß man nicht, was man tun soll, um zu den Gewinnern zu gehören.“ Deshalb versuche dieser Teil der Mitte trotz aller Herausforderungen eben doch flexibel zu bleiben und sich „in eher kurzfristigen Zeitfenstern gut zu organisieren“.
Das bedeutet aber auch, sagt Sozialforscherin Borgstedt: Sie investieren weniger, als sie das unter geordneteren, sichereren Verhältnissen tun würden.
Was zeichnet die flexiblen ursprünglich Pragmatiker aus?
Borgstedt betont trotz allem, wie wichtig die Mitte, vor allem die adaptiv-pragmatische Mitte, innerhalb der Gesellschaftsmilieus sei: „Sie sind eigentlich Brückenbauer, aber im Moment stark mit der eigenen Lebenssituation beschäftigt. Im Quartiersmanagement werden zum Beispiel häufig Betrachtungen angestellt, wie man diese Gruppe fest vor Ort mit verankern kann. Denn man kann in Kürze sagen: Die können eigentlich mit allen.“
Das sei im Grunde ein Schatz, sagt Borgstedt. Das müsse man sich bewusst machen. Denn die Mitte ist politisch wie gesellschaftlich Mehrheitsbeschaffer. Doch jetzt steht der Schatz womöglich unter Bedrohung. Was in der Mitte funktioniere, sagt Borgstedt, strahle insgesamt in die Bevölkerung aus. „Deswegen schauen wir da sehr genau drauf. Denn wenn bestimmte Dinge sich hier festsetzen, dann ist häufig so eine Art Kipppunkt erreicht – in die positive wie in die negative Richtung.“