Was ist neu in diesem jüngsten Entwurf?
Die Grundentscheidung "Nein heißt Nein" bedeutet, dass nicht mehr der entgegenstehende Wille des Opfers überwunden werden muss, es geht also nicht mehr um bestimmte Fallgruppen, wann eine Situation das Opfer besonders schutzwürdig macht, zum Beispiel weil List oder Drohung im Spiel ist. Neu in dieser letzten Fassung ist, dass das jetzt auch für ausländerrechtliche Konsequenzen, also zum Beispiel für die Ausweisung gelten soll. Das war ein besonderes Anliegen der Union. Das ist eine Folge der Kölner Silvesternacht. Man muss aber auch sagen: Das ist in der Systematik des Gesetzes nicht ganz unlogisch.
Es gibt einen weiteren Punkt, der auch Folge der Silversternacht ist: Wenn Sexualstraftaten aus Gruppen heraus begangen werden, dann sollen dafür alle Teilnehmer der Gruppe belangt werden können. Das ist umstritten, zumindest in der Form, wie es im Entwurf steht. Denn die Frage ist: Was muss derjenige gewusst und gewollt haben, der sich einer solchen Gruppe anschließt? Und die Antwort - auch das war ein Wunsch von CDU und CSU - ist nun: Es reicht, dass derjenige, der sich einer Gruppe anschließt, davon ausgegangen ist, dass das Opfer bedrängt wird, dass irgendwelche Straftaten begangen werden sollen, also zum Beispiel Diebstahl. Und wenn dann einer aus der Gruppe einen sexuellen Übergriff begeht, dann können alle bestraft werden mit bis zu zwei Jahren Haft oder mit Geldstrafe. Das, sagen einige, ist nicht ganz unproblematisch mit Blick auf das Schuldprinzip.
Sind damit alle Streitpunkte geklärt?
Tatsächlich haben die Rechtspolitiker in der Großen Koalition innerhalb von Tagen noch alle Fragen geklärt. Es geht ja darum, im laufenden Gesetzgebungsverfahren einen Systemwechsel zu machen, das Gesetz völlig umzuschreiben. Aber es ist auch schon klar, dass der Gesetzgeber in der kommenden Legislaturperiode sich das Sexualstrafrecht noch mal grundsätzlich vornehmen soll. Denn erstens sagen einige, dass es jetzt echte Wertungswidersprüche im Strafrahmen gibt - also zum Beispiel ist die Mindeststrafe von sechs Monaten bei dem neuen Straftatbestand des sexuellen Übergriffs genauso hoch wie beim sexuellen Missbrauch von Kindern. Ohnehin tagt eine Kommission, die in diesem Herbst Ergebnisse vorstellen will, und die man jetzt nicht abgewartet hat mit diesem Gesetz.
Was wird der neue Grundsatz "Nein heißt Nein" in der Praxis bewirken?
Das ist umstritten. Auch Befürworter dieser Neuerung gehen nicht unbedingt davon aus, dass es in Zukunft zu mehr Verurteilungen kommen wird. Ihnen geht es wohl vor allem um das gesellschaftliche Signal. Der ganz grundsätzliche Unterschied zeigt sich in dem Fall - der Einfachheit halber bleiben wir beim häufigeren Fall, der Frau als Opfer, das gilt aber natürlich auch für männliche Opfer - die Frau geht nach der Disko zu ihm mit hoch, er wird zudringlich, sie macht deutlich, dass sie das nicht will. Sie könnte gehen, das weiß sie auch, und sie geht nicht. Das wäre in Zukunft strafbar, das ist der echte Wertungsunterschied.
Die meisten anderen Fälle, die in der Diskussion genannt werden, sind auch jetzt schon strafbar. Es gibt eine zweite Konstellation: Wenn das Opfer nicht deutlich macht, dass es nicht will. Sei es, weil der Mann sie schon früher geprügelt hat, sei es, weil sie Angst hat, der zudringliche Chef kündigt ihr sonst. Solche Fälle konnten mindestens zum Teil bisher nicht bestraft werden oder das Gesetz war zumindest nicht ganz klar.
Dann gibt es eine dritte Kategorie, eine Grundsatzentscheidung, die in den vergangenen Wochen gefallen ist: Auch die "bloße sexuelle Belästigung" soll unter Strafe stehen mit im Regelfall bis zu zwei Jahren Haft. Das heißt, dass auch das Begrapschen dann unter das Strafrecht fällt und nicht mehr wie bisher nur unter das Arbeitsrecht. Wenn Strafrichter bisher die Erheblichkeit verneint hatten, dann ist es ganz klar: Hier wird die Strafbarkeit ausgeweitet.
Die Koalition will das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden. Warum?
Es waren vor allem Frauen, die in ihren Fraktionen diese Änderungen durchgesetzt haben. Wie zu hören ist, fürchtet man, dass das Fenster der Gelegenheit sich wieder schließen könnte über die Sommerpause vor allem in der Unionsfraktion - das Fenster, das sich nach Köln aufgetan hat.