Das aber sei ein Verstoß gegen die Verfassung. Heinz Bontrup teilt damit die Bedenken einer Reihe von Verfassungsrechtlern, unter anderem die des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio.
Bontrup hat aber auch einen Rat für die Bundesregierung. Denn im aktuellen Konflikt bei der Deutschen Bahn gehe es vor allem darum, dass der Konzern nicht bereit sei, die Beschäftigten an seiner Produktivität und Wertschöpfung teilhaben zu lassen, sagte Bontrup im Interview mit dem Deutschlandfunk. Hier könnten der Bund und Arbeitsministerin Andrea Nahles einmal auf den Bahn-Vorstand einwirken. Die Beschäftigten hätten nämlich durchaus ein berechtigtes Interesse an einer anständigen Bezahlung.
Das Bundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit beschlossen. Damit sollen Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften in demselben Betrieb wie etwa bei der Bahn verhindert werden. Künftig gilt danach der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die die meisten Mitarbeiter der jeweiligen Berufsgruppe in dem Unternehmen vertritt. Arbeitgeberpräsident Kramer nannte die Tarifeinheit unverzichtbar für den Betriebsfrieden. Dagegen sehen kleinere Gewerkschaften ihr Existenzrecht bedroht und wollen gegebenenfalls klagen.
Das Interview mit Heinz Bontrup in voller Länge:
Christiane Kaess: Vielleicht waren Sie auch betroffen von den Streiks bei der Bahn. Über Tage ging für Reisende fast nichts mehr. Und dann schlossen sich auch noch die Piloten der Lufthansa an und traten in den Streik. Beide, sowohl die Lokführer als auch die streikenden Piloten, sind organisiert in sogenannten Spartengewerkschaften, die sich weigern, die traditionellen Gewerkschaften in den Unternehmen für ihre Belange eintreten zu lassen.
Um Tarifkämpfe wie diese künftig zu vermeiden, will die Regierung ein Gesetz zur Tarifeinheit auf den Weg bringen. Der Entwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles war heute Thema im Kabinett.
Wir sind jetzt verbunden am Telefon mit Heinz Bontrup. Er ist Wirtschaftsrechtler an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Guten Tag!
Wir sind jetzt verbunden am Telefon mit Heinz Bontrup. Er ist Wirtschaftsrechtler an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Guten Tag!
Heinz Bontrup: Guten Tag.
Kaess: Ein Vorwurf der Gewerkschaften, wir haben es gerade gehört, der lautet: Das ist eine indirekte Einschränkung des Streikrechts. Sehen Sie das auch so?
"Das greift tief in die Grundrechte ein"
Bontrup: Das sehe ich auch so. Der ehemalige Verfassungsrichter Di Fabio hat es ja auch gesagt in Ihrer Anmoderation: Das greift tief in die Grundrechte ein, in die Koalitionsfreiheit, die ja in unserer Verfassung, im Grundgesetz, im Artikel neun Absatz drei geregelt ist. Danach können Koalitionen geschlossen werden. Die abhängig Beschäftigten können sich zu Gewerkschaften zusammenschließen, um damit kollektiv ihre Interessen durchzusetzen, und das ist nun mal nur möglich, wenn der Unternehmer nicht bereit ist, einen Tarifvertrag abzuschließen, dass dann auch die Beschäftigten die Arbeit verweigern, die Arbeitszeit null sozusagen anbieten. Und wenn man das denen nimmt, dann greift man in der Tat ganz tief in Grundrechte ein.
Kaess: Aber auf der anderen Seite steht das berechtigte Argument von Andrea Nahles, die sagt, das Gesetz verbietet Streiks ja eigentlich nicht.
Bontrup: Ja! Aber wenn man sich einigen muss und wenn nur noch die Gewerkschaft mit den größten Stimmenanteilen berechtigt ist, einen Tarifvertrag in einem Unternehmen abzuschließen, dann grenzt man natürlich kleinere Gewerkschaften aus, wobei noch nicht mal genau geklärt ist, was das denn überhaupt bedeutet letztlich, wie man das auch operational machen will. Da müssten die Gewerkschaften ja auch offenlegen, wer wo in welcher Gewerkschaft ist in einem Unternehmen. Bisher hüten sie das wie ihren Augapfel, das wollen sie gar nicht preisgeben. Das müsste dann alles transparent gemacht werden, man muss das ja auch in der operationalen Umsetzung sehen.
Aber lassen Sie mich noch einen Satz sagen, Frau Kaess. Man muss ja auch mal fragen: Warum ist es überhaupt zu dem Tarifkonflikt gekommen? Es ist doch deshalb bei der Bahn insbesondere zum Konflikt gekommen, weil der Unternehmer - und das ist in diesem Fall ja der Staat, denn die Bahn AG gehört zu 100 Prozent dem Bund - nicht bereit ist, die Beschäftigten berechtigt an der Produktivität, an der Wertschöpfung teilnehmen zu lassen. Das ist der Grund, das ist der Hintergrund.
"Bund sollte sich an Bahn-Vorstand wenden"
Die Menschen sind bei der Bahn unzufrieden. Sie merken, dass die Bahn Wertschöpfung erzielt, dass sie aber nicht adäquat an dieser Wertschöpfung partizipieren können mit entsprechenden Löhnen und Gehältern. Deshalb ist es doch da überhaupt zum Konflikt gekommen und ich würde hier mal dem Bund und auch Frau Nahles empfehlen, sich da mal einzuschalten, da mal auf den Vorstand der Bahn einzuwirken und ihm mal zu sagen, dass hier auch die Beschäftigten berechtigte Interessen haben auf eine anständige Bezahlung. Da ist des Pudels Kern.
Und ich bin auch mal gespannt, wie Frau Nahles als Bundesarbeitsministerin reagiert. Alle Verfassungsrechtler sagen es quasi, alle Fachleute sagen es, dass dieses Gesetz, was sie angibt, jetzt auch offensichtlich durchsetzen will, ob sie dann auch zurücktritt als Bundesarbeitsministerin. Nämlich wenn ich schon vorher von Fachleuten gesagt bekomme, Frau Nahles, dieses Gesetz ist verfassungswidrig, dann mach ich das nicht mehr als Bundesarbeitsministerin.
Kaess: Auf die rechtliche Seite können wir gleich noch schauen. Aber es ist doch auch klar, dass dieses Prinzip, ein Betrieb, ein Tarifvertrag, sich bisher bewährt hat.
Bontrup: Warum? Wo hat sich das bewährt? Wir haben die Situation nun mal bei der Bahn, dass die Lokomotivführer mit den Abschlüssen der DGB-Gewerkschaft nicht mehr einverstanden waren.
Kaess: Und die Spartengewerkschaften, die lange, lange dieses Unternehmen, ich sage jetzt mal, lahmgelegt haben - wir sprechen über die Streiks, die so viele Reisende wirklich über Tage behindert haben.
Bontrup: Ja, das ist sicherlich für Reisende, weil natürlich die Bahn eine Dienstleistung erbringt - da fällt Produktion und Nachfrage zusammen -, das ist natürlich ärgerlich, das ist klar. Aber hier will ich auch noch mal in Erinnerung rufen: Das liegt ja nicht an der Gewerkschaft. Die Lokomotivführer waren alle Beamte und Beamte dürfen bekanntlich nicht streiken. Dann hat man die Bahn im Grunde genommen zu einer Aktiengesellschaft umgebaut und hat die Verbeamtung quasi rausgenommen.
Und jetzt wundert sich Politik, dass die Beschäftigten von ihrem Recht - ich kann das nur noch mal wiederholen -, von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, auch wenn sie mit der Bezahlung, mit den Arbeitsbedingungen in ihrem Unternehmen nicht einverstanden sind, und ich glaube, dass die Lokomotivführer sehr verantwortungsbewusste Menschen sind, die viele Lokomotiven fahren, wo viele Menschen hintendran sitzen, dass sie sehr verantwortungsbewusst handeln, und wenn man dann nicht zufrieden ist, dann muss man diesen Menschen auch in einem Unternehmen die Möglichkeit geben zu sagen, lieber Vorstand, liebe Geschäftsführung, liebes Management, ich bin nicht mehr damit einverstanden, mit den Arbeitsbedingungen, lasst uns verhandeln, und offensichtlich will die Bahn das aber nicht.
"Kleinere Gewerkschaften ausgrenzen verstößt gegen unsere Verfassung"
Kaess: Herr Bontrup, schauen wir gerade noch auf diese rechtlichen Bedenken, die Sie schon angesprochen haben. Es heißt, das verstößt gegen Artikel neun des Grundgesetzes, das Recht auf Koalitionsfreiheit. Aber das verbietet das Gesetz doch gar nicht.
Bontrup: Ja, aber indirekt natürlich. Wenn ja nur eine Gewerkschaft und die größere das Sagen haben darf, wenn es nur noch einen Tarifvertrag geben soll in einem Unternehmen, dann grenzen Sie natürlich indirekt die kleinen aus, und das ist doch auch das Problem. Das ist doch auch die Sorge, dass das im Grunde genommen passiert, und das ist dann auch ein Rechtsbruch. Das geht eindeutig nicht, das verstößt eindeutig gegen unsere Verfassung.
Kaess: Aber dem, was Sie jetzt angesprochen haben, steht gegenüber die Sorge der Arbeitgeber, die sagen, wenn viele Berufsgruppen sich in Spartengewerkschaften organisieren werden, dann haben wir das Chaos in den Betrieben. Was würden Sie denn vorschlagen, um das zu vermeiden?
Bontrup: Natürlich müssen sich die, wenn zwei starke Gewerkschaften in einem Unternehmen sind - ich würde das gar nicht jetzt mit Spartengewerkschaft abqualifizieren - Wenn zwei Gewerkschaften (und sie haben beide eine Berechtigung laut Verfassung) in einem Unternehmen sind, dann sollten sie sich natürlich tunlichst zusammensetzen und sollten geschlossen gegenüber dem Unternehmer auftreten. Das sollten sie tun.
Aber offensichtlich sind die Gewerkschaften hier so weit auseinander, was die Forderungen anbelangt - das scheint mir hier das Problem zu sein -, dass man da nicht übereinkommt auf der Seite der Gewerkschaften, um geschlossen dann gegenüber dem Unternehmer in Tarifverhandlungen auch aufzutreten.
"GDL-Forderungen sind völlig berechtigt"
Kaess: Das ist genau das, was Sie ansprechen. Das ist meine Frage. Ist das eigentlich nicht letztendlich die Herausforderung für die traditionellen Gewerkschaften?
Bontrup: Ja, klar! Die traditionellen Gewerkschaften, wenn man das hier bei der Bahn sieht: Offensichtlich sind die Mitarbeiter, die Lokomotivführer - die sind ja auch ein paar dort organisiert - sehr unzufrieden mit dem Verhalten in den Tarifverhandlungen. Da ist die GDL offensichtlich wesentlich aggressiver auch in ihren Forderungen, die übrigens berechtigt sind. Da muss man sich nur mal die Bilanz der Deutschen Bahn angucken, die Wertschöpfungen, die da geholt werden, die Produktivitäten.
Die sind überhaupt nicht kompatibel zu machen mit den geringen Tarifabschlüssen der letzten Jahre. Das war alles nur zum Vorteil der Bahn AG und zum Nachteil der Beschäftigten. Deshalb sind die Forderungen, ökonomisch jetzt betrachtet, wenn ich das mal nur rein ökonomisch sehe, völlig berechtigt.
Kaess: Die Meinung von Heinz Bontrup. Er ist Wirtschaftsrechtler an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Danke für dieses Gespräch heute Mittag.
Bontrup: Bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.